Der Journalist Paul Refsdal drehte die Dokumentation Dugma: The Button, ein Film über Menschen, die planen sich selbst in die Luft zu sprengen. Refdal hat Kämpfer der in Syrien ansässigen al-Nusra-Front begleitet. Sie alle haben ihre Namen auf eine Märtyrer-Liste gesetzt und warten nun darauf, dass man sie in einem mit Sprengstoff beladenen LKW in den Kampf gegen Assads Regime schickt.
Refsdals Aufnahmen ermöglichen einen ungefilterten Einblick in die Denkweise dieser Männer. Die beiden Hauptfiguren sind Abu Qaswara aus Saudi-Arabien, der eine Vorliebe für Brathühnchen hat, sowie Abu Basir, ein prinzipientreuer Dschihadist aus Großbritannien, der sich verlieben und eine Familie gründen will.
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Vor Kurzem hat der Anführer der al-Nusra-Front, Abu Mohammed al-Dscholani,verkündet, dass sich die Gruppierung von al-Qaida losgelöst und in “Dschabat Fateh al-Scham” umbenannt hat. Unabhängig davon gehen die Kämpfe weiter und am ultimativen Ziel—also dem Sieg über Assad und die Kontrolle über Syrien—hat sich nichts geändert.
Ich habe mich mit Refsdal in Verbindung über Märtyrer, Entführungen und seine Beziehung zu al-Qaida gesprochen.
Der Trailer von ‘Dugma: The Button’
VICE: Hey Paul. Was hat dich dazu bewegt, Dugma: The Button zu drehen? Wolltest du die zukünftigen Märtyrer irgendwie vermenschlichen?
Paul Refsdal: Als ich nach Syrien reiste, hatte ich das Thema der Selbstmordattentäter noch gar nicht im Kopf. Eigentlich wollte ich nur eine Gruppe von untergeordneten Kämpfern der al-Nusra-Front porträtieren und sie so lange wie möglich begleiten, um ihre Denkweise und Psyche zu verstehen. Ich kann deine zweite Frage also an sich mit Ja beantworten. Ich bin aber trotzdem ganz offen an diese Sache rangegangen. Wenn sie vor meinen Augen zum Beispiel eine Exekution durchgeführt hätten, wäre es für mich kein Problem gewesen, genau das auch zu zeigen. Mein Ziel war vor allem, hier nichts zu beschönigen.
Wie hast du dir Zutritt in die Organisation verschafft?
Im Grunde lief das Ganze ab wie bei einer normalen Bewerbung. 2010 veröffentlichte ich ja schon Behind the Taliban Mask, eine Dokumentation über die Taliban. Darin zeigte ich die etwas menschlichere Seite der Miliz und gab natürlich genau das auch an. Dazu nannte ich dann wie in einem Lebenslauf noch diverse andere Referenzen. Was mir auch noch in die Karten spielte, waren die Briefe, die die US-Spezialeinheiten 2011 auf Osama Bin Ladens Grundstück gefunden hatten. In einem dieser Briefe hat ein Medienbeauftragter von al-Qaida nämlich mehrere Journalisten empfohlen und einer davon war ich.
Hat dich die al-Nusra-Front in Bezug auf den Inhalt des Films in irgendeine bestimmte Richtung gedrängt?
Überhaupt nicht. Sie ließen mir einerseits freie Hand, wollten aber andererseits natürlich auch, dass das Ganze objektiv bleibt. Im Film gibt es zum Beispiel eine Szene, in der ein wütender Mann nach einer Bombardierung der Anti-IS-Koalition herumschreit und meint, dass die nur auf die Häuser von Zivilisten abzielt. Dann korrigiert ihn jedoch ein anderer Mann, der sagt: “Bitte erzähle die Wahrheit.” Man hat nämlich einen Militärstützpunkt angegriffen. Und dieser Mann ist ein Kommandant der al-Nusra-Front. In anderen Worten: Obwohl sich für ihn die Chance bot, Propaganda zu betreiben, hat er sich dagegen entscheiden. Ich glaube, dass sie einfach nur ehrlich rüberkommen wollten.
Was hat dich an Abu Qaswara—einem der Protagonisten—besonders fasziniert?
Bei ihm handelt es sich um das genaue Gegenteil des stereotypen Selbstmordattentäters. Ich rechnete zum Beispiel mit jungen, engstirnigen Männern [Abu Qaswara ist 32], die keine Ahnung vom Leben außerhalb ihres Dorfes haben. Er ist jedoch ganz anders—großzügig und nett—und stammt aus Saudi-Arabien.
Eine der bewegendsten Szenen des Films ist die, in der Abu Qaswara verrät, dass er mit seinem Vater telefonieren wird, wenn er den Sprengstoff-LKW fährt.
Hier muss man wissen, dass ihn sein Vater intensiv in eine gewisse Richtung drängte. Ich habe gehört, dass das bei Saudis oft der Fall ist. Als Märtyrer erreicht man nämlich nicht nur die höchste Stufe des Paradieses, sondern darf auch noch 70 Familienmitglieder mitbringen. Deshalb wählt die Familie manchmal einen Sohn aus, der ihnen allen ein schönes Leben nach dem Tod bescheren soll. Das alles deute ich im Film jedoch nur an. Abu Qaswaras Vater wollte am Telefon bei der Explosion dabei sein. So hat er seinen Sohn auch in einer Nachricht gefragt, wann er denn sterben würde. Aus diesem Grund glaube ich auch, dass der Vater hier die eigentliche treibende Kraft war. In anderen Worten: Ich bin mir nicht sicher, ob Abu Qaswara das Ganze wirklich machen wollte.
Ich will hier nicht zu viel verraten, aber das Ganze läuft dann ja anders ab, als es geplant war. Glaubst du, dass Abu Qaswara mit dem Ausgang zufrieden ist?
Erst gestern hat er mir eine WhatsApp-Nachricht geschickt. Ich meinte zu ihm, dass er auf sich achtgeben solle. Daraufhin schrieb er mir, dass es ihm immer gut gehen würde, so lange es auf dieser Welt noch Hühner gibt. Brathühnchen sind nämlich seine Leibspeise.
Und wie steht es um den Briten Abu Basir al-Britani? Hat er den Respekt seiner Brüder verloren, weil er sich wieder von der Märtyrer-Liste streichen ließ?
Abu Basir fiel diese Entscheidung nicht leicht, weil es laut ihm sein größter Traum war, als Märtyrer zu sterben. Ich glaube jedoch nicht, dass ihm sein Umdenken irgendwelche Probleme bereitet hat, denn so etwas ist normal. Und außerdem ist das Ganze auch nur Teil einer größeren Mission, denn der LKW mit dem Sprengstoff soll ja vor allem ein Loch in die Front reißen, durch das die Soldaten dann stürmen und angreifen können. Für den Fall, dass der erste Märtyrer jedoch plötzlich umdenkt, gibt es immer einen Ersatz. Die Liste ist lang und Abu Basir hat genau deswegen wohl auch nichts zu befürchten.
Wie war die Erfahrung mit der al-Nusra-Front im Vergleich zur Produktion deiner Dokumentation über die Taliban?
Mit der al-Nusra-Front war es viel einfacher—nicht nur in Bezug auf das sprachliche, sondern auch auf das kulturelle Verständnis. Einige Mitglieder kommen aus den Golfstaaten und haben Universitätsabschlüsse. Da fiel die Kommunikation natürlich nicht so schwer. Bei den Taliban konnten die meisten Leute weder lesen noch schreiben und hatten auch keine Ahnung, welchem Risiko sie sich überhaupt aussetzten. Anders gesagt: Bei ihnen handelte es sich um Männer, die ihr Heimattal noch nie verlassen haben. Das Ganze war also schon noch mal etwas ganz Anderes.
Außerdem haben dich die Taliban während der Dreharbeiten entführt.
So etwas passiert dort nun mal. Der Kommandant wollte erneut heiraten und brauchte dafür Geld. Also fasste er den Plan, mal schnell diesen Journalisten zu entführen. Irgendwie war das auch ziemlich absurd.
Sie haben dich dann eine Woche lang gefangen gehalten. Wo genau?
Ich war bei einem alten Mann und seinen Söhnen zu Hause untergebracht. Ich durfte nachts das Grundstück sogar verlassen, um auf die Toilette zu gehen, aber mein Dolmetscher meinte, dass unsere Entführer bei einer Flucht die Familie bestrafen würden. Eigentlich kann man sich so etwas gar nicht ausdenken. Außerdem drückte man mir eine geladene AK-47 in die Hand, weil man befürchtete, dass mich eine andere Dschihadisten-Gruppierung kidnappen könnte. Letztendlich war dann auch ich derjenige, der in der norwegischen Botschaft anrufen musste, weil meine Entführer nicht mehr genügend Guthaben auf ihren Handys hatten und auch nicht weiter als bis zur Vermittlung kamen. So konnte ich den Sicherheitsbeauftragten der Botschaft in Ruhe auf Norwegisch erklären, wo genau ich mich befand, wie viele Leute dort waren und so weiter. Ich kam mir vor wie in einem Monty-Python-Sketch. Aber das ist halt Afghanistan.
Vielen Dank für das Gespräch, Paul.