Ein Traum oder noch on air—Das Beste aus 32,5 Stunden Bushido-Interview

Eins vorweg: Falls ihr tatsächlich einen der 98 Vorschläge angenommen habt, in denen wir euch erklärt haben, was man so tun kann, anstatt sich das 98-Stunden Interview von Bushido anzuhören, dann kann man euch entweder zu einem 5-Minuten-Terrinen-Durchfall und einem neuen Koi-Teich gratulieren oder man fasst es wie folgt zusammen: selbst Schuld.

Denn was auf dem etwas abgestandenen, roten Sofa im Sendestudio des Berliner Radiosenders kiss.fm präsentiert wurde, konnte sich durchaus sehen beziehungsweise hören lassen. Vor allem, wenn man nach dem Konsum von unzähligen Fler-Interviews der Meinung war, dass es keinen „next step“ in Sachen Rap-Talk mehr geben würde. Neben den durchaus spannenden Geschichten aus dem Leben des All-time-not-favourite-BILD-Rappers, hat es der Sender nämlich geschafft, eine überraschende Mischung an Gästen in das Studio zu locken. Ob Serkan Tören (Bushido-Voice: „Tarkan Sören“), D-Bo, Julian F.M. Stöckel, Fler, der Angestellte eines Geschäfts für exotische Fische (welches Bushido seit einiger Zeit betreibt) oder die Chefredakteurin des Berliner Schwulen- und Lesbenmagazins „Siegessäule“, sie alle waren bereit, sich neben den vermeintlichen Bürgerschreck zu setzen, um zu diskutieren. Und jeder hatte offenbar seine eigene Strategie, sich mit Bushido auseinanderzusetzen, bzw. ihn zu kritisieren oder gar bloßzustellen. Gescheitert sind sie mehr oder weniger alle.

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Serkan Tören hatte sich offenbar ein Vorbild an seinem ehemaligen Parteivorsitzenden Guido „Ich gehe in den Big Brother-Container“ Westerwelle genommen und probierte es auf die verkrampft junge, hippe und sympathische Art. Wie so etwas endet, wissen wir alle. Nicht nur Teilzeit-Moderatorin Toyah war etwas überrascht von soviel Freundlichkeit, hatte Tören doch 2013 Strafanzeige gegen Bushido gestellt. Vielleicht hat der FDP-Politiker (der damit rechnen muss, dass Bushidos Mercedes-Limousine bald mehr Sitze als seine eigene Partei hat, badumm tsss) auch eingesehen dass seine 2013 in der BILD geäußerte Prognose „Durch sein neues Lied ist Bushido endgültig gescheitert: Die Rechnung, mehr Aufmerksamkeit gleich mehr Geld, wird nicht aufgehen“ zwei Jahre später immer noch nicht eingetreten ist und wollte sich nun beim jungen Publikum anbiedern. Das so etwas nicht funktioniert, wissen wir spätestens seit Markus „Hey, das groovt ja richtig“ Lanz. Auch Julian F.M. Stöckel, ein „Schmuckdesigner“ und ehemaliger Dschungelcamp-Bewohner (einer von vielen offen homosexuellen Gäste die theoretisch irgend eine Art von Reibung erzeugen sollten) war nicht dazu in der Lage, Bushido wirklich in Bedrängnis zu bringen und bat schlussendlich um ein gemeinsames Dinner mit dem etwas verdutzten „Mafiapaten“.

Während man sich in der Vergangenheit oftmals über die handzahmen Interviewer_innen geärgert hat, welche Bushido meist mit Samthandschuhen anfassten, kann man dem Sender und Moderator Tolga dies nun wirklich nicht vorwerfen. Einziges Problem: Entweder waren die Leute nicht vom Fach und verfingen sich in ihren eigenen Klischees über das Rap-Genre oder sie konnten sich nicht entscheiden, ob sie jetzt beleidigend werden oder den Auftritt zur eigenen Promo nutzen wollen. Oder beides. So wie Siegessäule-Chefedakteurin Manuela Kay, die sich zwar ganz hervorragend über Bushidos überhaupt nicht bildungsbürgertümliche Art zu reden lustig machen konnte („Ey Alter ey. Hihihi“), im Endeffekt aber doch dreimal nachhakte, ob man denn nicht einen Song zusammen aufnehmen könnte, „So wie Eminem und Elton John“. Na klar.

Es gab in dieser Sendung niemanden, der Bushido inhaltlich und fachlich Paroli bieten könnte. Und das nicht, weil er ein allwissendes Genie ist, sondern weil er sich in den Jahren eine durchaus schlüssige Argumentationslinie zurechtgelegt hat, die man nicht mit nervösem Kichern oder Allerweltsfragen dekonstruieren wird. Muss ja aber auch nicht sein. Entertainment ist das Ganze auch ohne ebenbürtige Gegner. Denn Bushido weiß zu unterhalten. Und wenn er mal eine Schwächephase hat, dann grätscht Labelkollege Ali Bumaye hinein und sagt ungefragt Sätze wie: „Ihr nehmt das alle zu ernst. Ich hör da gar nicht hin. Ich geh zu „Papa Ari“ (Das Restaurant von Arafat Abou-Chaker), hau mir da was hinter die Kiemen, rauch ‘n paar Schachteln Kippen, guck Fußball und gut is.“ Irgendwann wird dann auch „Tu mir den Gefallen und bleib Gangster“ von DJ Tomekk auf den Beat von „Atemlos“ gerappt, ein Moment in dem man nicht mehr genau weiß, ob man schon träumt oder noch on air ist.

Als man sich nach der x-ten Club Mate gerade dachte, man müsste sich weiter anhören wie irgendwelche Sozialarbeiter-Typen nachfragen, ob er „das denn wirklich alles so meint, wie er es rappt“, Moderatorin Toyah bereits bemängelte, dass es zu keinem Skandal gekommen war und Deutschrap-Cartoonist „Graphizzle Novizzle“ vollkommen zu recht ein gequältes „Je suis Bushido“ auf Facebook postete, wurde der—offensichtlich leicht angeschlagene—Ex-EGJ Rapper Kay One (bekanntlich der aktuelle Erzfeind von Bu) zugeschaltet. Dieser hatte (genau wie ich) offenbar nicht besseres zu tun, als mitten in der Nacht vor dem Radio zu sitzen und sich ausserdem darüber aufzuregen dass Moderator Tolga ihn mit der Transgender-Frau Manuela Kay verglich. Der folgende Dialog zeichnete sich zunächst durch ein vorsichtiges Annähern aus, in dem Kay vorgab, einfach nur wissen zu wollen, warum Bushido Kay’s Diss-Song löschen ließ, um plötzlich komplett aus dem Ruder zu laufen. Nach einigen Genre-üblichen Beschimpfungen beiderseits („Hampelmann“, „Schwuchtel“, „Du hast keinen Bartwuchs“), versteifte sich Kay One plötzlich auf die Aussage, dass Bushido seine Hunde „bumsen“ und er ihm bald das Tieramt auf den Hals hetzen würde. Glücklicherweise betrat Fler kurz darauf das Studio, um der Welt erst mal zu erklären, dass er Kiss FM quasi gegründet habe (Bushido-Voice: „Heute kam auf jeden Fall raus, Fler gehört der Sender“) und mit staatstragenden Sätzen wie „Die Leute verwechseln Regeln mit Gerechtigkeit“, für etwas mehr Ruhe sorgte. Zum Leidwesen der Beef-geilen Hörerschaft.

Die Highlights: Moderator Tolga liest die Absagen verschiedener potentieller Gäste vor—Kai Diekmann entschuldigt sich mit den Worten „Leider muss ich neben meinem Beruf als Gangsterrapper auch noch meinem eigentlichen Broterwerb als Chefredakteur nachgehen“. (Haha, lustig Kai), Henryk M. Broder hält sich auch für besonders gewitzt und schreibt lediglich „Kiss my Ass“, woraufhin Bushido und Tolga Broder mit dem Burda-Verlag verwechseln und sich darüber amüsieren dass der gute Henryk ihm doch quasi den Bambi verliehen hätte—zwei Jungjournalistinnen stellen halbkritische Fragen („Sollen deine Kinder mal so werden wie du?“) und kichern verschämt wenn Bushido „Bullshit“ oder „einen runter holen“ sagt und ganz nebenbei auch noch Heinrich Heine erwähnt, Fler erzähltm wie sie in Stuttgart eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen musstenm weil er eine Salami geklaut hatte, Bushido beklagt unseren „98 Dinge…“-Artikel und ergreift erzieherische Maßnahmen, Marcus Staiger will endlich ernsthaft und seriös diskutieren und hätte auch das nötige Fachwissen, leidet allerdings (ähnlich wie einst Kay One) unter zu schwachem W-Lan und muss den Skype-Chat mit D-Bo und Bushido ohne richtiges Ergebnis abbrechen.

Motherboard: Das passiert mit deinem Körper, wenn du 180 Stunden vom Schlaf abgehalten wirst


Resümee: Selten hat Bushido sich so offen all der Kritik und den unbeantworteten Fragen gestellt. Faktisch war niemand dazu in der Lagem diesen Umstand, dank dessen Schlafmangel—der ihn eigentlich zu einem lahmen, verletzbaren Reh machen sollte—zu nutzen. Und dennoch war es überraschend unterhaltsam. Man möchte sich nicht wirklich vorstellen, was passiert wäre, wenn die Hörer in der zuvor gestarteten Abstimmung, statt Bushido einen der anderen Kandidaten (Matthias Schweighöfer, Boateng oder Daniela Katzenberger) zu dem Interview-Marathon verpflichtet hätten. Und trotzdem werden wir leider nie erfahren, was passiert wäre, wenn die Schlaflosigkeit nach 70 Stunden tatsächlich dazu geführt hätte, dass die Protagonisten nur noch ein Häufchen Elend sind. Wäre dann Volker Beck eingeritten? Oder ein über seine Insolvenz sprechender 50 Cent? Hätte Bushido die erste EGJ-Mondlandung angekündigt? Es wäre zu schön gewesen, war aber auch so große Unterhaltungskunst. Respekt, Bushido.

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