Alles ging so schnell, ich hätte es fast nicht bemerkt. Auf einmal hielten zwei Männer ein ganz erschrocken dreinblickendes Schaf auf dem Boden fest und dann folgte plötzlich ein Hieb, fast kein Geräusch und das Tier lag auf dem Boden, sterbend. Ich hatte mich auf eine rabiate Szene, Schreie eingestellt—aber das war genau das Gegenteil. Die Männer haben alles ganz schnell gemacht, damit das Tier mit so wenig Schmerzen wie möglich stirbt. Ich habe noch nie gesehen, wie ein Tier stirbt, geschweige denn wie eines nur einen Schritt von mir entfernt geschlachtet wird. Aber für die Männer war das ein Job, eine Arbeit, die sie bis zu 300 Mal am Tag wiederholten.
Blutwurst gibt es in verschiedenen Varianten überall: In Frankreich heißt sie boudin, in Südkorea sundae, in Irland black pudding, in Italien sanguinaccio und in Spanien morcilla. Die kenianische Version heißt mutura, manche nennen sie auch die „afrikanische Wurst”. Im Restaurant des Beer Garden Hotel, ungefähr eine Autostunde von Nairobi entfernt, soll es die beste Mutura der Region geben. Und genau deshalb war ich hier.
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Anders als die Blutwürste aus Europa ist die Mutura mit unglaublich vielen Gewürzen gespickt: Ingwer, Knoblauch, Frühlingszwiebeln, Koriander und einer Handvoll Piri-Piri-Schoten. Das frische Blut sorgt für Bindung und lässt die Innereien (entweder Kuh, Lamm oder Ziege) schön umami schmecken. Die ganze Mischung wird dann gekocht und in Därme gestopft. Die Wurst sieht am Ende ein bisschen verunstaltet aus, eine dunkle Flüssigkeit tropft heraus und sie wird mit einem Faden zusammengenäht—kein schöner Anblick, aber dafür hat sie einen unglaublich herzhaften Geschmack, der gut zu einem gekühlten Tusker-Bier passt. Salzig, fettig und macht süchtig—Street Food vom Feinsten. Diese Wurst gehört zu jedem Barbecue und jeder nächtlichen Party. Sie ist Teil der Kultur, so sehr, dass die italienische Slow-Food-Organisation für biologische Vielfaltsie in ihre Liste schützenswerter Lebensmittel aufgenommen hat.
„Die in Kenia lebenden Stämme sind sich zwar nicht immer einig, aber alle essen Mutura”, erklärt mir James T. Sapuro, seit über 20 Jahren Leiter des Hotels. „Wir Maasai zum Beispiel fügen der Mischung mehr Fett hinzu, das schmilzt dann, wenn man die Würste grillt. Einfach lecker. Jeder hat ein anderes Rezept und eine ganz spezielle Gewürzmischung.”
Leider wird es immer schwieriger, diese Delikatesse in Kenia zu finden, wo die Industrialisierung immer weiter voranschreitet. Eine echte Mutura kann nur von Experten gemacht werden und sie muss immer frisch zubereitet werden, damit die Innereien nicht schlecht werden. Würste aus industrieller Verarbeitung erobern auch den kenianischen Markt, zum Beispiel Farmer’s Choice, aber eine echte Mutura enthält keine Konservierungsstoffe und muss innerhalb circa eines Tages gegessen werden. Die Herstellung einer Mutura ist ein besonderes, ja feierliches Ereignis, das passiert nicht einfach nebenher und aus Zweckmäßigkeit. Selbst im Beer Garden Hotel wird sie üblicherweise nur an den Wochenenden gemacht und Freunde, Familien und Gäste kommen extra für diese Gelegenheit—auch aus den Nachbarorten.
Die Herstellungsmethode und auch die Rezepte unterscheiden sich teilweise gewaltig. Charles Mureithi und Simon Muchoki haben für die Herstellung über drei Stunden gebraucht—das Fleisch muss vom Knochen entfernt werden, die wabbeligen Gedärme müssen gereinigt werden, die Gewürze und Zutaten müssen mit chirurgischer Präzision gehackt werden. Das Endergebnis allein wäre schon Belohnung genug gewesen, aber wie es Brauch ist, gab es dazu mbuzi nyama choma, gegrilltes Ziegenfleisch mit Knochen, mit grobem Salz als Topping. Dann gab es noch tellerweise zarten, langsam geschmorten sukuma wiki, Blattkohl, kachumbari, ein Relish aus Tomaten und Zwiebeln, und noch mehr Piri-Piri und außerdem ugali, einen Maisbrei, und irio, einen hellgrünen Brei mit vereinzelten Maiskörnern—Essen, das einfach glücklich macht. Die Gäste waren alle grundverschieden: Anwälte, Architekten, Unternehmer, Maasai, Kikuyu, Kamba und, ja, auch Amerikaner. Aber nach ein paar Drinks haben wir uns alle möglichen Geschichten erzählt und uns am Ende versprochen, in Kontakt zu bleiben.
Einfach gesagt: Es war ein Festessen.
Beer Garden Hotel: Kitengela, +252 713 343 238, tjsapuro@yahoo.com