Identity

Die tragische Geschichte hinter dem Kinderfriedhof der FLDS-Sekte

„Als ich die FLDS verlassen habe und von der Gruppe weggezogen bin, habe ich erst realisiert, dass ich während meiner Kindheit auf ungewöhnlich vielen Beerdigungen gewesen bin”, sagt Alyssa Bistline über eine knackende Telefonverbindung. „Hier draußen sterben nicht so viele Leute und sie werden in der Regel ziemlich alt.”

Die Fundamentalistische Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (kurz FLDS) ist eine Polygamistensekte, die sich entlang der Grenze der beiden US-Bundesstaaten Utah und Arizona erstreckt. Die Zwillingsstädte Hildale in Utah und Colorado City in Arizona sind insgesamt bekannt unter dem Namen „Short Creek”. Die FLDS hat sich 1890 von der traditionellen mormonischen Kirche (Heiligen der Letzten Tage) abgespalten, nachdem diese das Prinzip der Mehrehe verurteilten. Die Mitglieder der FLDS sind der Überzeugung, dass sie die eine wahre Religion ausüben, so wie es der Wille des Propheten Joseph Smith war. Die Mormonen hingegen betonen vehement, dass die Polygamisten der FLDS absolut nichts mit ihrer Kirche der Heiligen der Letzten Tage zu tun haben.

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2006 wurde Warren Jeffs, das damalige Oberhaupt und Prophet der FLDS, festgenommen und wegen Beihilfe zum sexuellem Missbrauch für nur zwei der vielen weiteren Ehen mit Minderjährigen, die er arrangiert hatte, angezeigt. Im Jahr 2011 wurde Jeffs zu lebenslänglich plus 20 Jahre Haft verurteilt. Durch seinen Bruder Lyle—Bischof der FLDS und Sprachrohr für seinen inhaftierten Bruder—erlies Jeffs ein Urteil, das nur „the Judgement” genannt wird, woraufhin allen Mitgliedern der FLDS eine Reihe von bizarren, persönlichen Fragen gestellt wurde. Nachdem alle Antworten bewertet wurden, wurden die Rechtschaffensten unter ihnen in den Vereinigten Orden der FLDS aufgenommen, den „United Order of FLDS elite”. Alle, die es nicht in den Vereinigten Orden geschafft haben, wurden von ihren Familien getrennt und in Gruppen mit anderen „Waisen” des Vereinigten Ordens gebracht, wo sie ihre Sünden bereuen sollten.

Ich fahre nach Short Creek mit Alyssa—die zeitgleich Boise, Idaho ist, wo sie derzeit aufs College geht—, angeschlossen über die Bluetooth-Freisprechanalage des Mietwagens, den ich letzte Nacht in Las Vegas abgeholt habe. Sie führt mich durch die ganze Stadt und folgt Schritt für Schritt auf Google Maps. Wir kommen an dem Haus vorbei, in dem sie groß geworden ist, gemeinsam mit ihrer Mutter, drei älteren Brüdern und ihrem Vater, bevor er aus der Sekte geworfen wurde. Sie führt mich zu den Häusern, in denen sie danach gelebt hat: zum Haus ihres Stiefvaters Jim Jessop, dem heruntergekommenen, kakerlakenverseuchten Haus, das sie und ihre Mutter sich nach dem „Judgement” mit fast zwei Duzent Cousins und Cousinen und einigen Freunden geteilt haben, weil sie aus Jims Haus ausziehen mussten. Ich fahre an der Molkerei vorbei, dem Zoo, dem Park, der ehemaligen Geburtsklinik, der abbruchreifen High-School, die auf einem Fundament aus Lehmziegeln gebaut wurde, und so weiter. Irgendwann komme ich zu der Ecke Canyon Street/Jessop Avenue, wo ich den Babyfriedhof finde.

Fotos: Molly Oswaks.

Der Platz ist nicht ausgezeichnet und ist ziemlich unauffällig. Es gibt kein Schild. Ein zusammengestückelter weißer Holzzaun steht entlang der Canyon Street. Im Norden wird der Platz begrenzt durch ein gepflegtes Grundstück mit einem stattlichen Backsteinhaus, auf dessen Südseite in weißem Stein UEP geschrieben steht („United Effort Plan”, die Treuhandgesellschaft der Kirche, welche heute—nach der Verurteilung von Warren Jeffs—vom Bundesstaat Utah verwaltet wird). Am nordwestlichen Ende des Platzes steht ein Metalltor—wie man es von Rinderfarmen kennt—, das offen in den Angeln hängt. Der Babyfriedhof ist ein Durcheinander aus alles überwucherndem Unkraut und staubiger, riesiger Erde, das Zuhause hunderter Gräber von Säuglingen und Kleinkindern. Nicht alle von ihnen sind gekennzeichnet. Viele der kleinen Seelen, die hier begraben liegen, haben nicht länger als einen Tag gelebt, einige nur zwei Tage, zwei Wochen oder zwei Jahre. Auf manchen stehen Grabsteine, die etwas teurer aussehen; auf ihnen stehen die Namen und ein Datum und Kosenamen wie: „Sweet baby girl”, „Unser Sohn” oder „Ein besonderes Kind des Himmels”. Andere, etwas rätselhafter aussehende, zeigen die Hand- und Fußabdrücke von Kindern.

Es gibt Gräber, die vor den 50er-Jahren entstanden sind, vielleicht sogar noch früher: viele sind nicht gekennzeichnet. Das letzte ausgezeichnete Grab auf dem Friedhof stammt aus dem Jahr 2010. 2011 hat Warren vom Gefängnis aus einen Erlass herausgegeben, der Sex verbietet, sodass seither kaum Kinder geboren wurden (die wenigen Babys, die jedes Jahr zur Welt kommen, sind das Produkt von institutionalisierten Vergewaltigungen von durch die Sekte berufenen, sogenannten „seed bearers”). Es gibt auch Gräber, auf denen kein Datum oder ähnliches steht. Auf manchen liest man nur: „Baby Keate”, „Baby Bateman” oder „Baby Cooke” mit kleinen Löchern dort, wo sonst die Grabschrift mit dem Datum angebracht würde.

Die simple Antwort auf die Frage, warum in dieser polygamen Gruppe so viele Kinder beerdigt wurden, ist Inzucht, so die Mitglieder der Gruppe. Fast jeder hier ist auf irgendeine Art miteinander verwandt und seit Warren eingesperrt wurde und entschieden hat, sämtliche Eheschließungen auszusetzen, wurden die meisten Männer und Frauen so miteinander „verkuppelt”, dass bestimmte hoch angesehene Blutlinien erhalten bleiben: Schwestern wurden in sogenannten „himmlischen Ehen” mit demselben Mann verheiratet, Brüder aus einer Familie haben die Schwestern einer anderen Familie geheiratet (was bedeutet, dass ihre Kinder Doppel-Cousins sind). Und weil die Sekte so verschlossen und abgeneigt ist gegenüber Fremden, ist der Genpool eher begrenzt.

Die FLDS wurde in den späten 1890er-Jahren von einigen radikalen Familien begründet. Als Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts mehr Leute in die polygamen Städte zogen, weil sie dem Prinzip der Mehrehe zu folgen wollten, wuchs der Genpool, aber in den 90ern, unter der strengeren Kontrolle des Propheten Rulon Jeffs (dem Vater von Warren Jeffs), verschärften sich die Regeln und die Leute begannen gezielt sich untereinander zu heiraten und in einer Art gescheitertem eugenischen Experiment fortzupflanzen, das letztlich in einer eigenen genetischen Störung resultierte: Fumarazidurie (FA), auch bekannt als polygamistisches Down-Syndrom. Fumarazidurie ist eine autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselstörung. Das heißt, ein Mensch mit dieser Kondition muss das mutierte Allel von beiden Eltern vererbt bekommen haben. Menschen mit dieser genetischen Stoffwechselstörung leiden meist unter tonisch-klonischen Krampfanfällen sowie Gesichtsfehlbildungen und sind schwer geistig behindert, teilweise mit einem IQ unter 25. Ein einfacher Urintest stellt fest, ob es einen Überschuss an Fumarase im Urin gibt, falls die anderen äußerlichen Symptome nicht eindeutig genug bestimmbar sind. Bis in die 90er-Jahre gab es lediglich 13 bekannte Fälle von FA weltweit. Doch bis 2006 entdeckte Dr. Theodora Tarby aus Arizona mindestens 20 weitere Kinder mit dieser Erkrankung, die alle in Short Creek lebten—nur einen Steinwurf voneinander entfernt.

Darüber spricht man nicht und ich glaube auch, die Leute hier stellen nicht einmal Nachforschungen an, um zu sehen, ob sie verwandt sind.

Fumarazidurie ist jedoch—trotz der vielen Schlagzeilen—nicht die einzige genetische Störung, die hier zu finden ist. Ein Mann, der nicht namentlich genannt werden möchte, um die Privatsphäre von sich und seiner Familie zu schützen, erzählt von der lebenslangen Rund-um-die-Uhr-Betreuung und den viel zu häufigen Krankenhausbesuchen seiner fünf Söhne. Sein Ältester starb vor sechs Jahren. Er wurde zehn Jahre alt, sagt er. Ein anderer starb im Kleinkindalter. Seine beiden eineiigen Drillingsbrüder—wie auch ein fünfter Junge—leiden an derselben Erkrankung, mit der auch alle anderen Söhne der Familie zur Welt gekommen sind: ein X-chromosomaler Hydrozephalus. Charakteristisch für diese seltene neurologische Erkrankung ist der Wasserkopf, Muskelsteifigkeit, adduzierte Daumen und Aphasie. Ein X-chromosomaler Hydrozephalus tritt nur bei Männern auf und wird von Frauen weitervererbt. „Man kann entweder akzeptieren”, dass man die Verantwortung für so viel Kinder mit schwerwiegenden gesundheitlichen Bedürfnissen trägt, „oder es macht einen kaputt”, sagt dieser Mann, dessen Frau vor Kurzem einen Schlaganfall erlitten hat. Das Wissen darüber, dass ihre Kinder ziemlich wahrscheinlich mit Erkrankungen wie dieser zur Welt kommen werden, hält die meisten FLDS-Paare nicht davon ab, schwanger zu werden. Stattdessen betrachten sie es als ihre Verantwortung und als Segen, viele Kinder zu haben.

Darüber hinaus gibt es noch weitere weniger schwere genetische Erkrankungen. Allgemein gehören zu den häufigsten Geburtsfehlern bei Kindern, die aus der Beziehung zwischen nahen Verwandten stammen, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Klumpfüße und bestimmte Formen von Herzklappenfehlern. Im Vergleich zur Einwohnerzahl von Short Creek kommen diese Erkrankungen überdurchschnittlich häufig vor. Viele Leute, die ich für diese Geschichte interviewt habe, sagen, dass diese Kinder in den Augen der FLDS-Gemeinde besondere „von Gott gesandte Engel” sind. Sie bekommen die größtmögliche Aufmerksamkeit und Zuwendung, da die Menschen der FLDS treu glauben, dass alles im Leben eine Prüfung ist, bevor man ins himmlische Königreich gelangen kann, und sich gut um all die Gotteskinder zu kümmern, ist Teil dieser Prüfung.

Dawna Black Bistline (die Frau vom Bruder von Alyssas Vater) hat mit eigenen Augen gesehen, wie sehr die Kinder von engen Verwandten leiden. Zwei ihrer Schwestern haben ihre Cousins ersten Grades geheiratet—Männer, die denselben Großvater haben wie sie, die Söhne der zweiten Frau ihres Vaters, die die Schwester ihrer Mutter ist. „Mein Vater und ihre Großmutter waren Bruder und Schwester”, erklärt sie mir und kann die zunehmende Verwirrung in meinem Gesicht ablesen. „Und sie ist nicht die einzige: drei ihrer Schwestern haben drei meiner Brüder geheiratet. Und eine andere Schwester von ihr hat einen meiner Halbbrüder geheiratet, aber wir haben dasselbe Blut und dieselben Gene, weil unsere Mütter Schwestern sind.” Dawnas Mann ist der Bruder vom Mann ihrer älteren Schwester. „Aber sie sind nur Halbbrüder, also sind er und ich nicht blutsverwandt, weil er von der jüngsten Mutter stammt, die nicht mit uns verwandt war, sondern nur angeheiratet und dann hat meine Schwester seinen älteren Bruder geheiratet und seine Mutter und meine Großmutter waren Schwestern.”

„Wie behält man da den Überblick?”, wundere ich mich laut.

„Natürlich hatten wir viele, ähm … Also meine Schwester bekam ein kleines Baby mit einer Lippenspalte. Das war ihr erstes Kind und es hatte eine Lippen-Gaumen-Spalte, weil sie beide Jessops waren und Jessops sind Träger dieses Gens. Sie hatte auch ein Kind mit einem Klumpfuß und ich glaube wahrscheinlich die Hälfte ihrer Kinder hatte Atemwegsprobleme, als sie Babys waren, weil sie miteinander verwandt waren.”

Es gab schon Zeiten, da wurde es irgendwie ekelhaft, zum Beispiel als sie einen Onkel mit einer seiner Nichten verheiratet haben.

Dawnas jüngere Schwester hat einen kleinen Jungen mit zwei Klumpfüßen. Ihre Kinder hatten ebenfalls viele Atemwegsprobleme, „aufgrund der Verwandtschaft”, sagt Dawna. „Darüber spricht man nicht und ich glaube auch, die Leute hier stellen nicht einmal Nachforschungen an, um zu sehen, ob sie verwandt sind”, bevor sie heiraten und Kinder kriegen, ergänzt sie.

Erschwert wurde die Situation durch die Aufspaltung zwischen der FLDS und einem Ableger der Polygamistengruppe, die in das nahegelegene Centennial Park in Arizona gezogen ist, nachdem es eine Meinungsverschiedenheit darüber gab, wie und vom wem die Gemeinde geführt werden sollte. Die beiden Gruppen haben sich getrennt als Dawna noch ein Kind war. „Sie wurden die „Second Warders” genannt und wir wurden die „First Warders” genannt. Wir durften uns nicht mit den Kinder aus der Gruppe aus Centennial Park treffen, weil sie seit dem Zeitpunkt, an dem sie gegangen sind, verflucht waren”, sagt sie. Dawnas ältester Sohn ist nun mit einer Frau aus Centennial Park zusammen, die—wie er kürzlich herausgefunden hat—eine entfernte Cousine von ihm ist. „Das hält keinen ab”, sagt Dawna. „Es gab schon Zeiten, da wurde es irgendwie ekelhaft, zum Beispiel als sie einen Onkel mit einer seiner Nichten verheiratet haben”, erzählt sie weiter. „Und meine älteste Tochter, sie ist 18, hat sich mit ein paar meiner Cousins getroffen, was sie zu Cousins zweiten Grades macht und wir dachten uns nur ugh, das ist ekelhaft.”

Weniger als acht Meilen südöstlich von Short Creek liegt Cane Beds, Arizona. In dieser Gegend lebt Ross LeBaron Jr., ein Nachkomme einer anderen Polygamistensekte (unabhängig von der FLDS, aber ziemlich ähnlich in der Praxis) namens Church of the Firstburn of the Fulness of Times. Er ist relativ eng verwandt mit seinen Namensvettern aus der polygamen LeBaron-Gruppe in Chihuahua in Mexiko. LeBaron Jr. wurde von drei seiner eigenen Söhne angezeigt, die vorgaben, anhand von Speichelproben gewonnene DNA-Beweise zu haben, die zeigten, dass er vier seiner Kinder mit seiner biologischen Tochter gezeugt hatte. Ein fünftes Kind, sagten sie, wurde von ihrem ältesten Bruder Wayne LeBaron gezeugt (der zum Zeitpunkt der vermeintlich inzestuösen Zeugung des Kindes mit Dawna Black Bistlines Cousine verheiratet war). Diese Männer leben bis heute ganz offen in der Gegend von Cane Beds.

Es gab einen Typen hier in der Gegend, der mit ein paar jungen Mädchen verheiratet war und er hat Schwierigkeiten bekommen.

„Hast du schon mal von der Bratensaftspritze gehört?”, fragt mich Dawna.

Ich sage, ich bin nicht sicher. In welchem Kontext?

„Es gab einen Typen hier in der Gegend, der mit ein paar jungen Mädchen verheiratet war und er hat Schwierigkeiten bekommen, weil er Kinder mit diesen jungen Mädchen hatte, also sagte er: ‚Aber ich hatte nie mit ihnen Sex—Ich habe eine Bratensaftspritze benutzt.’” Dawna sagt, wenn die Leute darüber sprechen, was in Cane Beds vor sich geht, dann sagen sie, dass es wahrscheinlich wieder um eine dieser Bratensaftspritzengeschichten geht. Aber Dawna ist da andere Meinung: „Ich denke, dass sie wirklich, du weißt schon …” Sex hatten.

„Ich habe sie nicht angefasst, ich hab die Bratensaftspritze benutzt”, äfft sie ihn nach und rollt mit den Augen. „Ich denke mir: Wirklich? Das ist noch immer ziemlich ekelhaft.” Und es ist noch immer Missbrauch mit einem Fremdkörper, erinnere ich uns beide unnötigerweise.

All das soll zeigen, dass Inzest und Inzucht in den Polygamistensekten entlang der Grenze zwischen Utah und Arizona schon so lange—und bedenkenlos—praktiziert wird, dass diese Geschichten fest mit jeder Faser der Kommunen verwoben sind. Jeder weiß davon, aber nur wenige sprechen von sich aus darüber, es ist einfach irgendwie…so. Was uns zurück zum Babyfriedhof bringt.

Die heutigen erwachsenen Bewohner von Short Creek—sowohl die, die immer noch Teil der FLDS sind, als auch diejenigen, die die Sekte verlassen haben—sind agile, gesund scheinende Menschen. Es sind die Kinder, die im Vergleich zu den demographischen Daten anderer, ähnlich kleiner Städte unverhältnismäßig oft behindert sind. Manche würden sagen, dass das daran liegt, dass sich bestimmte angeborene genetisch rezessive Allele erst nach mehreren Generationen manifestieren. Genau diese Hypothese hat Jonathan Turner, Professor der Soziologie an der Universität von Kalifornien, in einem 2008 von ABC news network publizierten Artikel aufgestellt. „Zu Beginn gab es noch einen ziemlich vielfältigen Genpool, deswegen werden die tatsächlichen Auswirkungen nur sichtbar, wenn das innerhalb derselben Einwohnerschaft über eine lange Zeit so weitergeht”, sagte er gegenüber ABC.

Es gab so viele kleine Kinder, die mit Anomalien geboren wurden—Lippenspalten, Klumpfüße, Herzklappenfehler—sie starben meist innerhalb eines Jahres.

Ron Rohbock, 64, der 2002 aus der FLDS rausgeworfen wurde, nachdem er jahrzehntelang an der Seite von Warren und Rulon Jeff für die Sicherheit der Kirche sorgte, hat eine andere Antwort: „Es gab so viele kleine Kinder, die mit Anomalien geboren wurden—Lippenspalten, Klumpfüße, Herzklappenfehler—sie waren … sie starben meist innerhalb eines Jahres”, sagt Ron. „Viele der Eltern wollten sich nicht um die Kinder kümmern müssen. Also brachten sie sie zu Tante Martha, die Hebamme war”, sagt er. Marthas Mann war „Onkel” Fred Jessop, der langjährige Bischof der FLDS, der 2005 mit 94 Jahren starb, nachdem er von Warren Jeffs von Bundesstaat zu Bundesstaat gezerrt wurde. Viele der ehemaligen Mitglieder glauben, dass das ein klarer Fall von „Mord durch Stress” war: einen physisch kranken, älteren Mann, der auf eine dauerhafte Behandlung mit Medikamenten angewiesen ist, herumzuzerren, ist ein Weg, um eine Person umzubringen, ohne direkt eine Straftat zu begehen, sagen sie.

„Sie haben sie ihm gegeben und gesagt: ‚Würdest du dich bitte um sie kümmern? Wir können das nicht.’ Und lass es mich so sagen: Er hat sich um sie gekümmert bzw. Tante Martha oder sonst irgendwer. Und der Friedhof wurde immer größer.”

In einem Abschnitt aus Warren Jeffs Aufzeichnungen von seiner Zeit als Priester—ein zum größten Teil trockenes Dokument, das jeden einzelnen Schritt und jedes Treffen dokumentiert—sticht ein Eintrag, eine Abschrift einer Mitteilung, die Warren während eines Mittagessens mit der Familie seines verstorbenen Vaters gemacht hatte, besonders hervor, weil er so verstörend ist.

15. Oktober 2002: „Um 15:00 Uhr wird es eine Aufbahrung in Vaters Haus für Nathanael Allreds Baby geben. Die Bestattung findet um 16:00 Uhr auf dem Friedhof im Babyland statt.”

Wir sitzen in Rons geräumiger Küche und essen selbstgemachte Tomatensauce mit süßer italienischer Wurst, die seine Frau Geri—eine pensionierte Ehe- und Familientherapeutin aus Hurleyville, New York, die er vor sechs Jahren über eine Dating-Website kennengelernt hat—im Slow Cooker zubereitet hat.

Geri und ich stellen zur selben Zeit dieselbe Frage: „Was genau meinst du mit Er hat sich um sie gekümmert?”

„Er hat sie umgebracht”, sagt Ron. „Fred war für die Friedhöfe verantwortlich, die Totengräber, all das. Wenn du da ein Grab findest, das nicht gekennzeichnet ist, dann ist das so, wie Fred das wollte.”