Der Wind trägt Trommelrhythmen durch die Birken. Langhaarige und bärtige Menschen stehen ums Feuer, viele haben die Augen geschlossen und scheinen in Trance. Es riecht nach Holzrauch, Met und Leder. Die Heiden haben sich bei den Grabhügeln versammelt, um mit Musik und Tanz den Göttern zu huldigen.
Diese Szene hat sich nicht vor tausend Jahren zugetragen, sondern vor wenigen Wochen, auf dem Pagan- und Metal-Festival Midgardsblot. Das dreitägige Event bei einem uralten Gräberfeld an der Südküste Norwegens kombiniert Extreme Metal und Folk mit altnordisch-heidnischer Kultur. Zum diesjährigen Lineup gehörten neue Black-Metal-Größen wie Gaahls Wyrd und Oranssi Pazuzu, alte Pagan-Metal-Legenden wie Moonsorrow und Týr, die mongolische Heiden-Horde Tengger Cavalry und die isländischen Genre-Sprenger Sólstafir. Und dann gab es da noch ein nachgebautes Wikingerdorf, jede Menge historische Bildung und das Blót, das Opferritual für die alten Götter.
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Damit bedient das noch junge Festival einen Trend: Wikinger und die Religion des germanischen Neuheidentums erleben zur Zeit einen kleinen Boom, nicht zuletzt angetrieben von Entertainment-Hits wie Vikings oder Marvels Thor.
Das germanische Neuheidentum ist, wie der Name schon sagt, recht neu – auch wenn sich viele Anhänger zu regelrechten Amateur-Historikern entwickeln, um den extrem dürftig dokumentierten Glauben nach Art ihrer entfernten Vorfahren zu praktizieren. Dabei können Probleme auftreten: Ahnenkult, Ablehnung des Christentums als fremde “Invasoren-Religion” und moderne Annahmen über die damalige Stammes- und Familienkultur bieten oft fruchtbaren Boden für völkisch-rassistische Ideologien. Neuheiden müssen sich in Acht nehmen, wenn sie nicht für Neonazis gehalten werden wollen – die sich nicht nur gern Runen auf die Fahne schreiben, sondern sich häufig auch selbst als Heiden verstehen. (Ein Thema, über das ich mich schon mit dem führenden Neuheiden Einar Selvik von Wardruna unterhalten habe.)
Wer sich auf Midgardsblot unters Folk mischt, findet zwar eine Menge Anhänger von Odin, Frigg, Thor und Co., aber auf sonderlich völkische Denkweisen deutet nichts hin. Auf dem Festival herrscht eine friedliche, inklusive Stimmung, Menschen aus aller Welt kommen zusammen (auch wenn die meisten nord- oder mitteleuropäischer Abstammung sind). Ich habe mich mit einigen Fans darüber unterhalten, was ihnen das Heidentum bedeutet und wie dieses Festival sie tief in die nordische Pampa locken konnte.
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Jannicke Wiese-Hansen, Norwegen
Hi, Jannicke. Was macht Midgardsblot für dich so besonders? Es ist einfach ein fantastisch geiles Festival – schau dir nur mal an, wie viele hier mit einem Lächeln rumlaufen. Hier haben wir das Beste aus zwei verschiedenen Welten, zur Hälfte Metal und zur Hälfte Wikingermusik. Und von den Leuten hier nimmt sich niemand zu ernst.
Was ist das Verrückteste, das du hier gesehen hast? Metal-Yoga, eindeutig.
Warum hast du dich fürs Heidentum entschieden? Ich bin ein Mitglied der heidnischen Organisation Åsatrufelleskapet Bifrost. Früher in der Schule hat uns eine Lehrerin beim Mittagessen von den Wikingern und ihren Sklaven vorgelesen, das hat damals mein Interesse geweckt. Ich habe mich dafür entschieden, weil es eine Ahnen-Religion ist, die die Kunst und Kultur des alten Norwegen ehrt.
Welche ist dieses Jahr deine Lieblingsband? Ich hatte Gänsehaut, als Gaahls Wyrd den Song “Steg” gespielt haben. Ansonsten haben Sólstafir am zweiten Abend eindeutig alles gerult.