In Kairo gibt es unglaublich viele Restaurants, doch nur die wenigsten sind wirklich gut. Man hat die Auswahl zwischen fettriefenden Sandwiches oder zahlreichen Cafés, die alle die gleichen mittelmäßigen Spaghetti und Pizzas servieren. Die Zubereitung lässt eher zu wünschen übrig und das Fleisch kommt meist aus dem Froster. Die Staub- und Smogwolke, die die Stadt in einen konstanten Nebel hüllt, dringt auch langsam in die vollgestopften Schawarma-Buden ein. Und wie oft das Frittierfett hier wiederverwendet wird, will man lieber nicht wissen.
Es gibt jedoch auch Ausnahmen. In den Straßen des Stadtzentrums werden überall frische foul medammes verkauft, eine cremige, leicht bittere Paste aus Bohnen, die mit dicken Stücken baladi und einem kleinen Salat gereicht wird. In Ägypten gibt es wahre Grillexperten, die die ganze Zeit ihren Holzkohlengrill befeuern, während darüber Hähnchen oder Rinderhack brutzelt.
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Dann gibt es das Somaya. Es ist irgendwas zwischen Sozialeinrichtung und kleinem Restaurant und ist einmalig in Kairo und überhaupt in Ägypten. Was man nicht ahnt: Das Somaya ist unter anderem aufgrund der Revolution von 2011 entstanden, als Millionen von Ägyptern auf die Straße gegangen sind, um Präsident Hosni Mubarak zu stürzen.
Das Fas’hat Somaya, so der volle Name des Restaurants, liegt in der Nähe vom Stadtzentrum von Kairo in einer kleinen Gasse zwischen einem Geschäft für Autoersatzteile und einem Immobilienmakler. Hinter einer kleinen blauen Tür verbirgt sich ein winziges Restaurant mit vier Tischen, die eigentlich fast immer belegt sind. Auf dem Regal in der Ecke steht ein altes Radio, aus dem arabische Klassiker dudeln: Fairuz, Abdel Halim Hafez, Umm Kulthum und andere bekannte Künstler, eine bunte Mischung eben. Als das Somaya eröffnet wurde, klebten an der Wand überall Sticker für Menschenrechtskampagnen und Revolutionsgruppen. Jetzt hängen hier alte Fotos mit Gelbstich, die ein Ägypten des 20. Jahrhunderts zeigen.
Hinter der Durchreiche ihrer halboffenen Küche wacht Somaya El Sanoussy über ihr gesamtes Restaurant und ihre Kunden. Wenn sie kurz Pause macht, kümmert sie sich um ihre Gäste, als wären es ihre eigenen Kinder. Somaya erzählt mir, dass es ihr wichtig ist, dass sich die jeder Gast an eine Regel hält: „Du musst aufessen.”
Zwischen 1993 und 2003 lebte Somaya mit ihrem Mann (von dem sie mittlerweile geschieden ist) in Italien. Sie telefonierte stundenlang mit ihrer Mutter und bekam von ihr Fernunterricht in typisch ägyptischer Küche. Wenn sie in Italien etwas Neues ausprobiert hatte, hat sie es immer sehr langsam gegessen und versucht, jede einzelne Komponente zu schmecken, um das Rezept besser zu verstehen. Bei jeder neuen Zutat, hat sie zuerst ihre Kochexpertin um Rat gefragt. „Wenn man etwas mit viel Liebe tut, dann schmeckt es gut und sieht schön aus”, sagt sie.
Nach zehn Jahren im Ausland kehrte sie nach Ägypten zurück und arbeitete als Sekretärin bei einem Verlag. Schnell wurde sie zur Büroköchin und machte stapelweise ägyptisches Essen für Büroparties und Geburtstagsfeiern, unter anderem mess’a, ein Gericht aus Tomaten und Auberginen, und maashi, mit Reis gefüllte Zucchini und Weinblätter.
Nicht nur ihre Kollegen, sondern alle sind in den Genuss ihres Essens gekommen. „Zur Zeit der Revolution haben wir im Verlag gekocht und das Essen auf den Tahrir-Platz geschickt”, erzählt sie mir, während sie schon die Vorbereitungen für den nächsten Tag macht.
Kurz danach trug sie riesige Bleche mit Essen von ihrer Küche zum Tahrir-Platz, um die tausenden hungrigen Demonstrierenden zu versorgen. „Ich habe zu der Zeit viele neue Freunde gefunden”, sagt sie. „Während der Revolution hatte jeder seinen Bereich: Einige haben mit Steinen geworfen, andere sind zu den Protestmärschen gegangen. Meine Aufgabe war es, die Menschen zu bekochen.”
Schon bald haben viele Leute ihr Zutaten gebracht, mit denen sie für den Demonstranten kochen konnte. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich zugelassen, dass man mir in der Küche hilft”, sagt Somaya. Mit ein paar Helfern hat sie das Essen zum Tahrir-Platz geschafft. Sie hat immer darauf geachtet, dass sie keine flüssigen Gerichte wie Suppe kocht, falls sie einmal vor Tränengasangriffen oder der Polizei wegrennen müssten.
Nach der Revolution wollte sie ein Restaurant eröffnen. Im Oktober 2011 hat Somaya sich ein Lokal ausgesucht, wo immerhin genügend Platz für eine kleine Küche, eine Toilette und ein paar Tische ist. Freunde unterstützten sie finanziell (und mental), sodass sie das Restaurant renovieren und dann ihr Fas’hat Somaya eröffnen konnte.
Somaya benutzt keine Rezepte, sondern kocht nach Geschmack und Gedächtnis. Es gibt auch keine feste Speisekarte. Montags gibt es, was der Zufall so will. Dienstag maashi und molokheya, ein leicht schleimiger Eintopf aus Malvenblättern, den die Ägypter lieben. Der Rest wird improvisiert. „Ich habe kein bestimmtes Rezept, an das ich mich jeden Tag halte”, sagt sie. „Die mess’a heute ist anders als die morgen.”
Das ägyptische Essen ist berüchtigt für seinen hohen Gehalt an Öl, Butter und Sahne. Für Somaya ist aber Frische viel wichtiger: Sie benutzt eine selbstgemachte Hühnerbrühe aus acht ganzen Hühnern und nicht nur aus Fett. „Damit schmeckt der Reis und alles, was man damit kocht, viel besser”, sagt sie begeistert.
Und es gibt natürlich Brot: „Bei den Indern gibt es Reis, bei den Italienern Pasta. Hier ist das anders. Brot ist Teil unserer Kultur”, erklärt sie mir. „Wenn wir zum Essen zusammenkommen, gibt es natürlich auch Reis, verschiedene Saucen und andere Zutaten. Aber Brot muss auf jeden Fall dabei sein. Brot hält unsere Kultur zusammen.”
Obwohl ihr Restaurant nur drei Stunden am Tag geöffnet ist, ist es hier immer voll. „Wenn alle mit dem Essen fertig sind, schließe ich”, sagt Somaya. Nur selten bleibt etwas von ihrem Essen übrig.
Trotz ihres Erfolges will Somaya, dass ihr kleines Restaurant seine intime Atmosphäre beibehält. „Wenn es noch größer würde, dann wäre es ein normales Restaurant und das wäre einfach nicht das Gleiche”, meint sie. „Wenn die Leute hierher kommen und mich nicht sehen, dann werden sie auch nicht essen.”