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“Dieses Buch ist Urlaub fürs Gehirn”

Autor Christian Huber heute und mit 15. In seinem Buch Man vergisst nicht wie man schwimmt geht es um einen 15-Jährigen, der erwachsen wird

Schreiben, was man kennt. Das hat Christian Huber getan. Der Podcaster (Gefühlte Fakten), Comedy-Autor (unter anderem das Neo Magazin Royale) und Komponist (Beats unter anderem für Kool G Rap) hat nämlich seinen ersten echten Roman veröffentlicht: Man vergisst nicht, wie man schwimmt

Darin hat der 37-Jährige über den 15-jährigen Pascal geschrieben, der meint, das Schwimmen verlernt zu haben, der sich nicht ausziehen will und Angst hat, sich zu verlieben. Schuld ist sein “Geheimnis”, das wie eine dunkle Gewitterwolke über dem endlos wirkenden Sommertag hängt, an dem der Roman spielt und an dem Pascal und seine zwei Freunde sich auf eine Party schleichen, eine versteckte Hanfplantage im Wald suchen und schließlich das Geheimnis lüften. 

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Wir haben mit Christian Huber gesprochen.


Auch bei VICE: Ist es richtig, wieder clubben zu gehen?


VICE: Es gibt Leute, die sagen, dass es nach Tschick von Wolfgang Herrndorf keine Sommerromane mehr brauche, in denen Jungs zu sich selbst finden. Was sagst du dazu, nachdem du einen geschrieben hast?
Christian Huber:
Tschick ist ein Meisterwerk. Wahrscheinlich der beste Coming-of-Age-Roman aller Zeiten. Aber nach Pulp Fiction hat auch niemand gesagt, dass wir jetzt keine Filme mehr brauchen.

Warum sollten sich die Leserinnen von VICE für einen Coming-of-Age-Roman interessieren?
Vielleicht hättest du ihn auf LSD lesen müssen, um das zu beantworten. 

Vielleicht.
Ich glaube, dass in der jetzigen Weltlage alles spannend sein kann, was ein bisschen davon ablenkt, dass gerade die fucking Welt untergeht. Ich habe das Buch während des härtesten Lockdowns geschrieben, als es mir selbst nicht gut ging. Da hat es wahnsinnig gut getan, mich in diese Welt zu flüchten, diesen endlosen Sommertag des Jahres 1999. Dieses Buch ist Urlaub fürs Gehirn.

Warum gerade 1999?
Diese Zeit hat mich einfach am meisten geprägt. Schon musikalisch. Würde man mich fragen, was meine fünf Lieblingsalben sind, kämen wahrscheinlich vier aus dieser Zeit. 

Nur die Musik?
Ich finde die Vorstellung spannend, dass man damals dachte, dass jetzt die Zukunft beginnt. Diese Millenniums-Hysterie. Kompletter Weltuntergang oder Roboter, die uns bedienen. Und am Ende ging es einfach so weiter wie vorher.

Und du warst selbst damals 15.
Ich halte mich an den Grundsatz: Write what you know. Sonst schreibst du nur einen ZDF-Vorabendfilm in eigener Sprache: voller Klischees. 

Was sind denn deine fünf Lieblingsalben?
(What’s the Story) Morning Glory? von Oasis, The Battle of Los Angeles von Rage Against The Machine, Rage Against the Machine von Rage Against the Machine, Gefährliches Halbwissen von Eins, Zwo und Classic Vinyl Files von Dynamite Deluxe, auch wenn das eine EP ist. Was ist Pures Gift bitte für ein geiler Song?

Mit Sammy Deluxe bin ich damals auch aufgewachsen.
Weißt du noch, wie du das erste Mal Sammy hast rappen hören?

Ich weiß noch, dass ich ziemlich bekifft war. Wie ja auch in deinem Buch das Kiffen eine große Rolle spielt. Deine Protagonisten suchen eine Hanfplantage.
Die gab es wirklich. Die war hinter Fronberg in so einem kleinen Dorf. Freunde von mir sind da nachts mal hin und haben die Hälfte abgeernet. 

Betrieben wird die Plantage im Buch von einer Gang. Gab es viel Kriminalität in deiner Jugend?
Es gab eine Gang. Die stand im Stadtpark und hat Drogen verkauft. Das waren halt Junkies und Dealer. Bis heute würde ich da nachts nicht alleine durchlaufen. 

War organisierte Kriminalität dann ein Thema für euch?
Wir haben manchmal Gras bei denen gekauft. Aber nein, ich hatte sonst nichts mit denen zu tun, ich bin eher behütet aufgewachsen. Trotzdem war das für eine Kleinstadt schon krass. Da wohnten ja nur 9.000 Menschen.

Woran liegt das? 
Mein Heimatort liegt nahe der tschechischen Grenze, damals kam da viel Heroin rüber, heute eher Meth. Der Bruder eines Kumpels ist an einer Überdosis Heroin gestorben. Richtige Kriminalität habe ich erst in Berlin erlebt. Eine andere Geschichte im Buch ist übrigens auch wahr. 

Welche?
Da wollte ein Kumpel mit dem neuen Freund seiner Mutter Gras bei den Dealern kaufen, aber die hatten gerade keins da und auch kein Auto – die waren auch schon rotzbesoffen. Also bot der Freund an, dass er die Gruppe schnell zu deren Lager fahren könne. Im Auto sah mein Freund dann, wie die Männer eine Pistole zückten und anfingen, auf Polnisch zu diskutierten. Er hat das Wort für “Zivilpolizist” verstanden. Passiert ist aber nichts.

Du hast dein Buch tatsächlich geschrieben wie einen Actionfilm. Gibt es Filme, die dich beim Schreiben inspiriert haben?
Stand By Me, die Stephen-King-Verfilmung, in der vier Jungs eine Leiche suchen. Wobei ich mich natürlich niemals damit vergleichen will, weil das der beste Film ist, der jemals gemacht wurde. 

Ist das dein Lieblingsfilm?
Stand By Me und der Martial-Arts-Action-Film The Raid 2.

Was war das Actionreichste, was du in der Zeit erlebt hast?
Rock im Park 2000. Ich war da 16. Als ich das Lineup sah, wusste ich, dass ich da hin muss. Slipknot, Marilyn Manson NOFX, Bad Religion, One Minute of Silence, Rage Against the Machine, Pearl Jam, Oasis. Wir wussten: Wenn wir da nicht hinkommen, dann ist das Leben vorbei. 

Und die Action?
Also erstmal war es super aufwändig da hinzukommen. Meine Eltern waren eher streng und ich musste den Direktor bitten, einen halben Tag Schule verpassen zu dürfen. Der meinte zu meiner Überraschung aber, dass ich Freitag schon nach der vierten Stunde gehen dürfe. Das allein war schon mega krass. Ich bin dann Donnerstag zu Rock im Park, habe mein Zelt aufgebaut, bin zurück nach Hause, Freitag in die Schule und dann wieder zum Festival. Ich hatte das Gefühl, jetzt beginnt mein Leben.

Warum?
Zum ersten Mal musste ich niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen, war unbeaufsichtigt und frei. 

Wie hast du das genutzt?
Ich habe mehr Alkohol getrunken, als meine Eltern gut gefunden hätten. Und das sage ich als Bayer, wo man schon mit zehn sein erstes Weizen trinkt. Und die ganzen Mädchen, die aus anderen Städten angereist waren.

Aber die Action?
In der Nacht von Freitag auf Samstag wollte ich zu Slipknot. Die spielten um drei Uhr morgens im kleinen Zelt, in das 1.500 Leute passten. Als ich ankam, standen aber schon 5.000 Leute in der Schlange davor. Mein Kumpel und ich sind dann ums Zelt rumgelaufen, haben gewartet, bis der Security-Mann in die andere Richtung guckt, einen riesigen Hering aus dem Boden gezogen und sind unter der Zeltplane durch direkt vor die Bühne gerollt. Und genau in dem Moment zündete einer der Schlagzeuger den Spiritus auf seinem Instrument an. Oh mein Gott. Das war so geil.

Im Buch schreibst du, dass jede Geschichte auch ein bisschen Wahrheit von dir enthalten muss. Was ist deine Wahrheit in dem Buch? 
Der Protagonist ist ja ein unsicherer Typ und mag sich selber nicht, findet sich nicht attraktiv. Er hat ein Geheimnis, wegen dessen er sein T-Shirt nicht vor anderen ausziehen will. Ich hatte früher wahnsinnig schlimm Akne. Also richtig, richtig, richtig krass. Nicht so bisschen Pickel und Clearasil-Werbung, wird alles gut, sondern mein Gesicht sah aus wie eine Pizza Hawaii. Ich wollte mich nicht mehr im Spiegel angucken. 

Hattest du auch selbst ein Geheimnis mit 15? 
Das hat jeder 15-Jährige. Allein was unter der Matratze liegt, ist ja ein einziges Geheimnis.

Du sagtest, dass du richtige Kriminalität erst in Berlin erlebt hast, was meinst du?
Ich habe einige Jahre in der Musikbranche gearbeitet. Da habe ich vor allem Beats für Rapper produziert. Und da im Backstage standen schon oft Leute rum, die man besser nicht schief angeguckt hat.

Puh.
Und als ich das erste Mal Essen bestellt habe. Da hatte der Lieferbote die Pommes zu den Burgern vergessen. Er meinte dann, er fahre nochmal schnell und hole die. Als er nach einer Stunde nicht wieder da war, habe ich bei dem Laden angerufen, aber der Typ am Telefon meinte nur: “Friss die Scheiße halt ohne Pommes.” Ich habe dann gegoogelt und herausgefunden, dass der Laden zu einem der größeren Clans gehört. Und auf meine Pommes verzichtet.

Klingt nach einem Kultur-Clash. Als Kind vom Land, gibt es da etwas, was du in der Stadt vermisst?
Ruhe, Ruhe, Ruhe. In Berlin konnte ich irgendwann gar nicht mehr schlafen. Wenn unter dir ein Techno-DJ wohnt und neben dir eine Baustelle ist, die jetzt erst mal drei Jahre bleibt und über dir hat gefühlt eine Bowlingbahn eröffnet. Ich hatte immer das Gefühl, jetzt gleich wieder aus dem Schlaf gerissen zu werden. 

Auf dem Land ist das anders?
Da ist es immer wie in einem Geräusche-Vakuum. Da kann ich die Stille hören. Aber wenn ich dann drei, vier Tage da bin, stört es mich schon, wenn ein Hund bellt.

Was hast du durch den Wegzug vom Land gelernt?
In der Musikszene und den Medien hast du sehr viele oberflächliche Bekanntschaften. Da ist wichtiger, auf welchen Gästelisten du stehst als wer du bist. Ich habe gelernt, wie wichtig Freundschaft ist.

Wenn ich zurück in meine Heimatstadt komme, erlebe ich oft, dass der gesellschaftliche Diskurs da ein paar Jahre hinterher ist, “schwul” ist ein Schimpfwort und Homosexualität eklig. Wie ist das bei dir?
Klar, wenn du da im Gasthaus genderst, dann ist das, als würdest du mit einem Kruzifix in ein Rudel Vampire laufen. Aber mit den Freunden, die so denken, habe ich den Kontakt abgebrochen. Trotzdem, die Menschen in meinem Leben, zu denen ich mit jedem Problem kommen könnte, wohnen heute noch in der Kleinstadt von damals.

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