Popkultur

Die Geschichte von Sex Money Murder, einer der brutalsten Gangs New Yorks

Links: Tatort eines Mordes; Rechts: "Pistol Pete" Rollock, Anführer der Sex Money Murder Gang

Die Straßen von New York City sind heute lange nicht mehr so gefährlich wie in den frühen 90ern. Damals wurden in der Stadt mehr als 2.000 Menschen ermordet – pro Jahr. Ein Großteil der Morde ging auf das Konto von Gangs, die um Territorium kämpften, in dem sie ihre Drogen verkaufen konnten. Unter ihnen war eine Crew namens Sex Money Murder: Sie gehörten zu den gefürchtetsten Dealer-Gangs der Stadt, einige der Mitglieder sollten später die New Yorker Bloods mitgründen.

Unter der Führung von “Pistol Pete” Rollock, einer zweifelhaften US-Verbrecherlegende, stiegen SMM immer weiter auf und exportierten ihre Gang-Kultur von der Sozialbausiedlung Soundview in der Bronx bis in andere Bundesstaaten. Doch diese Kultur aus Crack, Chaos und Mord führte auch zum Ende der Crew. Letztendlich ermordeten und verrieten sich die Mitglieder von SMM gegenseitig.

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Nur wenige haben es seitdem geschafft, einen Blick hinter die Kulissen dieser Gang zu werfen. Dem britischen Investigativjournalist Jonathan Green ist es gelungen. Green veröffentlicht demnächst das Buch Sex Money Murder: A Story of Crack, Blood, and Betrayal. Darin bietet er exklusive Einblicke in die Anfänge von SMM, die Geschichte der Gewalt auf den Straßen der USA, und den Kampf, den die Behörden gegen die Gangs führten. Unter anderem hat er fünf Jahre mit zwei ehemaligen Anführern von SMM verbracht. Wir haben mit Green über das Ausmaß der Gewalt gesprochen und über die merkwürdige Verehrung der Crew damals wie heute.


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VICE: Was unterschied SMM von anderen New Yorker Gangs?
Jonathan Green: Ende der 1980er gab es in New York eine Crack-Epidemie, aus der viel Gewalt hervorging. In diesem Milieu, in extrem gefährlichen und armen Vierteln, wuchsen sehr gewalttätige Crews heran. Soundview in der Bronx war ein solches Viertel, oder auch Brownsville in Brooklyn. Die SMM-Typen waren von jungen Jahren an Schießereien und Morde gewöhnt. Als Gang haben sie die Messlatte der Gewalt noch höher gehängt.

Was an SMM neu war, war der Anführer, “Pistol Pete” Rollock. Meist delegieren die Anführer die Gewalttaten an ihre Untergebenen, aber er hatte nichts dagegen, selbst Hand anzulegen. Sein Ruf eilte ihm durch die Clubs und die Songs befreundeter Rapper voraus.

“Straßencrews wie SMM waren in gewisser Hinsicht gefährlicher als die Mafia, weil sie so viel schneller den Abzug betätigten.”

Wie sahen andere organisierte Verbrecher in New York SMM – die Mafia, zum Beispiel?
Pistol Pete war fasziniert von der italienischen Mafia. SMM und er sahen die Mafiosi als glamourös, aber auch als Rebellen. Sie hatten niemals auch nur annähernd so viel Macht wie sie. Straßencrews wie SMM waren in gewisser Hinsicht dennoch gefährlicher als die Mafia, weil sie so viel schneller den Abzug betätigten. Persönliche Streitigkeiten wurden zu Mord. Wenn die Mafia jemanden ausschaltet, dann geht es meist ums Geschäft. Bei SMM brauchte es kaum einen Grund.

Du schreibst in deinem Buch, SMM seien eine der ersten Crews gewesen, die ein solides Drogennetzwerk außerhalb von New York aufbauten.
Sie waren eine der wenigen Crews in der Bronx, die damals jenseits der Stadt Drogen verkauften. Pipe, ein ehemaliger SMM-Offizier, und Pistol Pete gingen an Orte wie die Kleinstadt Kingston und richteten sich dort ein. Als sie verhaftet wurden, zogen sie sich in die Bronx zurück und schickten stattdessen ihren Nachwuchs. Sie selbst hielten sich bedeckt, suchten andere Orte zum Verkaufen. Je weiter die Gangmitglieder sich von New York City entfernten, desto mehr waren ihre Drogen wert und desto weniger Bandengewalt gab es. Crews konnten ohne große Konflikte viel Geld verdienen. Sie fuhren die Ostküste runter, bis an Orte wie Virginia und North Carolina. Durch die Musik hatten auch dort Leute von SMM gehört und ihren Namen weiterverbreitet.

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Buchcover mit freundlicher Genehmigung von W.W. Norton

Du hast dich mehrmals auf Musik bezogen. Inwiefern hatten SMM etwas mit der New Yorker Musikszene zu tun?
Anfang der 1990er war HipHop an der Ostküste noch relativ neu. Crews wie SMM stiegen auf und die beiden Kulturen vermischten und begünstigten sich gegenseitig. Damals gingen alle, die etwas auf sich hielten, zu “Mecca”, der größten HipHop-Nacht New Yorks, wo Gangster, Models und Musiker wie Sean Combs abhingen. Die Rapper Lord Tariq und Peter Gunz aus der Bronx setzten den Ruf von SMM ein, um ihre Musik bekannter zu machen. Nas erwähnt in einem seiner Songs Pistol Pete.

2017 war die Mordrate in New York City so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht. Wie hat die Polizei Gangs wie SMM das Handwerk gelegt?
Das NYPD hat diese Viertel mit Beamten überflutet. In der Bronx holten der FBI-Detective John O’Malley, Pete Forcelli vom NYPD und die Staatsanwältin Liz Glazer sehr viele gewalttätige Crews von den Straßen und schickten die Anführer ins Gefängnis. Für Frieden: Es rauchten nicht mehr so viele Leute Crack wie in den 90er Jahren. SMM gründeten sich 1991, die Polizei brauchte zehn Jahre, um die meisten ihrer Anführer dingfest zu machen. Das wäre heute undenkbar, das NYPD hat die Stadt unter Kontrolle. Inzwischen sitzen die meisten Crews nach ein oder zwei Jahren hinter Gittern.

In welchem Zustand sind die heutigen Gangs?
Aktuell ist es so, dass die ganzen Gangs sich gegenseitig fertigmachen. Bei SMM gab es damals zumindest eine Art innere Loyalität zueinander, auch wenn alle natürlich aus egoistischen Gründen dabei waren. Als Pistol Pete 1997 zu Thanksgiving zwei Crew-Mitglieder ermorden ließ, kam der Wendepunkt; nach diesem Verrat fingen auch andere an zu snitchen. Aber heute höre ich ständig davon, dass Sets der Bloods, also lokale Gruppen, einander bekämpfen oder sogar Leute aus ihren eigenen Sets ermorden. Es gibt keinerlei Loyalität untereinander. Das Gerede, das man immer über die Treue zur Gang hört, und dass niemand snitchen würde – das ist ein völliges Märchen. In Wirklichkeit singen sie wie Vögel. Wem 40 Jahren ohne Bewährung drohen, der kennt keine Loyalität mehr.

“Heutzutage achtet die Polizei so genau auf soziale Medien und Rap-Songs; sobald sie bemerken, dass jemand das Rampenlicht sucht, haben sie ihn im Fadenkreuz.”

Gibt es heute auch eine Gangster-Legende wie Pistol Pete?
Ich denke nicht. Die Crews, die Drogen verkaufen, haben immer nur so eine kurze Lebensdauer, dass sie kaum einen Ruf aufbauen können, bevor sie Handschellen tragen. Bei der Arbeit an dem Buch fand ich interessant, wie die Leute an der Ostküste weiterhin die Mafia bewundern, aber kaum romantische Vorstellungen von Gangs wie SMM haben – diese Banden sieht man einfach als Gefahr für die Allgemeinheit. Manchmal hört man von Gangstern in der Bronx, die ein paar Jahre durchhalten. Sie hängen mit eher unbekannten Rappern ab und werden mal in einem Song erwähnt. Aber heutzutage achtet die Polizei so genau auf soziale Medien und Rap-Songs; sobald sie bemerken, dass jemand das Rampenlicht sucht, haben sie ihn im Fadenkreuz. Das war Pistol Petes Untergang. Er liebte die Aufmerksamkeit, er war sehr charismatisch. Aber letztendlich wurde er zu mörderisch und auch zu bekannt.

Du hast schon häufig über Kriminalität und Gewalt geschrieben. Hat dich bei der Recherche zu diesem Buch dennoch irgendwas schockiert?
Das Ausmaß der Gewalt und die fehlende Achtung vor menschlichem Leben. Und wenn ich zurückblicke, finde ich es erstaunlich, wie gefährlich New York City war, während ich selbst schon dort lebte. Menschen saßen bei Starbucks zusammen und nur ein paar Kilometer entfernt tobte diese verrückte Bandengewalt, brodelte direkt unter der Oberfläche des Alltags. Das war alles die ganze Zeit da, aber ich wusste nichts davon, weil ich nicht direkt betroffen war.

Welches Erbe haben SMM hinterlassen?
Ein schreckliches: einfach nur Gewalt. Weil SMM so lange auf der Straße waren, genießt Pistol Pete eine Art “Robin Hood”-Ruf unter jungen Typen aus den Sozialsiedlungen. Sie haben von der Realität dieser Welt keine Ahnung. Wenn du heute mit jungen Bloods sprichst, dann verehren sie SMM und haben keine Ahnung, wie sehr sich alle gegenseitig betrogen und in den Rücken fielen.

Pipe, der ehemalige SMM-Offizier, erzählte mir, die jungen Männer würden sich diesen Gangs anschließen, weil sie sich Brüderlichkeit wünschen. Er sagte, sie verstünden nicht, dass dieselben Brüder, denen sie Treue bis in den Tod schwören, sie eines Tages ermorden oder verraten werden.

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