Seit diesem Wochenende ist Allen Iverson ein Hall-of-Famer. Diese Ehre wurde ihm für seine einzigartige Basketball-Karriere zuteil. Iverson war das Idol einer ganzen (HipHop)-Generation, weil er mit 1,80-Metern eine ganze Liga dominierte und sich dabei nie verstellte. Doch wenn es nach etlichen Sportexperten geht, hätte AI dasselbe auch in einer anderen Sportart schaffen können: Football.
Der renommierte NFL-Scout Tom Lemming erinnert sich noch ganz genau daran, als er Allen Iverson zum ersten Mal an der Bethel High School in Hampton Football spielen gesehen hat. Damals hatte er sich im Bundesstaat Virginia schon einen Namen als großartiges Talent gemacht. Man rechnete damit, dass er zu den Sport-Schwergewichten unter den US-Colleges gehen würde.
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„Er war unfassbar reaktionsschnell, hatte den richtigen Instinkt und bewegliche Hüften”, erzählte Lemming VICE Sports. „Ein paar Leute fragen mich noch immer, wie gut er war. Er war ein großartiger Spieler. Kein guter, sondern ein großartiger.”
In einem Paralleluniversum wäre Iverson vielleicht ein bahnbrechender NFL-Pro-Bowler geworden. Mit seiner Athletik und seiner furchtlosen Aggressivität hätte er auch dem Football seinen Stempel aufdrücken können. Iverson hatte von den wichtigsten Colleges Angebote für deren Football-Programme auf dem Tisch liegen. Am Ende entschied er sich für Basketball, obwohl man eher sagen müsste: Er hatte eigentlich keine Wahl, denn es hieß entweder Basketball oder gar nichts.
Die Doku Iverson zeigt den jungen Allen auf dem Football-Feld, Sein damaliger High-School-Trainer, Gary Moore, erinnert sich an einen verdammt ehrgeizigen jungen Mann:
„Vom ersten Tag an wollte er sich überall reinschmeißen und mitspielen”, so Moore in der Doku über seinen früheren Schützling. „Er wollte mein Starspieler werden. Diese Aggression und diesen Enthusiasmus habe ich an ihm am meisten bewundert. Als ich ihn auf dem Platz tänzeln und rennen sah, als ich erlebte, wie er über das komplette Feld sprintete, ohne dass ihn seine Gegenspieler auch nur berühren konnten, war ich mir sicher: ‚Der Junge ist etwas Besonderes.’”
Moore und Iverson blieben auch nach der High-School-Zeit des 11-maligen NBA-All-Stars in engem Kontakt. Moore wurde erst zu einem Mentor für Iverson und ist mittlerweile sein Manager.
Alle Highschools in seiner Gegend wollten Iverson an ihrer Schule haben. Am Ende ging er auf die Bethel, was auch damit zu tun hatte, dass der dortige Football- und Leichtathletik-Coach schon Iversons Tante trainiert hatte.
Schon in seinem ersten Highschool-Jahr kamen Hunderte Fans zu den Spielen, um das große Talent im Junior-Team zu sehen. Im darauffolgenden Jahr schaffte er den Sprung zum Starter als Wide Receiver. In dritten Jahr wurde er von seinem Trainer zum Quarterback aufgebaut. Als Defensive Back schaffte Iverson fünf Interceptions in einem Spiel und egalisierte einen Uralt-Rekord in seinem Bundesstaat. Außerdem führte er sein Team mit weißer Weste in der Regular Season in die Playoffs, wo man aber in der ersten Runde überraschend rausflog.
Abseits vom Platz war Iversons Leben dafür weitaus weniger rosig. Seinen Vater sah er fast nie und auch seine Mutter war nicht immer für ihren Sohn da. Darum lebte er zwischenzeitlich auch mal bei den Familien von Moore und Mike Bailey, seinem Basketball-Coach. Eines Tages wurde er beim Drogen kaufen beobachtet, doch die Polizisten drückten ein Auge zu und informierten Iversons Trainer, damit der sich seinen Schützling zur Brust nimmt. Denn eins stand fest: Hätten sie den jungen Mann verhaftet, wäre es das wohl mit einer Sportlerkarriere gewesen. Gegenüber seinem Trainer gestand Iverson, dass er Drogen gekauft hat, dass die aber für seine Mutter bestimmt gewesen sind. Sein Coach glaubte ihm. Und wir sollten einige Jahre später einen Superstar mehr im US-Sport zu sehen bekommen, wenn auch in der NBA.
Basketball spielte er fast ganzjährig, Football hingegen nur zwischen August und Dezember—das schien sich aber nicht negativ auf seine Entwicklung auszuwirken. Als Junior führte Iverson seine Highschool 1992 zur Meisterschaft in Virginia. Wenige Tage vor dem Endspiel fuhr Bo Henson—Coach der E.C. Glass High School, die schon als Finalgegner feststanden—die 400 Kilometer von Lynchburg nach Hampton, wo das Halbfinalspiel zwischen Bethel gegen Huguenot auf dem Programm stand. Bethel lag im vierten Viertel mit 0:16 zurück. Das Aus schien nicht mehr abzuwenden.
„Irgendjemand schaute mich an und sagte: „Schreib sie noch nicht ab, Iverson wird sie zurückbringen”, erzählt Henson.
Und genau das machte Iverson auch. Erst warf er einen Touchdown-Pass, dann sorgte er für zwei erfolgreiche Two-Point-Conversions und erlief noch zwei Touchdowns. Am Ende stand 22:16 auf der Anzeigetafel, Bethel war im Finale, wo sie wenige Tage später dann auch Bo Hensons Truppe aufmischen sollten—und zwar so richtig. Dabei hatte Henson noch seinen Quarterback Tate Gallagher vor dem Spiel auf die Gefährlichkeit von Iverson hingewiesen. „Er hat versucht, mich zu warnen”, erinnert sich Gallagher.
Als Gallagher im Stadion ankam, konnte er den Wirbel um Iverson nicht nachvollziehen. Zusammen mit seinen Teamkameraden musterte er den Star der gegnerischen Mannschaft—und war alles andere als eingeschüchtert. „Wir dachten uns, hä, seine Beine sehen wie Nudeln aus und seine Arme auch. Das kriegen wir hin’”.
Diese Zuversicht sollte nicht lange anhalten. Schon im ersten Viertel schaffte Iverson für sein Team zwei Touchdowns. Am Ende überrollte Bethel, angeführt von Iverson, seinen Gegner mit 27:0. „Seine Geschwindigkeit war unglaublich”, so Gallagher. „Er war so schnell.”
„Ich habe in 21 Jahren gegen großartige Spieler gespielt”, meinte Henson. „Aber der Beste von allen, der gegen meine Jungs gespielt hat, war Iverson…. Bei ihm hatte ich das Gefühl, dass jede Ballberührung von ihm zu einem Touchdown führen könnte.”
Zu Iversons Highschool-Zeiten kamen Dutzende Football- und Basketballtrainer der wichtigsten Colleges zum Training, um den Hochgelobten mit eigenen Augen zu sehen und zu umgarnen. Die Florida State stellte sich Iverson als idealen Nachfolger von Charlie Ward vor, der für seine Uni als Quarterback im Football-Team und als Pointguard in der Basketball-Mannschaft gespielt hat. Nach dem Gewinn der Heisman-Trophy 1993 hörte Ward mit dem Football auf und begann eine elf Spielzeiten lange NBA-Karriere.
„Wir wollten ihn unbedingt zu uns lotsen”, erinnert sich der Assistant-Headcoach der Florida State, Chuck Amato, gegenüber VICE Sports. „Er war einfach ein großartiger Athlet und Wettkämpfer.”
Iverson wurde in jener Saison zum besten Highschool-Footballer in ganz Virgina ausgezeichnet. Denselben Preis sicherte er sich nur wenige Monate später im Basketball, nachdem er mit durchschnittlich 31,6 Punkten pro Spiel Bethel zur Staatsmeisterschaft geführt hatte. Wie sich herausstellen sollte, war das Finale das letzte wichtige Football-Spiel, das Iverson jemals spielen sollte. Einem Bowling-Abend in Hampton sei Dank.
Im Februar 1993 wurde Iverson wegen seiner angeblichen Beteiligung an einer Schlägerei in einem Bowlingcenter verhaftet. Der Fall war genauso kontrovers wie rassistisch motiviert: Rassistische Beleidigungen sollen den Kampf ausgelöst haben. Von insgesamt 12 Beteiligten wurden nur Iverson und seine Freunde festgenommen, alle von ihnen waren schwarz. Gegen die weißen Täter wurde hingegen nie Anklage erhoben. Iverson wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Auch wenn er nach einer Begnadigung schon nach vier Monaten wieder auf freiem Fuß war, schien seine sportliche Karriere beendet, bevor sie überhaupt erst richtig begonnen hatte.
Denn plötzlich wollte keines der Colleges mehr etwas von Iverson wissen. Trotzdem endete er in Georgetown, wo er unter dem legendären Trainer John Thompson Basketball spielte—und bei dem er sich auch in seiner Hall-of-Fame-Rede besonders ausdrücklich bedankte. Dass er überhaupt noch auf ein College gehen durfte, war der Verdienst seiner Mutter. Denn die reiste alleine nach Georgetown und bat Thompson darum, ihrem Sohn eine Chance zu geben. Auch wenn Iverson verdammt dankbar für die Chance war, war es doch gleichzeitig der Genickschuss für seine Football-Ambitionen.
„Thompson meinte zu mir: ‚Wenn du auch nur daran denkst, hier Football zu spielen, werde ich dir deinen dünnen schwarzen Arsch aufreißen’”, so Iverson in einem Interview. „Und damit war das Kapitel Football für mich beendet. Ich meine, er hat mir doch recht deutlich erklärt, dass ich nicht deswegen hier bin.”
Im Nachhinein kann niemand widersprechen, dass Iversons „Entscheidung” pro Basketball die richtige war. Er war der Top-Pick beim NBA-Draft 1996, wurde 2001 zum MVP gewählt, war elf Mal im Allstar-Team und hatte einen höheren Punkteschnitt als jeder andere Pointguard der Geschichte. Es gibt keinen Zweifel daran, dass er in die Hall of Fame gehört. Und trotzdem bleibt diese eine, verdammt spannende, Frage unbeantwortet. Wie weit hätte es Iverson als Football-Profi geschafft. Auch wenn ihm viele Experten eine super Karriere zugetraut hätten: Wir werden es niemals wissen.
„Football wird immer meine Nummer-1-Sportart bleiben”, meinte Iverson zum US-Sender CBS im Mai. „Es war meine erste Liebe. Wenn in meinem Leben gewisse Dinge anders gelaufen wären, hätte ich wohl Football und nicht Basketball gespielt. Aber Gott hatte andere Pläne.”
Und diese Pläne hatten verdammt nochmal Swag und Zug zum Korb.