Laut der Weltgesundheitsorganisation haben sich bereits mehr als 7400 Menschen mit Ebola infiziert und für mehr als 3400 Menschen hatte das seit dem Ausbruch des Virus in Westafrika im März tödliche Folgen. Mit den Nachrichten über den ersten Ebola-Infizierten in den USA und mittlerweile auch in Europa haben die Medien ihren Fokus vom Epizentrum des Krankheitsausbruchs, wo ganze Gemeinschaften dezimiert wurden und an die Grenzen ihrer Ressourcen stoßen, abgewendet. In Liberia könnte sich die Ebolakrise schnell zu einer Nahrungsmittelkrise entwickeln. Momentan ist das Ausmaß der Krise noch nicht ganz klar, aber die Preise einiger Lebensmittel sind bereits rasant angestiegen. Diese Woche verkündeten die Vereinten Nationen, dass ihre zwei Schwester-Organisationen, das World Food Programme (WFP) und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), eine Schnellevaluation der Probleme im Hinblick auf die Ernährungsunsicherheit des Landes durchführen werden. Das WFP, gemeinsam mit anderen regionalen und internationalen Organisationen, überwacht derzeit die Lebensmittelverteilung und -versorgung in der Region.
Um uns ein besseres Bild von der Situation vor Ort zu verschaffen, sprachen wir mit Martin Penner, dem Communications Officer des WFP in Liberia darüber, was die Organisation genau vor Ort macht und welchen Herausforderungen sie sich stellen müssen.
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MUNCHIES: Hallo, Martin. Wie war die Lage in Liberia im Hinblick auf die Ernährungsunsicherheit vor dem Ebola-Ausbruch? Martin Penner: Liberia importiert sehr viele Lebensmittel und diese Tatsache sorgt zu einem gewissen Maße in einem Land für Ernährungsunsicherheit. Es gibt hier auch extrem verarmte Gegenden, in denen Familien 75 bis 80% ihres Einkommens für Essen ausgeben. Probleme gab es hier also auf jeden Fall vor dem Ausbruch auch schon, aber eine richtige Nahrungsmittelkrise hat es hier in Liberia seit 2008 und 2009 und der Krise durch die extrem hohen Lebensmittelpreise nicht mehr gegeben.
Wie funktionieren die Lebensmittellieferungen in Quarantäne-Gebiete aus logistischer Sicht? In Liberia gibt es keine Quarantäne-Gebiete mehr, aber es gibt Gegenden, in denen wir von „großflächiger und hochgradiger Übertragung” des Ebolavirus sprechen. In vielen dieser Gegenden helfen wir. Die meisten Lieferungen werden in Lastwagen zugestellt. Wir arbeiten mit NGOs zusammen wie dem liberischen Roten Kreuz, die uns dabei helfen, die Lebensmittel an die Familien und die Gemeinschaften zu verteilen.
Welche Lebensmittel werden zugestellt? Wir liefern Reis, Speiseöl, Erbsen oder Linsen und ab jetzt auch ein nährstoffreiches Produkt, das SuperCereal heißt. Es kann mit Wasser vermischt werden und ist sehr leicht zu kochen. Es ist eine Art mineralstoff- und vitaminreicher Haferbrei. Wir hatten schon einige Lebensmittel in Liberia gelagert, also mussten wir nicht bei Null anfangen. Wir bringen aber mehr und mehr ins Land und informieren uns gerade auch darüber, Lebensmittel aus dem Land selbst zu kaufen. Momentan kommen wir der Bitte der Regierung nach, ungefähr 400 000 Menschen über eine Periode von drei Monaten zu ernähren. Wir haben bereits 100 000 erreicht, aber im Oktober wird einiges vorwärts gehen.
Wie hat die Krise die Lebensmittelproduktion im ganzen Land beeinflusst? In manchen ländlichen Gegenden könnte es demnächst einen Mangel an Arbeitskräften für die Getreide- und Reisernte geben, weil die Arbeiter auswandern und die Bauern krank werden. Wir können aber nicht genau abschätzen, in welchen Ausmaß es die Lebensmittelproduktion beeinträchtigen wird. Deshalb führt das WFP und unsere Schwesterorganisation, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, eine Bewertung der Lage durch.
Was genau beinhaltet diese Beurteilung? Experten reisen gerade durchs Land und sprechen mit den Leuten vor Ort, um herauszufinden, wie die Lage der Ernährungsunsicherheit aussieht und was die Prognosen versprechen, in den ländlichen Gegenden, aber auch in den Städten. Teilweise sammeln wir die Daten mit Mobiltelefonen und verwenden dazu das Sprachdialogsystem. Die Leute hören eine aufgenommene Nachricht, in der ihnen Fragen über ihr Essen—wie viel sie haben, woher es kommt, usw.—gestellt werden und ihre Antworten werden aufgezeichnet. So können wir das Gesundheitsrisiko für unsere Forscher minimieren.
Lofa County ist Liberias Zentrum der Getreideproduktion und in dieser Region ist Ebola besonders stark verbreitet. Was bedeutet das für den Rest des Landes? Wir sind uns nicht sicher. Wir hoffen, dass uns die Bewertung, die derzeit im Gange ist, Antworten liefern wird. Die ersten vorläufigen Resultate sollten wir in der zweite Hälfte dieses Monats haben.
Sind bestimmte Lebensmittel komplett unverfügbar? Nein, derzeit gibt es keine größeren Lücken im Lebensmittelmarkt. Aber wir wissen, dass Preise für bestimmte Produkte extrem gestiegen sind. Der Preis für Maniok, beispielsweise, hat sich in Monrovia im August verdoppelt. Für manche Leute ist es schwierig, alle Lebensmittel zu kaufen, die sie benötigen.
Wie stehen die Prognosen für Liberia? Der Ausblick für die Lebensmittelfront in Liberia ist unklar, deshalb führen wir gerade diese zweiwöchige Bewertungsmission durch. Wir müssen herausfinden, in welchem Ausmaß die Produktion beeinträchtigt ist. Der Plan des WFP ist momentan, den Leuten in Gegenden zu helfen, in denen sich der Virus schnell verbreitet, indem wir ihnen zusätzlich zu den Gesundheitsmaßnahmen der Regierung und anderer Organisationen auch Essen bieten.
Es geht aber nicht nur um Essen. Das WFP ist logistisch sehr stark aufgebaut und wir verwenden diese Kapazität, um die gesamte humanitäre Community zu unterstützen. Der Humanitäre Flugdienst der Vereinten Nationen, beispielsweise, transportiert Entwicklungshelfer innerhalb der Ebola-Krisenzone hin und her. Wir haben auch ein logistisches Zentrum in Monrovia aufgebaut, wo alle Hilfsorganisationen ihre Notvorräte lagern können. Wir managen auch viele humanitäre Frachten, die durch den Flughafen ankommen. Genau so müssen wir weiter machen, aber unseren Wirkungsbereich vergrößern. Der globale Einsatz hier ist enorm. Das muss er auch sein, wenn wir einen Feind besiegen wollen, der unsichtbar und überall ist.
Vielen Dank Martin, dass du dir die Zeit genommen hast, mit uns zu sprechen. Macht weiterhin so gute Arbeit, wie bisher.
Um die Arbeit des World Food Programme in der Region zu unterstützen, kannst du hier spenden.