Sie wollen die Vergangenheit an Orten heilen, wo sie besonders schmerzhaft ist. In diesem Fall im Konzentrationslager Buchenwald. Ihre Heilmethode: Meditation. Man wolle, heißt es auf der Einladung für den 17. März, “die höchste und reinste Schwingung” dafür nutzen, “die Tragödien der Vergangenheit zu überwinden”.
Nicht nur nach Buchenwald, auch in andere ehemalige Konzentrationslager lud die Glaubensgemeinschaft Bhakti Marga ein. Am 27. Februar wollten die Gläubigen in weiteren KZ-Gedenkstätten sogenanntes “OM-Chanting” betreiben – in Mauthausen, Dachau, Sachsenhausen, Neuengamme und in Lagern in Italien, Lettland, Polen, der Slowakei, Slowenien und auch in Japan sowie den USA. In Buchenwald wollten sich die Mitglieder des Kultes ebenfalls schon treffen, aber die Herberge dort war belegt. Also haben sie das Treffen verschoben. 30 Anmeldungen gibt es bereits für den Termin im März, sagt Waltraud Hintz, die das Chanting organisiert.
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Die Gedenkstätte Buchenwald hatte das OM-Chanting im Februar erlaubt und sogar mit Waltraud Hintz über ein Rahmenprogramm gesprochen. Heute scheint das den Verantwortlichen unangenehm, Zitate aus dem Gespräch mit VICE wollen sich nicht veröffentlicht sehen. Das solle keine weiteren Wellen schlagen, heißt es nur von Seiten der Gedenkstätte. Es habe Absprachen mit Waltraud Hintz gegeben, an die sie sich aber nicht gehalten habe.
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Bhakti Marga ist ein Heilsweg des Hinduismus und eine Yogaform. Menschen wie Hintz glauben, dass mit genug Liebe alles möglich sei, dass Liebe schütze und heile. Alles diene der “inneren Reinigung”, sagt Hintz. Sie glaube, dass man mit Liebe nicht nur sich selber grundlegend ändern könne, sondern auch die Menschen um einen herum. Offenbar glaubt sie auch, dass mit genug Liebe der Holocaust “geheilt” werden kann.
Nachdem die Gedenkstätte Buchenwald das Chanting ursprünglich erlaubt hatte, verbreitete sich das Gerücht, die Gedenkstätte würde das ganze auch noch fördern – was nicht stimmt. Nun überlegt die Gedenkstätte, das Chanting zu stoppen.
In der österreichischen Gedenkstätte Mauthausen hat solch ein OM-Chanting schon einmal stattgefunden. Das dortige Innenministerium sagte damals, es sei die Philosophie der Gedenkstätte, alle Menschen willkommen zu heißen. Nur sollten sie sich der “Würde des Ortes” angemessen verhalten. Auch das zuständige Mauthausen Komitee ging mit der Anfrage gelassen um. Es gebe unendlich viele Möglichkeiten des Gedenkens, keine sei besser oder schlechter. Allerdings sagte der Leiter des Komitees, Willi Mernyi, er glaube nicht, dass das mit der energetischen Reinigung funktioniert: “Wenn das so einfach wäre, würde ich mich dazusetzen.”
Waltraud Hintz sagt im Gespräch mit VICE, OM-Chanting sei die älteste Heiltechnik der Menschheit, die allerdings bereits vor Tausenden Jahren fast in Vergessenheit geraten ist. Erst vor einem Jahrzehnt habe sie der Gründer von Bhakti Marga wieder entdeckt. “Die harmonisierende Wirkung breitet sich bis zu zwei Kilometer in die Umgebung aus”, zitiert die Lokalzeitung Der neue Tag eine frühere Teilnehmerin eines Treffens. Der Gründer der Organisation Bhakti Marga, Paramahamsa Vishwananda, lässt verlauten: “Was an diesen Orten geschah, geschieht immer noch in ätherischen und astralen Bereichen. Nur OM hat die Kraft diese Orte zu heilen.” Waltraud Hintz zitiert im Telefonat mit VICE den “spiritueller Meister” mit den Worten: “Die Stätten sind so wüst, dass selbst die Pflanzen sich weigern, dort ihren Samen abzulegen”.
Allerdings müssen die Anhänger von Bhakti Marga erst an den Betreibern der Gedenkstätten vorbei. Die Leitung des KZ Flossenbürg hat den Antrag auf Meditation am 24. Februar abgelehnt. Zwar habe man die Idee “intensiv” diskutiert, berichtet die Lokalzeitung Der neue Tag, dann sich aber dagegen entschieden. Das Verbot sei allerdings keine Wertung der Religionsgemeinschaft, so Leiter Jörg Skriebeleit: “Das Ziel ‘den Ort zu reinigen’ beziehungsweise ‘die Vergangenheit zu heilen’ ist aus unserer Sicht vielmehr eine unangemessene Instrumentalisierung der Orte und eine unangemessene Inanspruchnahme des Schicksals jedes einzelnen Opfers.”
“Ich leiste hier ernsthafte Arbeit”, widerspricht Waltraud Hintz. Aber eine Heilung brauche Zeit, einmal zu chanten reiche nicht. Deutschland habe noch ein kollektives Trauma, alle seien über Biographien oder Kontakte damit verknüpft. Menschen, die sensibel seien, “können das spüren”, sagt sie. “Die Bilder leben noch in uns.” Es sei nicht so leicht, dagegen anzuchanten.
Waltraud Hintz erzählt dann noch von einer Gruppe von OM-Chantern, die auf dem Weg in die NS-Tötungsanstalt im mittelhessischen Hadamar waren. Unterwegs mussten sie anhalten. Zwei Mitglieder haben sich übergeben, die Energie war zu stark.
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