Die Currywurst ist alternativlos

Bei der Currywurst geht es nicht um Food-Fotografie, sondern um Kohldampf. Vor der Currywurst sind wir alle gleich. Das Imbissbuden-Sprichwort sagt: Die Currywurst ist ehrlich. Sowieso soll es auf diesem Planeten kaum ein Gericht geben, was die Geschmacksknospen auf so bodenständige Weise glücklich arbeiten lässt wie eine ordentliche Currywurst.

Ich kann mich noch ganz genau an einen der schönsten Currywurst-Momente in meinem Leben erinnern: Auf einer Hochzeit in Gelsenkirchen-Horst rührte eine kettenrauchende 70-Jährige emsig eine baustellengroße Portion Currywurst in einem dampfenden Großküchen-Topf hin und her. Während sie mir vom Kalten Krieg erzählte, nahm sie ihre Zigarette nicht einmal aus dem Mund, sondern aschte immer mal wieder aus Versehen in den Topf. Niemandem hat das was ausgemacht, nicht der Currywurst, nicht den Gästen daneben. Alle waren Zeuge, alle haben die Currywurst gegessen, niemandem hat es geschadet.

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Bei kaum einer anderer Speise gibt es so viel Streit wie bei der deutschen Currywurst: Gehört ein Brötchen dazu? Wie soll sie geschnitten werden? Mit Darm oder ohne Darm? Bratwurst oder Bockwurst? Kommt sie aus Berlin, Hamburg oder dem Ruhrgebiet? Die schönste aller Auflösungen: Es haben alle Recht! Denn bei der Currywurst geht es schlussendlich nicht um große Geschichten, es geht um den Geschmack. Und der ist derbe.

Was die Wurst noch sympathischer macht: Vielleicht abgesehen von Scoville-Schärfegrad-Hahnenkämpfen ist sie weitestgehend verschont geblieben von Hypes oder Trends, die der Burger oder das Kimchi bitter nötig hatten. OK, hier und da gibt es mal eine Variation mit Blattgold, aber das ist alles Nebensache. Currywurst bleibt Wurst plus Sauce plus Curry plus Pieker. Punkt.

Dabei versuchen nicht Wenige vom purpurroten Glück zu profitieren und bringen Produkte auf den Markt, die sich in eine Reihe stellen wollen mit Deutschlands Ikone. Aber sind diese Imitate wahre Innovationen oder echte Alternativen? Wir waren in vier Supermärkten, zwei Spätis und einer Tankstelle, um genau das herauszufinden. Wir haben Lücken gelassen, wir haben auch eine Schmerzgrenze, etwa der Currywurst Energydrink, die Vaporizer-Flüssigkeit „Currywurst Taste” und auch die Pizza Currywurst sind ausgefallen.

Chips im “Currywurst Style”

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In Zeiten von Pizzaburgern, Kebab-Style- und Flammkuchen-Chips sind Currywurst-Chips kein großer Aufreger mehr. Sie gehören schon seit Längerem zum Repertoire der Hersteller und werden immer mal wieder kopiert. Natürlich werden hier zwei Klassiker unter den Faulenzer-Speisen zwangsgepaart und die Chips erhalten ein wenig Bratwurstbudenzauber, aber es fehlt den Kartoffelspalten dann am wurstigen Geschmack, was wir ihnen aber nicht verübeln wollen. Ein Spaghetti-Eis schmeckt ja auch nicht nach Spaghetti. Aber es sieht immerhin so aus.

Industrie-Imitat als Currywurst

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Hört, hört! Die orangeste aller Tankstellen-Pizzen hat ein Brüderchen bekommen. Die Variation besteht aus dem altbekannten, pappigen „Weizengebäck”, zwei gewölbten Industrie-Würstchenhälften, bei denen man gleich monströse, chrom-funkelnde Wurst-Produktionsmaschinen vor Augen hat und viel Tomantenmark-Currycreme. Ceci n’est pas une Currywurst, liebe ‘BiFi’.

Vegane Currywurst aus Algen

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Von veganen Würstchen wurde einem ja schon von vielerlei Stelle berichtet. Das sei ganz en vogue, fleischfreies Fleischimitat mit fleischigem Geschmack und wurstigem Aussehen anzubieten. Sagen die Hersteller. Aber wer hat das erlaubt, vegane Würstchen mit dem Zusatz von Algen als Currywurst zu deklarieren? Was als gesunde Alternative angeboten wird, entpuppt sich als ganz neues Gericht. Eigensinnig.

Currywurstsauce aus der Tüte

Das Regal, wovor man im Supermarkt sonst nur beschämt steht, ist die Reihe mit den Tütengerichten. Dort liegen die windigen Cousins der Mikrowellen-Produkte. Wie von Zauberhand lässt der bröselige Inhalt der Tüten aus Wasser Sauce und aus Wurst Currywurst entstehen. Wenn man ein anständiges Stück Bratwurst dazu nimmt, hat man sie schon fast: Eine echte Currywurst. Mit vielen Zusätzen.

Currywurst aus dem Kühlregal

Dem Currywurst-Gefühl vielleicht am nächsten. Aufreissen, aufwärmen, Pulver drüber, Holzpieker rein und fertig ist das Erlebnis. Die schnelle Kühlschrank-Curry ist seit ein paar Jahren fester Bestandteil deutscher Supermarktketten und schmeckt wie Herta, Imbissbudenbesitzerin, 46, unterm Arm. Na ja, das mag beleidigend für Herta sein. Tut mir leid. Bonunspunkte gibt es für solche Fragen im Netz:

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Fazit

Bild via Imago

So ehrenvoll es für die Currywurst auch sein mag, dass sich so viele an ihr messen wollen: Alle Produkte schrammen am Original vorbei. Wenn man sich fragen sollte, was eine echte Innovation ausmacht und wie man „neu” definieren kann, könnte man den Philosophen und Medientheoretiker Boris Groys zu Rate ziehen. Er bezeichnet die Kunst einer Innovation als die Aufwertung von bisher als wertlos Erachtetem zu etwas Wertvollem. Unternehmen versuchen Chips, Überraschungseier und Salatdressings mit „wertvollen” Werten zu beladen, um in unserer gesättigten Warenwelt Neues zu produzieren. Gerade von Werten wie „Currywurst” verspricht man sich, dass sie durch unsere Gewohnheiten und positiven Gefühle auf dem Markt gut funktionieren. So schaffen Großkonzerne Trend-Hybride.

Aber nirgends sonst wird man so rundum zufrieden gestellt, wie an seiner eigenen Lieblings-Bude. Denn bei Curry-Kalle am windigen Eck kauft man nicht nur eine saugute Currywurst, sondern zugleich das Erlebnis dazu, woran es allen Innovationen mangelt: Ein Gefühl von unprätentiöser Erhabenheit.

Nachtrag: Jemand war mutiger.