Am Sonntag habe sie zuletzt was konsumiert, Koks und „Tiafes” geschnupft, ist sich Nadja*, eine Freundin der verstorbenen Kärntnerin, sicher. Danach angeblich nichts mehr, auch mit Hinblick auf den anstehenden Harntest am kommenden Freitag. Die Mutter des verstorbenen Mädchens bezweifelt diese Version der Geschichte; ihr zufolge müssten noch kurz vor dem Tod Drogen im Spiel gewesen sein.
Dienstagabend, kurz vor Mitternacht, wurde die 18-Jährige jedenfalls bewusstlos und habe sich nicht mehr wecken lassen. Der 24-jährige Freund habe daraufhin sofort die Rettung verständigt, die nach knapp 20 Minuten eintraf; laut Einschätzung aller Augenzeugen nach längerer Wartezeit als üblich. Nach notärztlichen Maßnahmen musste der Kampf um die 18-Jährige aufgegeben werden—Atemstillstand, Herzstillstand.
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Die junge Frau sei schon seit längerem in schlechtem Zustand gewesen und litt an Kaliummangel; aufgrund von Magersucht habe sie im Vorjahr auch den Großteil der Zeit in einem Krankenhaus verbracht.
Der Tod der 18-Jährigen markierte den fünften drogenbezogenen Todesfall in Kärnten in diesem Jahr. Anfang Jänner starb ein 21-Jähriger Soldat aus Klagenfurt an einer Überdosis Heroin; zwei Wochen danach wurde ein 26-Jähriger leblos in einer Wiese in Klagenfurter Stadtteil Waidmannsdorf entdeckt; drei Tage später starb ein 28-Jähriger in seiner Klagenfurter Wohnung an Heroin. Im Februar wurde dann ein 50-Jähriger Spittaler von seiner Mutter tot aufgefunden—altersmäßig war er der Ausreißer in der traurigen Serie. Noch während der Recherche zu diesem Artikel wird gemeldet, dass es keine zwei Wochen nach dem Tod der 18-Jährigen Feldkirchnerin Anfang März, bereits den nächsten, sechsten Todesfall gibt: ein 28-Jähriger, ebenfalls aus Feldkirchen.
„In dieser Art habe ich das tatsächlich noch nie erlebt”, sagt Ernst Nagelschmied, Suchtgiftbeauftragter der Stadt Klagenfurt und seit über 30 Jahren in der Beratungsstelle VIVA tätig. 2015 hat es in Kärnten insgesamt neun drogenbezogene Todesfälle gegeben, bereits diese Zahl war im Jahresvergleich ein Spitzenwert. „Wenn es so weitergeht haben wir heuer dreimal so viele Tote wie im Vorjahr”, warnt auch Gerald Kattnig, der Leiter der Drogenambulanz Roots in Villach. Die jüngste Serie erscheint ungewöhnlich, denn österreichweit ist die Zahl der drogenbezogenen Todesfälle seit Jahren rückläufig.
Wenn man sowohl bei den Experten, als auch bei den Behörden nach möglichen Ursachen für die traurige Serie fragt, erfährt man recht einstimmig die Ansicht, dass an Drogen derzeit ein Überangebot im Land herrscht. Einerseits tue das Darknet seinen Dienst, anderseits spielt auch die geografische Lage des südlichen Bundeslandes eine Rolle.
Kärnten liegt am Ende der klassischen Balkan-Route, die aus dem Nahen Osten über die Türkei, Bulgarien und Serbien nach Slowenien führt, und über die hauptsächlich Opiate nach Westeuropa geschmuggelt werden. „Das Heroin macht uns derzeit sicherlich die meisten Sorgen”, meint Karl Schnitzer, Leiter der Suchtmittelgruppe bei der Kärntner Landespolizei. Auch sei es in immer stärkerer Qualität vorhanden. Am Markt in Kärnten wird es dann weniger über größere, organisierte Banden, sondern über viele „kleine Zellen” verkauft. „Es ist eine Art Ameisenverkehr über die Grenze und das ist vielleicht aus das Problem.”
„Eine Bekannte verlor durch Somnubene ihren Arm, einem 18-Jährigen wurde auf Benzos von ,Freunden’ noch H gespritzt”
Am 8. März gingen den Kärnten Behörden ein 23-Jähriger Klagenfurter und ein 26-Jähriger Serbe ins Netz, die über Monate hinweg etwa 1,5 Kilogramm Heroin über die Grenze geschmuggelt haben dürften. Vergangene Woche erwischte man einen 24-Jährigen in einem Linienbus aus Laibach, der 55 Gramm Heroin bei sich hatte. Nadja kennt ihn, wie man überhaupt die meisten Dealer in der Szene auch persönlich kennt. Die kleinen Zellen würde sie eher als „Freunde, die Geld machen wollen” bezeichnen, die ihre Kurztrips nach Slowenien oft über den Zug oder Bus erledigen.
Die 18-Jährige Feldkirchnerin war bereits die dritte Person, die Nadja aus ihrem engeren Bekanntenkreis verlor. Sie weiß viele, böse Geschichten zu erzählen, über eine Bekannte, die durch Spritzen von Somnubene ihren Arm verlor, oder einen 18-jährigen, guten Freund, dem auf Benzos noch von „Freunden” das H in den Arm gespritzt wurde und es nicht überlebte. Mittlerweile sei unter ihren Freunden jeder zweite „im Programm”.
Abgesehen von den hohen Drogenvorkommnissen wird von den Experten auch die Situation der Kärntner Drogenberatung beschrieben—sie erscheint überlastet, überfordert und unterfinanziert.
Aus den Drogenberichten der letzten Jahre geht hervor, dass in Kärnten seit Jahren anteilsmäßig die höchste Nachfrage an Drogenersatzprogrammen besteht. Ein Hinweis dafür, dass viele Süchtige den Weg über das „sicherere Programm” auch wählen möchten. Gleichzeitig herrscht genau hier eine Barriere: denn seit über einem Jahr besteht ein Aufnahmestopp in der wichtigsten Drogenambulanz des Landes, in Klagenfurt.
„Wir übernehmen die überschüssigen Patienten so gut es geht, allerdings herrscht auch bei uns etwas Wartezeit”, meint Gerald Kattnig, der bei Roots in Villach die einzige Alternative zum Programm in Klagenfurt anbietet. Für Kattnig wäre eine Lösung des Problems, endlich die Situation in Klagenfurt zu klären und zudem mehrere Betreuungsstellen auch an kleineren Orten zu errichten. Sein Vorhaben, schon vor längerer Zeit eine erste Stelle auch in Feldkirchen anzubieten, wo das Suchtproblem derzeit als besonders kritisch gilt, scheiterte an der Finanzierung.
Seit Jahren ist in Kärnten die Nachfrage an Ersatzdrogen am größten, dennoch herrscht bei der Drogenambulanz Klagenfurt Aufnahmestopp.
Der Aufnahmestopp aufgrund von Überlastung besteht nun seit über einem Jahr, die Stadt Klagenfurt hat als Inhaber der Ambulanz wiederum im Mai 2015 ihren Vertrag mit dem Land Kärnten aus Kostengründen gekündigt. Seither wird ein externer Betreuer gesucht und der Zustand ist unverändert.
Ernst Nagelschmied von VIVA beklagt auch die mickrige Anzahl stationärer Einrichtungen: „Es gibt im ganzen Land gerade einmal fünf Entzugsbetten, drei in Klagenfurt und zwei In Villach, die sind natürlich permanent ausgelastet.” Dabei sei es seiner Ansicht nach wichtig, die Betroffenen gerade in solchen Stationen für einige Zeit „zu stabilisieren”, sie kurzfristig aus ihrem Alltagstrott zu holen. „Das sind Defizite, die halt ,Karrieren’ fördern”, meint der Drogenbeauftragte. Im Grunde sei alles eine politische Entscheidung, mit Hinblick auf die drohende Pleite des Landes lasse sich aber schwer etwas einfordern.
Nirgendwo in Österreich ist der Anteil an jungen Menschen im Drogenersatzprogramm jünger als in Kärnten. 60 Prozent der Patienten sind hier unter 30 Jahren. Zum Vergleich: in Wien sind es in der Altersgruppe gerads einmal 20 Prozent. Dass das Suchtproblem in Kärnten im Speziellen ein „junges” ist, zeigt einem leider auch das Alter—21, 26, 28, 18, 28— der heuer bisher Verstorbenen.
*Name wurde geändert
Thomas auf Twitter:@t_moonshine