Popkultur

Das vergiftete Finale: Die neue ‘House of Cards’-Staffel hat alles, was wir brauchen

Claire Underwood (Robin Wright) steht in der sechsten Staffel 'House of Cards' im Oval Office

Dieser Artikel enthält Spoiler.

Kevin Spacey – äh, Frank Underwood ist tot. Es lebe die Präsidentin! Die Macher von House of Cards schrieben Spaceys gnadenlosen Emporkömmling aus der Serie, als dem Oscar-Preisträger 2017 sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden. Nun ist Francis Underwood also – aus bisher unbekannten Gründen – weg vom Weißen-Haus-Fenster und seine Witwe Claire übernimmt das Präsidentinnenamt.

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Diese Wendung könnte sich extrem unnatürlich anfühlen und aus der Serienwelt reißen, tut sie aber nicht. Die sechste Staffel wirft uns in einen dichten, verworrenen Sumpf aus politischen Intrigen und Bedrohungen, Macht und Gewalt – in anderen Worten: House of Cards ist wieder all das, was die Serie zum Welthit gemacht hat.

Die neuen Folgen steigen ein, als Claire Underwood ihre ersten 100 Tage als Präsidentin der Vereinigten Staaten hinter sich hat. Robin Wright verleiht ihrer Figur die gewohnte starke Präsenz – aber jetzt, wo sie das Rampenlicht nicht länger teilen muss, wird ihre Performance geradezu hypnotisch. Sie pflügt entschlossen durch die Korridore des Weißen Hauses, durch Cocktailpartys und Benefiz-Ansprachen. Sie ist elegant und beherrscht, ein politisches Raubtier in maßgeschneiderten Designerkostümen. Und sie übernimmt das Markenzeichen der Serie, das direkte Gespräch mit dem Publikum. Wo Frank Underwood uns unverhohlen seine Gedanken und Meinungen anvertraute, wirkt Claire vorsichtiger. Als habe sie uns etwas zu beweisen.

“Was auch immer Francis Ihnen in den letzten fünf Jahren gesagt hat – glauben Sie kein Wort”, sagt sie in einer großartigen Szene, die zwischen diesem Tacheles-Gespräch und einer Standard-Feiertagsansprache vor dem Militär hin- und herschneidet. “Zwischen Ihnen und mir wird es anders laufen. Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen.”

In den Folgen, die VICE schon vor der Staffelpremiere sehen durfte, muss Claire sich ihren Hauptfeinden stellen: Annette und Bill Shepherd (Diane Lane und Greg Kinnear). Die Geschwister – die sich verstörend nahestehen – betreiben einen Industriekonzern, durch den sie die Weltpolitik beeinflussen. Seth Grayson, der Ex-Pressesprecher des Weißen Hauses, hat anscheinend nach seiner Entlassung eine Zeit lang weiter für Frank gearbeitet und ist inzwischen ein loyaler Handlanger der Shepherds. Franks ehemalige rechte Hand Doug Stamper (Michael Kelly) muss sich einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen, nachdem er den Mord an der Journalistin Zoe Barnes so halbwegs gestanden hat. Zeitungschef Tom Hammerschmidt arbeitet derweil verbissen weiter daran, die Wahrheit über Barnes’ Tod aufzudecken.


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Außerdem entwickelt Annette Shepherds Sohn, der Medienmogul Duncan, eine Überwachungs-App, die US-Regierung konkurriert mit dem russischen Präsidenten Petrov (Lars Mikkelsen) um syrische Ölreserven und die ISIS-artige Terrororganisation ICO will verhandeln. Ach ja, und die ehemalige Außenministerin Cathy Durant (Jayne Atkinson) droht immer noch, über die kriminellen Machenschaften der Underwoods auszusagen. Zum Beispiel, dass Frank sie am Ende der fünften Staffel die Treppe runtergeschubst hat. Claires Vizepräsident Mark Usher gibt sich als ihr größter Verbündeter – aber ist er das wirklich?

Claire Underwood ist definitiv keine Heilige. Unter anderem sehen wir, wie sie einen Mord in Auftrag gibt. Doch die Probleme, mit denen sie sich rumschlägt – russische Aggression, antidemokratischer Einfluss von Lobbyisten, internationale Konflikte – sind sehr nah an den realen Herausforderungen der US-Politik. Die Präsidentin ist eine abgebrühte, fast schon teuflische Strategin. Und doch ist sie um Längen sympathischer als der, der im Moment tatsächlich im Weißen Haus sitzt.

Die Claire der finalen Staffel ist unaufhaltsam. In einem Meeting wirkt sie wie erstarrt, als säße sie in einer Sackgasse – und dann blickt sie in die Kamera und sagt: “Inkompetenz vorzutäuschen ist so ermüdend.” Wenig später spricht Petrov mit Doug Stamper, die beiden sind umgeben von mächtigen Regierungsvertretern. “Wen fürchten Sie am meisten? Von allen hier?”, fragt Petrov. “Sie”, antwortet Doug – und meint damit Claire. Vielleicht macht gerade ihr sympathisches Auftreten sie noch gefährlicher als ihren aufbrausenden Mann.

Frank Underwoods aggressive Überheblichkeit war sein Untergang. Sie brachte ihm unnötig viele Feinde ein und bewegte schließlich den Ex-Präsidenten Garrett Walker dazu, in Staffel fünf gegen ihn auszusagen. Dass Claire nun ihre Schachzüge machen kann, ohne die episch-tragische Egomanie ihres Mannes umschiffen zu müssen, hat etwas sehr Befriedigendes. Wo Frank pompös und bombastisch war, hat Claire alles im Griff, bleibt kühl und kalkulierend.

In der ersten Folge der sechsten Staffel fängt Claire einen Vogel ein, der sich ins Weiße Haus verirrt hat. Sie trägt ihn nach draußen und spricht dabei zu uns: “Es stimmt nicht, was er Ihnen damals gesagt hat.” Sie meint Franks Monolog aus der allerersten Szene der Serie: Er philosophiert über den Unterschied zwischen “Schmerz, der einen stärkt” und “sinnlosem Schmerz”, bevor er einen angefahrenen Hund erdrosselt. “Es gibt nur eine Art. Schmerz ist Schmerz”, widerspricht Claire, den Vogel fest in Händen. Einen Augenblick lang sieht es aus, als würde sie das arme Tier zerquetschen, nur um ihre Aussage zu untermalen. Damit sich uns dieser Gedanke aufdrängt, braucht es sehr wenig – House of Cards hat uns über Jahre hinweg konditioniert, Grausamkeit zu erwarten. Stattdessen sagt sie: “Francis, ich bin fertig mit dir.” Und lässt den Vogel frei.

Trotzdem hallen Frank Underwoods Taten in Claires Leben nach. Jeder Konflikt in der sechsten Staffel macht das deutlich. Aber es ist einfach köstlich zuzusehen, wie sie sein giftiges Erbe hinter sich lässt – und stattdessen versucht, ihr eigenes aufzubauen.

In Deutschland erscheinen alle acht Folgen der sechsten Staffel House of Cards am 2. November auf Sky. Ein Netflix-Release soll in einigen Monaten folgen.

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