Dieses Wahlergebnis wird Großbritannien für immer verändern

Foto: Harry Metcalfe | Wikimedia Commons | CC BY-SA 2.0

Als die BBC am 7. Mai um 22 Uhr nach dem landesweiten Schließen britischer Wahllokale die Ergebnisse ihrer Wählerbefragung bekannt gab, war es ein regelrechter Schock für die Nation. Die Umfrageergebnisse in den Tagen vor der Wahl hatten zwar prognostiziert, dass die Konservativen die meisten Parlamentssitze bekommen würden, doch nichts hatte auf einen solchen Vorsprung hingedeutet, wie es die Umfrage nun vermuten ließ.

Die Labour-Partei war am Arsch. Ed Miliband hatte ohnehin nur eine verschwindend geringe Chance gehabt, die nächste Regierung zu stellen. Sein Hauptanliegen war das politische Überleben als Labour-Chef—doch am 8. Mai, hat Miliband sein Amt abgelegt. Mitarbeiter im Parteihauptquartier sollen geweint haben. „Ich übernehme die volle Verantwortung für dieses Ergebnis und unsere Niederlage. Es tut mir so Leid für all die Kollegen, die ihren Sitz verloren haben”, sagte er in seiner Rücktrittsrede.

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Doch am Abend nach den Wahlen waren alle Augen vor allem auf Schottland gerichtet: die Scottish National Party hatte fast jeden Parlamentssitz nördlich der englisch-schottischen Grenze gewonnen. Die endgültigen Ergebnisse zeigten schließlich, dass sie 56 von 59 Sitzen gewonnen hatte. An dieser Stelle muss betont werden, dass die SNP bei den Wahlen 2010 gerade einmal 6 Sitze bekam.

Und es ist auch Schottland, wo Labour die größten Verluste wegstecken musste. Zusätzlich dazu hat die Partei weder in England noch in Wales Fortschritte gemacht. Alle hatten vermutet, dass Ex-Wähler der Liberal Democrats den Mitte-links-Kurs der Labour-Partei gutheißen würden, doch viele wählten stattdessen die Torys. Während die LibDems also weiter rechts standen, als vielen vorher klar gewesen war, sammelt die erstarkende UKIP überraschenderweise Stimmen von genau so vielen ehemaligen Labour-Wählern wie von Konservativen. Beide Faktoren machten gestern Abend zu einer solchen Katastrophe für Miliband.

All das mag zwar kurzfristig betrachtet für die Konservativen gut aussehen, doch auf lange Sicht bedeutet es, dass das politische Bündnis zwischen England und Schottland in Zukunft einer Zerreißprobe unterzogen wird. Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der britischen Demokratie haben die zwei Nationen so unterschiedlich gewählt. Keine Partei der Nachkriegszeit hat jemals so große Erfolge verzeichnet wie die SNP dieses Jahr mit ihrer Anti-Sparmaßnahmen-Haltung und ihrer Weigerung, 100 Milliarden Pfund für die Erneuerung der U-Boot-gestützten Nuklearwaffen des Trident-Programms auszugeben. Wenn man das mit England vergleicht, wo die UKIP und die Konservativen etwa 50 Prozent der Stimmen unter einander aufteilen, dann ist schwer vorstellbar, wie diese unterschiedlichen Haltungen ohne größere Verfassungsreformen miteinander vereinbart werden sollen. Es kann nicht ein Land Sparmaßnahmen vorantreiben, während das andere Land sie ablehnt, ohne dass dabei etwas zu Bruch geht.

Die Volksabstimmung über die schottische Unabhängigkeit war zwar erst letztes Jahr, doch jetzt wo die Torys wieder am Steuer sind, werden sie wohl einige größere Zugeständnisse an die SNP machen—vermutlich in Form einer großen Verlagerung politischer Kompetenzen von London nach Edinburgh.

So wie wenige Aufstiege so kometenhaft sind wie der der SNP, so sind auch wenige Niederlagen so verheerend wie die der Liberal Democrats. Die Partei gewann 2010 satte 57 Sitze und diesmal nur 8. Einige der als am sichersten gehandelten Sitze des ganzen Landes sind ihnen dabei verlorengegangen—Namen wie Vince Cable, Simon Hughes, Lynn Featherstone und Danny Alexander. Tatsächlich ist der einzige Liberaldemokrat, der noch auf den Beinen ist—wenn auch schwankend—, Nick Clegg selbst. Seine Stimmenmehrheit im Wahlkreis Sheffield Hallam wurde von 15.000 auf 3.000 dezimiert. Vize-Premier Clegg machte in einer kurzen Siegesrede gestern Abend starke Andeutungen, dass er sein Amt als Parteichef niederlegen würde. Heute tat er es dann wirklich Labour-Chef Ed Miliband gleich und gab seinen Rücktritt bekannt, wobei er die Ergebnisse „unglaublich viel vernichtender” nannte als von ihm zuvor befürchtet.

Man könnte dieses Ergebnis leicht als einen weiteren Tory-Sieg abtun, doch es ist alles andere als das. Auf der einen Seite stehen die UKIP und die Grünen, denen Millionen von Stimmen möglicherweise nur zu einer Handvoll Sitze verhelfen werden; auf der anderen Seite steht die SNP, die größte demokratische Herausforderung an Westminster seit dem überragenden Sieg von Sinn Féin im irischen Teil der britischen Wahlen 1918. Diese Wahl war nur der Anfang. Nach dem tagelangen—wenn nicht monatelangen—Stillstand und den Verhandlungen, die nun anstehen, erwarten Großbritannien Reformen des Wahlrechts und der Verfassung. Was für welche und zu wessen Vorteil? Das bleibt abzuwarten.

Was wir jetzt schon sagen können ist, dass das Vereinigte Königreich nach dieser Wahl vermutlich in ein paar Jahren sehr anders aussehen wird als heute, ob im Hinblick auf die EU-Mitgliedschaft oder sogar bezüglich der politischen Einheit der britischen Nationen.