Im Januar stellte ein YouTube-User names „goldvision” Grand Theft Auto Pacifist vor, ein fortlaufendes Projekt, im Rahmen dessen er versucht, sich „frei von Schmerz und Leid” durch die neueste Fortsetzung des bekanntermaßen nihilistischen Open-World-Spiels zu bewegen.
Das Ergebnis ist eine packende Mischung aus Selbsteinsicht und kinetischem Gameplay-Bildmaterial—und eine der ungewöhnlichsten Herangehensweisen an Kulturkritik seit langem.
Videos by VICE
Es gibt mittlerweile vier Episoden, in denen unser Held bereits ordentliche Rückschläge einstecken musste: Er musste einen Spirituosenladen ausrauben, an einem Dragster-Rennen teilnehmen und 1090 Dollar bei dem Versuch ausgeben, einen Schuhladen zu verlassen, ohne etwas zu kaufen. Nichtsdestotrotz ist er seinen Prinzipien mehr oder weniger treu geblieben.
Ich habe mich mit goldvision, der im richtigen Leben Jeremy Mattheis heißt, in einer überteuerten Hotelbar mit Aussicht auf das Staples Centre getroffen.
VICE: Was hat dich zu Grand Theft Auto Pacifist inspiriert?
Jeremy Mattheis: Ich glaube, dass Menschen, die keine Videospiele spielen, einen ziemlich schlechten Eindruck von der Gaming-Community haben. Grand Theft Auto bildet Gewalt ab und aus diesem Grund gehen viele davon aus, dass es Gewalt befürwortet und verursacht. Ich denke nicht, dass das stimmt. Deshalb wollte ich zeigen, dass es selbst in Grand Theft Auto möglich ist, Negatives weder zu verursachen noch ihm ausgesetzt zu werden, dass es möglich ist, zu überleben und friedlich mit anderen fühlenden Wesen zu koexistieren. Außerdem kann man das Ganze natürlich auch ironisch sehen.
Wie kommst du voran?
Es ist befreiend, sich nicht dazu verpflichtet zu fühlen, die Karriereleiter in einem aufgezwungenen System aus Gewalt und Diebstahl zu erklimmen. Gleichzeitig stellt sich immer die Frage, was man als nächstes tut. Ich kann meine Umgebung erkunden, weil ich keine Aufträge erfüllen oder andere Spieler der Punkte wegen verfolgen muss. Andererseits ist es ziemlich schwierig, sich kreativ zu betätigen und nicht nur in der Gegend herum zu laufen.
Warst du je versucht, deine Prinzipien aufzugeben?
Manchmal zwingt das Spiel dich, eine Waffe zu tragen. Selbst wenn ich meine Waffe wegwerfe, bevor ich mich auslogge, habe ich zwei neue, wenn ich mich wieder einlogge. Mittelmäßigen Spielern hilft das natürlich, aber für mich bedeutet das, dass ich nur einen Knopfdruck davon entfernt bin, als Gegner wahrgenommen zu werden. Außerdem habe ich sieben verschiedene Durchläufe von Grand Theft Auto gespielt und man versucht immer automatisch, ein Auto zu stehlen, wenn man von A nach B kommen muss. Ich muss gegen diesen Reflex ankämpfen und das ist gar nicht so einfach.
Hoffst du, dass sich andere Spieler dir anschließen?
Na ja, ich weiß nicht, ob ich einem anderen Spieler, der gerade eine Granate nach mir wirft, meine Motivation erklären kann, aber ich werde es natürlich versuchen.
Weshalb benutzt du ein Pseudonym?
Als ich mit diesen Videos anfing, habe ich sie unter meinem eigenen Namen veröffentlicht. Aber ehrlich gesagt macht es mehr Spaß, sich eine Figur auszudenken, die man dann weiterentwickeln kann. Dieses bisschen Dissoziation macht das ganze Projekt flexibler. Ich muss auch gestehen, dass ich die Kommentare unter den Videos lese. Wenn man einen verletzenden Kommentar auf YouTube liest, muss man sich davon lösen können.
Beunruhigen dich die Hasskampagnen gegen Videospielkritiker wie Anita Sarkeesian, die unter eigenem Namen agieren?
Videospiele sind immer noch in einer Entwicklung begriffen. Wir befinden uns quasi noch in der Schwarz-Weiß-Ära des Fernsehens. Jeder, der bereit ist, an der Weiterentwicklung dieser Kunstform mitzuwirken, auf welche Weise auch immer, muss akzeptiert werden—unabhängig davon, ob er etwas kritisiert oder nicht. Innerhalb der Videospiel-Community ist es auf jeden Fall ein Problem, dass viele Leute ziemlich aggressiv und wutgesteuert sind.
Hast du das am eigenen Leib erfahren?
Viele Menschen beschweren sich darüber, dass ich das Spiel nicht richtig spielen würde. Als ob es eine richtige und eine falsche Art und Weise gäbe, Videospiele zu spielen. Mir ist im Spiel wirklich sehr viel Hass entgegengeschlagen. Wenn ich einfach so herumlaufe, kann es schon mal passieren, dass jemand mein Pseudonym sieht und sich denkt: „Ach, das ist ja der.” Ich freue mich über einen neuen Mitspieler und denke mir nichts böses und bevor ich weiß, wie mir geschieht, bekomme ich eine Kugel in den Kopf.
Du stirbst in deinen Videos ziemlich häufig.
Ich erkunde gern eine Welt, in der ich sterben kann. Der Tod ist in Videospielen allgegenwärtig. Die Menschen gewöhnen sich daran, aber für diejenigen, die selbst nicht spielen, kann es schon ziemlich abstoßend sein, jemanden sterben zu sehen—oder selbst jemanden umzubringen. Das sind harte Sachen, die im Alltag der meisten Menschen nicht vorkommen. Das ist aber eine der Sachen, die mich am meisten daran reizt.
Findest du es nicht befremdlich?
Es ist einfach anders. Videospiele sind eine Art von De-Evolution. Deine Handlungsmöglichkeiten werden beschränkt. Es ist ein bisschen wie beim Autofahren: Du kannst schnell fahren oder langsam, links abbiegen oder rechts. Aber du kannst nicht wirklich mit den anderen Fahrzeugen kommunizieren. Du kannst nur hupen. Wir sind also alle wie eine Flotte stummer Wesen, die umherfahren. In den Videospielen ist es das Gleiche. Du kannst mit anderen Menschen sprechen, aber du kannst kein Bild malen und es an jemand anderen weitergeben. Deine Möglichkeiten, mit der Welt zu interagieren, sind beschränkt.
Was ist das Spannende daran?
Ich sehe Videospiele gerne als eine Möglichkeit, etwas aus einer anderen Perspektive zu erkunden und zu erfahren. Wenn man Kunst als Selbstdarstellung durch ein Medium definiert, dann sind Videospiele eben mein Medium und der Weg, den ich in der virtuellen Welt einschlage, ist meine Kunst.