Wieso zur Hölle redet Schweizer Rap nicht über Sexismus?

Seit der #MeToo-Bewegung zieht sich die Sexismus-Debatte weltweit durch die Kultur- und Unterhaltungs-Branchen: Die Macher der Swiss Music Awards befassten sich mit dem “Frauenproblem” in der Schweizer Musik, Zürcher Clubs wollen mit “Ist Luisa da?” ein Zeichen gegen sexuelle Belästigung im Ausgang setzen und Frauen fordern mehr Power für den Schweizer Film. Nur die HipHop-Szene scheint sich mit diesem Thema schwer zu tun. Ist Rap einfach sexistisch und homophob? Zusammen mit SRF Virus haben wir Rapper und Rapperinnen am Bounce Cypher mit dieser Frage konfrontiert.

Unser Video vom Bounce Cypher sorgt nun durch einen Post von Ex-Noisey-Redaktor und HipHop-Koryphäe Uğur Gültekin für Diskussionen in der Schweizer Rap-Szene. Er fordert: “Wir müssen uns gegenseitig auf unsere Sprache aufmerksam machen, wir müssen einsichtig sein, wir müssen unser Verhalten ändern, wir müssen wach sein.” In den Kommentaren erläutern Rapper und Szene-Nahe das Problem, suchen nach Ursachen und diskutieren darüber, was HipHop 2018 darf. Emm etwa vertritt in seinen Kommentaren starke Ansichten, die er schon beim Videodreh von Noisey und SRF Virus mit uns teilte.

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Ein Punkt, den Emm aufwirft, ist besonders spannend: Er stellt fest, dass sich die Rap-Szene auch 2018 mit dem Thema Sexismus schwer tut, weil HipHop im Gegensatz zu anderen Kulturbereichen von einer weniger privilegierten Schicht geprägt wird – auch in der Schweiz. Diese Tatsache ist wohl auch ein Hauptgrund dafür, dass die Sexismus-Debatte im Rap nicht ins Rollen kommt: Sie spielt sich nicht dort ab, wo sie geführt werden müsste. Im Moment gibt es drei Lager: Intellektuelle von Aussen, die Rappern reinreden wollen, Intellektuelle aus der Rapszene, die von ihren Kollegen Veränderung und Umdenken fordern, und Rapper, die sich angegriffen fühlen und den Sexismus als Kunstform, Abbild der Gesellschaft oder Harmlosigkeit verteidigen. Der Grossteil der Szene nimmt sich dem Thema Sexismus aber gar nicht ernsthaft an – oder eben nur eine Verteidigungshaltung ein. Und ein Interview zum Thema im Tages Anzeiger wird keinen Rapper in seinem Denkmuster beeinflussen.

SRF Virus Bounce-Moderator Pablo Vögtli sieht einen Grund darin, dass sich die Grundhaltung zur HipHop-Kultur verlagert hat: “Dieses Genre hat seine Wurzeln als kritische Kunstform. Ein Kid, das heute Rap macht, weiss darüber aber nicht zwingend Bescheid. Für viele geht es nur um die Form, in der sie ihren Hedonismus ausleben und sich verwirklichen können. Ob das jetzt Rap oder Schlager ist, kommt für sie eigentlich nicht drauf an.” Der Gründer des Schweizer HipHop-Magazins Lyrics Elia Binelli sieht auch Mangel an Erfahrung als einen Faktor: “Bevor du an einer solchen Debatte teilhaben kannst, musst du deinen eigenen Künstler-Horizont erweitern. Viele – vor allem junge Künstler – haben diese Entwicklung noch nicht durchgemacht. Ihr Horizont reicht vom Studio bis zum Promoplan, weiter nicht.” Dies sei aber nicht verwerflich, weil es nicht die Pflicht eines Künstlers sei, mitzureden und Debatten zu bewegen.

Trotzdem gibt es durchaus reflektierte junge Rapper, die Gesellschaftskritik üben. Sie behandeln in ihren Texten und beziehen öffentlich Stellung zu Rassismus, Armut oder Ungerechtheit. Doch zum Thema Sexismus verstummen sie plötzlich. So will sich auch auf Anfrage von Noisey keiner dieser Rapper zu dem Grund dafür äussern: Die einen hätten sich mit dem Thema nicht genug befasst, um dazu differenziert Stellung zu nehmen. Die anderen wollen sich nicht äussern, weil ihnen das Thema zu heikel sei. “Für mich hatte das Thema nie Dringlichkeit” oder “Meine Antworten könnten vielleicht falsch verstanden werden”, heisst es zum Beispiel.

Pablo und Elia verstehen die Rapper sehr gut. “Die meisten sind sich keines Problems bewusst und denken sich einfach: ‘Hey, was läuft. Die sollen’s mal chillen.’ Ich frage mich, wie viel es bringt, wenn einzelne Medien mit dem Finger auf sie zeigen”, sagt Pablo. Die Motivation zu einem bewussteren Umgang mit sexistischer Ausdrucksweise müsse von innen kommen. Dazu müsse man vor allem Rapper dazu bringen, ihr eigenes Schaffen kritisch zu hinterfragen, meint Elia. Die meisten Rapper sind nämlich gewillt, sich Gedanken zu machen, wenn man ihnen im persönlichen Gespräch auf Augenhöhe begegnet. So wollten sich auch alle Rapper, die wir für diesen Artikel angesprochen haben, mehr mit dem Thema Sexismus auseinandersetzen. Und genau das könnte der Anstoss sein, den es braucht.



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