Bei dem Begriff Dokumentenfälscher hat man schnell Leonardo DiCaprios windige und gleichzeitig charmante Figur aus Catch Me If You Can vor Augen. Chris, der hier seinen echten Namen aus offensichtlichen Gründen nicht lesen will, ist allerdings mehr ein technisch versierter Nerd, der dir ohne Probleme einen gefälschten Uni-Abschluss ausstellt.
An sich begann für Chris alles relativ harmlos. Seine ersten Schritte im Bereich Urkundenfälschung unternahm er, um keinen Ärger mit seiner Mutter zu bekommen. Nachdem er ihre Unterschrift für ein Schulzeugnis erfolgreich kopiert hatte, so erzählt er, habe er festgestellt, wie leicht ihm das Ganze fiel und wie gut er darin war. Also entschied er sich, mit seinem Talent Geld zu verdienen. Zu seinen Kundinnen und Kunden gehörten damals vor allem Studierende und andere junge Erwachsene, die ein bestimmtes Dokument haben wollten. Und egal, ob sie nur ein Zertifikat für einen Berufslehrgang oder direkt einen Uni-Abschluss brauchten, Chris fälschte alles.
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Obwohl er inzwischen einen ordentlichen Beruf hat, nimmt Chris immer noch den ein oder anderen Fälschungsauftrag an. Dabei geht er ein ziemliches Risiko ein: In seiner Heimat Frankreich drohen ihm für seine illegale Tätigkeit bis zu drei Jahre Haft und eine Geldstrafe von 45.000 Euro. In Deutschland steht auf Urkundenfälschung übrigens sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Denkt also am besten gar nicht erst daran. Wir haben uns mit Chris über sein Doppelleben unterhalten.
Auch bei VICE: Ich habe Kunst gefälscht und damit Millionen verdient
VICE: Wann hast du angefangen, Dokumente zu fälschen?
Chris: Ich war damals 13 und fing an, mich für Informatik zu interessieren. Eigentlich wollte ich Computerspiel-Designer werden. Ich merkte aber, dass ich ziemlich gut mit Photoshop umgehen kann. Und ich konnte viel üben, weil ich ständig die Schule schwänzte und dafür Entschuldigungen fälschen musste. Damals war ich außerdem noch als Drogenkurier aktiv, im Großraum Paris war ich gut vernetzt. Als da bekannt wurde, wie gut ich Dokumente fälschen kann, bekam ich immer mehr Aufträge.
Welche Art von Dokumenten fälschst du? Und wie stellst du sicher, dass du nicht erwischt wirst?
Ich arbeite nur mit Leuten zusammen, die ich kenne – Bekannte aus meiner Drogenkurier-Zeit, Freunde oder Freunde von Freunden. Außerdem gibt es bei mir eine Grundregel: Es werden keine Namen genannt. Wenn jemand mit einem von mir gefälschten Dokument erwischt wird, soll die Person einfach sagen, dass sie es irgendwo gekauft hat und nicht weiß, wer es erstellt hat. Alle meine Unterhaltungen mit Kunden sind verschlüsselt und ich lösche sie nach getaner Arbeit. Die Polizei würde bei mir also keine Beweise finden. Normalerweise mache ich aber sowieso nur kleine Dokumente, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen.
Sind Uni-Abschlüsse nicht eher das Gegenteil von “kleinen Dokumenten”?
Nein, das Gegenteil wären zum Beispiel Auszüge aus dem Polizeiregister, Arbeitsverträge oder Mietverträge. Bei solchen Dokumente schaut man sehr genau hin und die rechtlichen Konsequenzen sind viel gravierender.
Wie kommen deine Kunden auf dich zu?
Meistens nehmen sie den Kontakt zu mir auf, aber manchmal biete ich ihnen meine Dienste auch von mir aus an. Ich kannte zum Beispiel mal einen Typen, der nach einer Ausbildung im Marketingbereich verzweifelt einen Job suchte. Ich fälschte ihm einen Master im Fach Management und sagte ihm, dass er in seiner Bewerbung meine Kontaktdaten angeben sollte, falls die Personalabteilung mehr über seine Praktika wissen wollte. Der Typ arbeitet jetzt als Projektmanager in einem großen Energieunternehmen.
Was ist die komischste Anfrage, die du je bekommen hast?
Ich habe mal ein Abschlusszeugnis für die Mittelschule gefälscht. Das war für einen Sudanesen, der nach Frankreich gezogen war und die französische Staatsbürgerschaft beantragen wollte. Dafür muss man einen Sprachtest machen – außer, man kann vorweisen, dass man auf eine französische Mittelschule gegangen ist.
Wie viel Geld verlangst du für deine Fälschungen im Vergleich zu Dokumentenfälschern aus dem Darknet?
Das kann man nicht wirklich vergleichen. Ich habe keinen festen Preis. Es kommt immer darauf an, wie schwierig der Auftrag ist. Für das Mittelschulzeugnis habe ich 200 Euro verlangt, für den Masterabschluss 1.700 Euro. Uni-Abschlüsse sind ziemlich kompliziert, ich muss den richtigen Stempel der Universität finden, dann die Unterschrift des Dekans der Fakultät und die passende Immatrikulationsnummer sowie einige rechtliche Formulierungen. Einmal habe ich fast einen Fehler gemacht: Mir war nicht aufgefallen, dass inzwischen jemand anderes Präsident der Uni war. Also musste ich von Neuem anfangen und die richtige Unterschrift raussuchen.
Benutzt du bei deinen Fälschungen gewisse Vorlagen oder fängst du immer bei Null an?
Natürlich habe ich eine Sammlung an Vorlagen. Da nutze ich mein Netzwerk. Irgendjemand kennt immer irgendjemanden, der einen Abschluss von der und der Uni hat. Ich bitte diese Leute dann um einen Scan des Zeugnisses und sage, dass das für ein Foto- oder Forschungsprojekt sei. Wenn ich auf diesem Weg nicht an das gewünschte Dokument komme, suche ich online. Viele Leute posten dort ihre Abschlüsse, um ihre Fähigkeiten zu untermauern. Sie haben meistens auch kein Problem damit, mir einen Scan davon zuzuschicken. Ganz im Gegenteil, sie freuen sich, mit ihrem tollen Abschluss an einer tollen Universität angeben zu können – das ist gut für ihr Ego.
Es scheint recht einfach zu sein, Dokumente zu fälschen. Wie können Arbeitgeber sicherstellen, dass die Qualifikationen der Bewerber wirklich echt sind?
Meistens überprüfen sie das gar nicht und verlangen nicht mal eine Kopie der Zertifikate. Denen reicht es, einmal den Lebenslauf durchzulesen. Irgendwie verstehe ich das auch. Manchmal ist es unmöglich, alle Dokumente der Bewerber durchzuschauen. Sie gehen dann einfach davon aus, dass alles passt.
Es könnte vor allem problematisch werden, wenn die Personalabteilung herausfindet, dass in einem Lebenslauf falsche Qualifikationen stehen. Die Polizei hat aber weder die Zeit noch die Ressourcen, jedem Betrugsfall nachzugehen, und konzentriert sich eher auf die großen organisierten Netzwerke. Ich bin nur ein kleiner Fisch, deswegen habe ich nicht viel zu befürchten. Inzwischen fälsche ich auch nur noch ab und an Dokumente, ich bin quasi Freelancer. Ich habe eine guten Job und will das alles nicht riskieren.
Normalerweise stellt man sich Dokumentenfälscher eher als handwerklich geschickte Spezialisten vor und nicht als nerdige Grafikdesigner.
Vor 20 Jahren traf das noch voll zu. Um beispielsweise einen Siegelstempel nachzumachen, brauchte man die Hilfe von einem Schlosser. Heutzutage fragt aber niemand mehr nach dem Original, Kopien reichen meistens aus. Die nötigen Photoshop-Skills kann man sich in diversen Online-Kursen aneignen, danach kann es losgehen.
Gibt es da draußen viele kleine Dokumentenfälscher wie dich, die das eher als Hobby betreiben?
Das ist schwer zu sagen, wir haben ja keinen Fälscherbund oder so. Was aber vielen nicht klar ist: Um Dokumente zu fälschen, muss man kein Profi sein, sondern nur gut mit Photoshop oder InDesign umgehen können. Und wir kennen alle jemanden, auf den das zutrifft.