Wie sehr magst du Musik? Was bist du bereit für sie zu riskieren—gerade wenn Musik dein Leben ist? Es sind Fragen wie diese, die sich Anoosh Raki und Arash Shadram seit Jahren stellen. 2013 gründeten sie das Duo Blade&Beard. Luden Samplebibliotheken aus dem Netz, produzierten mit Ableton, erstellten sich ein Soundcloud-Profil. Alles ganz normal. Nicht normal waren allerdings die äußeren Umstände: Anoosh und Arash starteten ihre DJ- und Produzentenkarriere in der iranischen Metropole Teheran.
House und Techno, so wie ihn die beiden lieben, spielen und produzieren, sind als westliche Musik im Iran derzeit verboten. Ihre Sets können sie nicht in der Öffentlichkeit absolvieren, ihre Musik nur unter der Hand verkaufen. Ein Leben zwischen Frust und Gefängnisstrafen, Bestechungsgeldern und umso ausgelasseneren—illegalen—Raves. Ein Leben, das irgendwann die Weggabelung auftut: weiterhin Untergrund oder Flucht nach Europa. Die Regisseurin Susanne Regina Meures hat Anoosh und Arash genau in dieser Zeit mit der Kamera begleitet. Ihre Dokumentation über das Duo und die Szene im Iran läuft morgen unter dem Titel Raving Iran in den deutschen Kinos an. Manche der Aufnahmen konnten nur mit versteckter Kamera gedreht werden, andere zeigen die ganz alltäglichen Findungsmomente einer noch jungen künstlerischen Beziehung. Am Ende mussten sie jedoch alle im BH der Regisseurin außer Landes geschmuggelt werden.
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Anoosh hat derweil ganz andere Probleme. Ihm geht es aktuell mit Blade&Beard nicht schnell genug voran: “Arash und ich wissen beide am besten, dass wir jetzt erstmal all unsere Projekte zu Ende bringen müssen, damit was passiert.” Dazu lächelt der Musiker müde. Er sitzt ohne den gerade abwesenden Arash auf dem Balkon von Freunden in Zürich in der Schweiz. Mir erzählt Anoosh nun, wie er dort gelandet ist, warum er alles auf eine Karte setzte und wie es im iranischen Untergrund wirklich war.
Noisey: Anoosh, wie geht es dir? Was beschäftigt dich derzeit?
Gerade kam eine EP mit Tracks raus, die wir vor einem Jahr noch in der Flüchtlingsunterkunft aufgenommen hatten. Jetzt arbeiten wir an mehr als hundert Techno- und Deep-House-Stücken, die noch nicht fertig sind.
Hundert, wirklich?
Unser Leben eignet sich derzeit einfach nicht für das Produzieren. Deshalb bleibt alles bei Ideen. Wir müssen ständig umziehen. Als Künstler ist das schrecklich. Wir haben unsere Aufenthaltsgenehmigung für Zürich bekommen und sollten dann innerhalb von drei Wochen etwas finden. Aber hier eine Wohnung zu bekommen, ist schwer und teuer. Für jeden, nicht nur für Geflüchtete. Unsere Freunde helfen uns in der Zwischenzeit.
Wie ist der Kontakt mit dem Amt sonst so?
Die Behörden haben sehr lange gebraucht, bis sie uns die Aufenthaltserlaubnis ausstellen konnten, weil es für sie auch sehr kompliziert war. “Einen Fall wie Ihren hatten wir noch nie”, sagten sie uns. Jetzt fahren wir im September ja für den Kinostart nach Berlin. Aber sie machen Druck wegen dem Deutschkurs, in dem wir gerade sind. Sie meinen, selbst in Berlin sollten wir nur für den Tag der Vorführung sein. Aber das geht natürlich nicht. Ich will gerne in ein paar Plattenläden gehen. Dann möchte ich andere Künstler treffen und vielleicht mit ihnen ins Studio gehen. Das wollte ich schon damals, als ich noch im Iran war. Und klar, ich würde gerne ins Berghain.
Und wie wirkt sich diese Situation auf eure Musik aus? Seid ihr härter geworden?
Natürlich! Wir sind immer düsterer und düsterer gewesen. Aber das Problem mit den Tracks ist vielmehr eine Frage des Selbstvertrauens. Die Geflüchtetenunterkunft, in der wir vor Zürich gewohnt haben, stand alleine auf einem Berg bei Graubünden. Da gab es nur uns 30 Geflüchtete und sonst niemanden. Wir hatten keine Freunde, kein Umfeld, und Glauben an uns fast vollständig verloren. In derartiger innerer Unruhe kann niemand gute Musik machen.
Es gibt im Iran sehr viele Leute, die elektronische Musik hören—ohne zu wissen, was das eigentlich ist.
Ihr habt zuletzt ein paar Mal in Zürich und Lausanne aufgelegt. Wie lief es?
Nett, aber manchmal kannten die Booker unsere Musik auch nicht so recht. Das letzte Mal haben wir im Hive gespielt. Vielleicht war es der falsche Tag, aber als wir begannen aufzulegen, ging das Gros der Leute plötzlich nach draußen. Als wir fertig waren, sagten sie uns: “Hier läuft sonst eher groovigere Musik. Vielleicht könnt ihr euren Stil so im Berghain spielen, aber für hier war er zu heftig.”
Okay. Dann lass doch mal hören, wer gerade eure Lieblingskünstler sind!
Wir mögen Recondite sehr, Tale of Us und alles von Life And Death. Was da rauskommt, trifft exakt unseren Geschmack.
Geht ihr am Wochenende in Zürich aus, wenn ihr nicht auflegt?
Nein. Ich gehe nicht so gerne aus. Ich lege in einem Club lieber selbst auf oder mache etwas mit meinen Freunden oder nehme zu Hause Musik auf.
Der Trailer zu Raving Iran, welcher am Donnerstag in den Kinos startet
In der Dokumentation sieht man oft, wie Leute euch fragen, was House ist. Wie ist es denn um die Szene vor Ort bestellt?
Es gibt im Iran sehr viele Leute, die elektronische Musik hören—ohne zu wissen, was das eigentlich ist. Du musst sie ihnen erklären. Aber es gibt eine kleine Szene von weniger als 2.000 Leuten im ganzen Land, die sehr leidenschaftlich und gut informiert sind. Sie wissen über jede Veröffentlichung Bescheid.
Und von denen legen dann auch viele auf?
Nicht ganz. In Teheran gibt es viele DJs, aber nur ganz wenige spielen elektronische Musik. Die traditionelle iranische Musik ist ohnehin bereits sehr groovy. Manche von ihnen mischen sie dann noch mit Rihanna- und MTV-artiger Pop-Musik. Die DJs für elektronische Musik wiederum sind kaum mehr als 20. Natürlich können Sie das nur im Untergrund machen. Im Iran kannst du weder westliche noch Party-Musik öffentlich spielen. Aber du kannst sie bei Facebook finden, oder auf Soundcloud oder Instagram.
Wann hast du selbst als DJ angefangen?
Ich lege seit neun Jahren auf. Seit 2012 spielen Arash und ich zusammen, ein Jahr später begannen, wir eigene Sachen zu produzieren—am Computern, mit Ableton und Controllern.
Als ich meinen ersten Rave in der Wüste organisieren wollte, dachte ich noch, ich wäre nur ein Künstler. Am Ende lernte ich, dass ich auch ein Festivalleiter, und vieles mehr sein musste.
Wie habt ihr euch denn das Produzieren beigebracht? Etwa auch mit YouTube-Tutorials?
Im Iran hat die Regierung sehr viele Internetangebote gesperrt, darunter auch YouTube. Wir mussten also immer wieder Proxy-Umleitungen nutzen, um an Tutorials und andere Videos zu kommen. Hinzukam, dass die Verbindung so langsam war. Es hat Ewigkeiten gedauert, bis du mal eine Sample-Bibliothek runtergeladen hattest. Als wir dann in die Schweiz kamen, haben wir uns erstmal allerhand Zeug angesehen.
Außerdem habt ihr illegale Partys veranstaltet, was im Film nach sehr, sehr viel Aufwand aussieht.
Als ich meinen ersten Rave in der Wüste organisieren wollte, dachte ich noch, ich wäre nur ein Künstler. Am Ende lernte ich, dass ich auch ein Festivalleiter, und vieles mehr sein musste. Es braucht sehr viele E-mails, sehr viele Leute, sehr viel Geld—und sehr viel Vertrauen. Es ist unglaublich schwierig, den richtigen Ort zu finden. Es ist unglaublich schwierig, an ein Soundsystem zu kommen. Und es ist unglaublich schwierig, die Reise selbst zu organisieren. In Europa ändern sich die Regeln täglich, im Iran hingegen die Probleme. Wenn du heute ein Problem mit einem Gesetz hast, dann hast du morgen das doppelte. Das ist sehr kompliziert.
Dieses Video soll einen illegalen Rave im Iran zeigen, wie sie auch Anoosh und Arash veranstaltet haben
Bei dem Rave waren auch Frauen dabei, die allerdings stets lange Tücher bereithalten sollten, falls die Sittenpolizei auftaucht.
Für sie ist die ganze Situation noch schwieriger. Sie haben ohnehin sehr viele Probleme im Iran, müssen sich im Iran ständig bedeckt halten. Sie dürfen nicht trinken. Die Regeln sind schrecklich und peinlich, schließlich sind Frauen Menschen wie du und ich und jeder andere auch.
In dem Film sagt ihr ein Wort besonders oft: kiri, Scheiße! Oftmals wirkt ihr hin und hergerissen. Was war der entscheidende Antrieb für euch, alles so zu machen, wie es nun passiert ist?
Wenn du einfach aufhörst, erreichst du du nie dein Ziel. Du musst es zumindest versuchen, selbst wenn es zunächst ausweglos erscheint. Das hatte ich gelernt, als ich noch ein Sportler war. Zehn Jahre lang habe ich professionell Basketball gespielt. Ich war ein Jugendspieler eines Teheraner Clubs, der damals der erfolgreichste Asiens war. Aber ich habe es nie richtig durchgezogen. Ich beneidete alle meine Freunde und ehemalige Mitspieler, die dann tatsächlich erfolgreich wurden.
Wie seid du und Arash dann zusammengekommen?
Vor acht Jahren. Da waren wir zunächst nur ganz normale Freunde innerhalb einer größeren Gruppe. Dann erzählte ich ihm vor drei Jahren, dass ich ein paar coole neue Tracks hätte, die man mal b2b auflegen könnte. Das haben wir dann gemacht und ich wusste, dass ich in Arash jemanden gefunden hatte, mit dem ich meinen Traum verwirklichen konnte. Auch er akzeptierte mich. Außerdem kannte er sich bereits mit Ableton aus.
Ihr beide hattet schon ziemlich präzise Vorstellungen nicht nur von elektronischer Musik, sondern auch von der Kultur drumherum. Im Film redet ihr von Ibiza und vom Feiern im Sonnenaufgang.
Wir versucht, genau diese Kultur für die Leute im Iran zu kreieren. Und außerdem wollten wir der Welt zeigen, dass es so etwas auch im Iran geben kann. Wir wollten schon immer so viele Menschen wie möglich erreichen.
Bei Soundcloud kann man ja sehen, woher jemand kommt, der deine Tracks anhört. Wie sah euer Publikum aus, bevor ihr durch den Film bekannter wurdet?
Wir hatten ein paar innerhalb und außerhalb des Irans als Freunde auf Facebook, darunter auch Leute, die das Land schon vor uns verlassen hatten. Sie haben unsere Musik weiterverbreitet. Vor dem Film kam bereits die Hälfte unserer Soundcloud-Hörer nicht aus dem Iran.
Wir wollten der Welt zeigen, dass es so etwas auch im Iran geben kann. Glaub mir: Die Leute hier sind wirklich wie die in den USA oder Europa.
Das Bild, dass viele Medien nicht nur vom iranischen Regime, sondern auch von der iranischen Bevölkerung zeichnen, ist ein sehr konservatives. Dabei habe ich schon oft gehört, wie liberal eigentlich die Menschen gerade in Teheran sind.
Glaub mir: Die Leute im Iran sind wirklich wie die in den USA oder Europa. Durch die Sanktionen sind viele an die Grenze der Armut gebracht werden und deshalb versuchen manche vielleicht auch an ein wenig Geld von Touristen zu kommen. Aber allen ist der Austausch, die Kommunikation mit den Menschen am wichtigsten. Sie würden sehr gerne selbst nach Europa kommen, nur um zu sehen, wie es hier wirklich ist.
Mal angenommen, dass aktuelle System bzw. dessen Ausrichtung im Iran ändert sich. Wie, glaubst du, würde dann das Teheraner Nachtleben aussehen?
In der Geschichte des Irans hat eine Veränderung der Regierung noch nie eine Verbesserung der Lebensumstände mit sich gebracht. Aber es wäre großartig, wenn die nächste Regierung weniger religiös wäre. Ich habe große Hoffnungen, dass die Szene in Teheraner wie die in Dubai oder Tel Aviv werden könnte. Die jetzige Regierung drängt uns aber in den Untergrund. Wer ein westliches Leben leben will, kann das nur im Privaten machen.
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