Die ganze Scheiße, mit der du dich rumschlagen musst, wenn du alleine als Frau unterwegs bist

Als Frau, die nachts alleine durch die Stadt läuft, bleibt dir nicht gerade viel, was du tun kannst, wenn ein widerlicher Typ auf die Idee kommt, dir zu folgen und dich zu belästigen. Aber viele versuchen, einen Umgang mit diesem Gefühl der Unsicherheit zu finden—eine Aura auszustrahlen, die eine Belästigung unwahrscheinlicher macht. Ein strammer und selbstbewusster Gang, die Augen fest auf den Bürgersteig gerichtet und eine Hand in der Manteltasche, das Handy fest im Griff.

Um zu erfahren, wie Frauen in verschiedenen europäischen Ländern mit Belästigungen auf der Straße umgehen, haben VICE-Redakteure Frauen in 13 Städten gefragt, ob und wo sie sich alleine unsicher fühlen und wie sie mit diesem Gefühl umgehen.

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Paris, Frankreich

Marie, 26, Studentin

VICE: Gibt es Orte in Paris, an denen du dich nachts alleine unsicher fühlst?
Marie: Vor allem in den reicheren Gegenden von Paris, weil die Straßen dort nachts leer sind und es niemand mitbekommen würde, wenn dich jemand angreift. Nachts mit der Metro zu fahren, ist aber wahrscheinlich am schlimmsten.

Warum das?
Abgesehen von der generell unangenehmen Situation, mit einem Haufen anderer Menschen in einem geschlossenen Wagen unter der Erde zu festzusitzen, habe ich dort schon besonders fiese Erfahrungen gemacht. Einmal stand ich auf dem Bahnsteig und ein Typ hat versucht, mich auf die Schienen zu schubsen. Mehrere Perverslinge haben sich vor mir schon einen runtergeholt und irgendwann hat mich mal so ein durchgeknallter Typ mit einer Rasierklinge und blutigen Händen verfolgt.

Wie gehst du damit um?
Ich verlasse einfach die Haltestelle, wenn ich mich unsicher fühle. Es ist eine echte Tortur, nachts alleine als Mädchen unterwegs zu sein. Es gibt immer irgendwo ein Arschloch, das einen Spruch loslässt—vor allem, wenn du hochhackige Schuhe trägst. Das Geräusch, das sie beim Laufen machen, zieht Widerlinge magisch an.

Mailand, Italien

Lidia, 25, Buchhalterin

VICE: Gibt es Straßen oder Orte in Mailand, an denen du dich nachts alleine unsicher fühlst?
Lidia: Ich fühle mich nicht generell unsicher. Wenn ich in einer raueren Gegend oder einem abgeschiedenen Vorort unterwegs bin, wo es nicht so viele Menschen gibt, bin ich aber schon vorsichtiger. Ironischerweise habe ich die meisten Belästigungen in zentraleren und geschäftigeren Teilen der Stadt erlebt.

Was für Sachen sind dir passiert?
Vor ein paar Monaten erst saß ich auf dem Heimweg im Zug und ein Mann gegenüber von mir hat sich die Hose aufgemacht und seinen Schwanz rausgeholt. Das war nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert ist. Es war das vierte Mal. Es hat mich jetzt also nicht wirklich schockiert, aber ich habe mich weggesetzt.

Hast du das Gefühl, etwas abgestumpfter geworden zu sein?
Ich glaube nicht, dass mich die Angst vor einem schlimmen Ereignis je davon abhalten wird, nachts alleine rumzulaufen. Aber es ist wirklich verstörend, dass so viele Frauen das täglich durchmachen müssen—dass Belästigungen quasi zum Alltag gehören.

London, Großbritannien

Pria, 29, Nageltechnikerin

VICE: Fühlst du dich sicher, wenn du nachts alleine in London unterwegs bist?
Pria: In der Regel schon, ja. Ich lebe in East Ham, wo es etwas schräg zugehen kann. Es ist also manchmal schon ein bisschen unheimlich—vor allem nachts.

Gibt es irgendetwas, das du tust, um dich sicherer zu fühlen?
Ich habe absichtlich keine Musik auf den Kopfhörern und mache keinen Augenkontakt. Wenn ich alleine bin und sehe jemand Unangenehmes auf mich zukommen, packe ich mein Handy weg und wechsle die Straßenseite.

Ist dir schon mal etwas passiert?
Etwas wirklich Schlimmes ist mir in diesem Sinne noch nie passiert. Deswegen ist es für mich auch OK, alleine rumzulaufen. Ich komme aus Derbyshire und generell fühle ich mich in dem Städtchen, in dem ich aufgewachsen bin, sicherer. Aber auch da gibt es komische Menschen. Manchmal fühle ich mich in London sicherer, weil hier mehr auf der Straße los ist. Wenn irgendetwas passiert, sind mehr Menschen in der Nähe.

Berlin, Deutschland

Gisa, 28, Ladenbesitzerin

VICE: Fühlst du dich in Berlin unsicher?
Gisa: Richtig Angst hatte ich noch nie. Aber für mich gibt es in Berlin überall Ecken, an denen ich mich mal nicht sicher fühle. Vor allem, wenn es dunkel ist und nur wenige Menschen unterwegs sind. Ich bin öfters mal zu komischen Uhrzeiten unterwegs, da laufen dann eben auch komische Gestalten rum.

Welche meinst du?
Zum Beispiel den Hermannplatz. Da ist mir mal am hellichten Tag ein Typ hinterhergelaufen und hat mich hart sexistisch beschimpft. Ich glaube, der war nicht ganz dicht. Das war auf jeden Fall unangenehm.

Und trotzdem hast du keine Angst?
Wie gesagt, ich fühle mich tendenziell sicher. Vor allem, wenn ich mit dem Rad unterwegs bin. Und sonst denke ich, dass die Leute nicht so viel Angst haben sollten. Berlin ist nicht so schlimm, wie man immer denkt.

Bukarest, Rumänien

Elena, 30, Mitbegründerin einer NGO

VICE: Gibt es bestimmte Gegenden in Bukarest, in denen du dich nachts nicht sicher fühlst?
Elena: Am St.-Georgs-Platz, der sich mitten im Herzen Bukarests befindet, fühle ich mich nachts unsicher. Es ist eine komische Gegend mit einem Haufen leerstehender und besetzter Häuser. Und letzten Sommer ist mir dort was passiert.

Was denn?
Ich bin gegen 17 Uhr zu meinem Auto gegangen, als ein Typ mich von hinten angesprungen hat. Er packte mich an den Brüsten und meinem Mund und zerrte mich nach hinten. Ein Parkplatzwächter kam mir schließlich zur Hilfe und verscheuchte meinen Angreifer. Der Typ sah weder obdachlos noch verwirrt aus. Wenn er mich einfach hätte ausrauben wollen, hätte er sich statt meinem Körper meine Handtasche gegriffen.

Findest du Bukarest nachts generell unsicher für Frauen?
Nun, du musst dich regelmäßig mit verbalen Belästigungen rumschlagen. Hier gibt es aber auch diese kulturelle Einstellung im Sinne von “Was macht die um diese Uhrzeit alleine hier draußen und warum trägt sie einen Rock?”. Und dazu gibt es auch dieses rumänische Verständnis von “Ich habe sie nur geohrfeigt und nicht umgebracht”. Belästigungen auf der Straße sind für Menschen, die so denken, keine große Sache.

Barcelona, Spanien

Uda, 22, Flyerverteilerin

VICE: Fühlst du dich nachts alleine manchmal unsicher?
Uda: Oft sogar und nicht nur nachts. Männer haben mir hinterhergepfiffen, nach meiner Nummer gefragt, mich belästigt.

Gibt es bestimmte Orte in Barcelona, an die du lieber nicht alleine gehst?
Schlimmer ist es eigentlich etwas außerhalb von Barcelona—in Badalona oder Mataró zum Beispiel. Dort gibt es so viele arbeitslose Typen, die den ganzen Tag nichts zu tun haben, nur abhängen und vorbeigehende Mädchen belästigen.

Warum kann Spanien deiner Meinung nach ein so unsicherer Ort für Frauen sein?
Es hat wahrscheinlich mit der Macho-Kultur zu tun, die immer noch sehr präsent in Spanien ist. Aber es hängt natürlich auch von den Typen ab. Ich bin Muslimin und finde, dass in meiner Gemeinschaft noch immer eine Menge Ungleichheit zwischen den Geschlechtern herrscht. Mit Religion hat das meiner Meinung nach aber nichts zu tun. Es ist ein kulturelles Problem, eine Frage der Erziehung. Mein Vater ist überhaupt nicht macho, mein Freund aber schon. Er sieht es nicht gerne, wenn ich alleine oder mit Freundinnen ausgehe.

Belgrad, Serbien

Sofija, 19, Studentin

VICE: Vermeidest du es, nachts alleine in bestimmten Gegenden rumzulaufen?
Sofija: Ja, ich meide jede Straße, die sich nicht im Zentrum befindet, die keine Straßenbeleuchtung hat oder auf der keine anderen Menschen sind. Also eigentlich jede Straße, die keine Hauptstraße ist. Ich schätze, wir alle versuchen, uns zu schützen.

Wie kommst du denn nachts nach Hause?
Ich bin nie allein unterwegs. Entweder nehme ich ein Taxi oder übernachte bei Freunden oder meiner Schwester.

Warum?
Es kann unheimlich sein, wenn es dunkel ist. Und ich will nicht, dass mir etwas passiert. Ich habe schon eine Menge Geschichten gehört. Ich lebe im Vorort, aber studiere in Belgrad. Ich habe gehört, dass dieses Mädchen, das immer den gleichen Heimweg hatte wie ich, vergewaltigt wurde.

Stockholm, Schweden

Ida, 24, Reisende

VICE: Gibt es bestimmte Straßen in Stockholm, auf die du dich nachts nicht alleine traust?
Ida: Nicht wirklich. Am Hauptbahnhof fühle ich mich nicht gerade sicher. Es gibt dort jetzt eine Polizeiwache, aber generell passiert da schon viel.

Ist dir schon mal etwas Bedrohliches passiert, als du nachts alleine unterwegs warst?
Nicht wirklich. Ich habe mich schon ziemlich angreifbar gefühlt, als ich in der U-Bahn saß und sonst nicht viele Menschen dort waren. Aber in der Regel trage ich einen Kapuzenpulli und mein Kleidungsstil ist ziemlich geschlechtsneutral. Manchmal werde ich auch für einen Typen gehalten. Ich habe schon viel aggressives Verhalten von Männern abbekommen, die mich für einen Typen gehalten haben und sich mit mir prügeln wollten.

Wie würdest du dich denn sicherer fühlen?
Es würde helfen, ein Mann zu sein. Jeder kann angegriffen oder ausgeraubt werden, aber es gibt da noch eine weitere Dimension der Angst, die Cis-Männer meiner Meinung nach nie wirklich nachvollziehen oder ähnlich erfahren werden. Mehr Aufklärung zu dem Thema wäre ein Anfang.

Wien, Österreich

Anna*, 20, Studentin

VICE: Gibt es eine Straße oder eine Gegend in Wien, in der du dich nachts alleine unwohl fühlst?
Anna: Ich muss jeden Montag noch um 21 Uhr vom Bahnhof Heiligenstadt nach Hause gehen—ein klassisches Bahnhofsgebiet am Stadtrand, das recht weitläufig ist und abends fast wie ausgestorben wirkt. Dort ist es mir schon oft passiert, dass ich—meist von älteren Männern—komisch angesprochen wurde. Dieses Gebiet versuche ich also an allen anderen Tagen zu späterer Stunde zu meiden.

Wie kann man sich das Ganze vorstellen?
Die harmlosere Variante ist es, dass sie mich fragen, was ich so spät alleine noch hier tue. Oder sie machen mir Komplimente, was sich dann aber bis zu einem “Willst du nicht mit zu mir nach Hause kommen?” steigert.

Warum glaubst, du dass es gerade für Frauen oft gefährlich ist, nachts alleine raus zu gehen?
Ich glaube es liegt daran, dass gerade abends oft nicht so viele Leute in der Nähe sind. Und die, die mitbekommen, was da gerade passiert, reagieren nicht. Zumindest kann ich das von der Heiligenstädter Straße bestätigen. Andere Menschen kriegen definitiv mit, dass ich gerade gegen meinen Willen aufgehalten werde, machen aber nichts.

Was machst du dann in den Momenten, in denen du auf dich allein gestellt bist?
Ich versuche eigentlich immer, diese Männer abzuhängen und einfach selbstbewusst, aber schnell weiterzugehen. Ansonsten sage ich ihnen, dass ich keine Zeit habe und jetzt gerne heim gehen möchte. Bis jetzt hat das—Gott sei Dank—jedes Mal gereicht.

Zürich, Schweiz

Carmela, 42, Vollzeit-Mutter

VICE: Gibt es eine bestimmte Gegend oder eine Straße in Zürich, wo du es vermeidest, nachts alleine durchzugehen?
Carmela: Die Gegend der Langstraße in Zürichs Party- und Rotlichtmilieu mag ich gar nicht. Dort fühle ich mich sogar tagsüber nicht sicher. Wenn irgendwo etwas Kriminelles in Zürich geschieht, dann dort. Bei Vororten wie Schwamendingen liest man aber auch immer wieder von Kriminalität. Ich versuche, solche Orte instinktiv zu vermeiden.

Hast du schon mal etwas Schlimmes erlebt, das dich unsicher fühlen lässt?
Nein, ich war noch nie in etwas Schlimmes involviert. Ich lebe seit 16 Jahren in Zürich und zum Glück ist mir noch nie etwas Traumatisches geschehen. Ich denke, das hat auch damit zu tun, dass ich immer in eher sicheren Gegenden gelebt habe.

Amsterdam, Niederlande

Natasja, 29, Studentin

VICE: Gibt es Orte oder Gegenden, die du meidest, wenn du nachts alleine unterwegs bist?
Natsja: Nein, das Aufwachsen in Amsterdam hat mir ein dickes Fell verschafft. Einmal hat sich nachts in der Bahn ein Mann neben mich gesetzt und angefangen, mich an Stellen zu berühren, an denen seine Hände nichts zu suchen hatten. Ich habe ihn angeschrien und er ist in den nächsten Wagen gerannt. Für eine kurze Zeit habe ich mich danach lieber in der Bahn neben Frauen gesetzt, wenn ich die Wahl hatte. Diese Erfahrung schleppe ich aber nicht mehr mit mir rum.

Was machst du, um Belästigungen zu vermeiden?
Nun, eine sehr oberflächliche Sache ist, auf seine Kleidung zu achten. Heutzutage ziehe ich mich ziemlich jungenhaft an und mir passiert auf der Straße nicht viel. Das ändert sich, wenn ich femininere Sachen trage.

Warschau, Polen

Carolina, 22, Studentin

VICE: Gibt es Orte in Warschau, die du nachts alleine lieber meidest?
Carolina: Als ich in Polen ankam, lebte ich in Żoliborz, einem neueren Teil [von Warschau]. Ich musste dort an einer Menge unbeleuchteter Baustellen vorbei und fühlte mich oft beobachtet oder verfolgt.

Warum fühlen sich Frauen deiner Meinung nach so unsicher, wenn sie alleine unterwegs sind?
Frauen werden als schwächer als Männer wahrgenommen. Es mag vielleicht leichter erscheinen, eine Frau auszurauben oder zu belästigen, weil man nicht erwartet, dass sie sich wehrt. Bei einem Mann ist die Gefahr da größer. Nach einem Konzert mit meiner Band in einem Club habe ich die Instrumente mit eingepackt und als ich einen der Koffer hochgehoben habe, meinte der Clubbesitzer zu mir: “Ist das nicht zu schwer für eine Frau?”

Athen, Griechenland

Sofia, 18, Studentin

VICE: Gibt es irgendeine Straße in Athen, die du nachts lieber nicht alleine entlanggehst?
Sofia: Mir ist noch nie etwas passiert, aber alleine habe ich schon Angst. Selbst wenn ich bei einer Freundin bin, rufe ich meinen Bruder an, damit er mich abholt. Es gibt keine bestimmte Straße, vor der ich Angst habe—einfach generell dunkle und enge Gassen. Früher bin ich nie alleine rausgegangen. Wenn ich raus musste, von Ilio nach Peristeri zum Beispiel, musste mich immer jemand begleiten. Das ist jetzt aber besser geworden.

Woher kommt das?
Ich weiß nicht. Du siehst Sachen im Fernsehen. Deine Eltern warnen dich. Mein Vater sagt mir immer, dass ich nicht alleine rumlaufen, sondern ihn oder meinen Bruder anrufen soll. So bin ich erzogen worden.

*Annas Name wurde auf ihren Wunsch geändert.