DMT aus dem Meer


Illustration von Santtu Mustonen
Hintergrundfoto mit freundlicher Genehmigung von NOAA

Da ich hauptsächlich über psychoaktive Substanzen schreibe, bin ich es gewohnt, von Fremden kontaktiert zu werden, die gerne etwas über die Wirkung verschiedener Drogen zu berichten wünschen. Diese Berichte sind zwar größtenteils uninteressant, doch hin und wieder ist etwas Ungewöhnliches dabei. Der folgende Brief eines anonymen Tryptaminchemikers ist ein Paradebeispiel:

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IM UHRZEIGERSINN VON OBEN LINKS: DMT ist in den Blättern von Psychotria viridis vorhanden; Bufotenin ist präsent in den Samen von Anadenanthera colubrina; 5-Brom-DMT und 5,6-Dibrom-DMT befinden sich im Körper von Smenospongia aurea.

So einfach sein Inhalt erscheinen mag: Dieser Brief enthält möglicherweise Beweise für die erste psychedelische Droge aus dem Meer.1 1997 schrieb Alexander Shulgin über marine Tryptamine: „5-Brom-DMT und 5,6-Dibrom-DMT sind in den Schwämmen Smenospongia aurea bzw. S. echina enthalten. Ich habe keine Ahnung, ob sie durch Rauchen aktiv werden (beim 5-Brom-DMT könnte es sein) … Ich bildete mir ein, das gerade von mir in die Welt gesetzte Gerücht im Keim ersticken zu können: dass sämtliche Hippies aus San Francisco in die Karibik unterwegs seien, um sich mit psychedelischer Inbrunst in den Schwammhandel zu stürzen. Das ist nicht wahr. Ich lehne jede Verantwortung für diesen Mythos ab.“

Diese halb scherzhaft gemeinte Bemerkung Shulgins löste Spekulationen über die mögliche Existenz schwammiger Psychedelika aus. Um eines klarzustellen: Es gibt keinen Grund, warum 5-Brom-DMT nicht psychedelisch aktiv sein sollte. Die Substitution eines Wasserstoffatoms durch ein Bromatom erhöht die Lipophilie und verleiht 5-Brom-DMT einen pharmakokinetischen Vorsprung gegenüber seinen nahen Verwandten DMT und Bufotenin, wenn es sich im Gehirn aufspaltet. Und es ist allgemein bekannt, dass die 5-Position des Tryptaminmoleküls eine große Brandbreite an Substituenten akzeptiert, dabei aber aktiv bleibt.

Der mysteriöse Brief beschreibt die ersten Versuche mit 5-Brom-DMT an Menschen, doch die Chemikalie war vorher bereits von einer Forschergruppe der University of Mississippi an Nagern untersucht worden. Das Alkaloid 5,6-Dibrom-DMT zeigte beim forcierten Schwimmtest mit Nagern anxiolytische und etwas diffuse, „Antidepressiva ähnliche“ Aktivität. 5-Brom-DMT dagegen tat das nicht. Stattdessen reduzierte 5-Brom-DMT die lokomotorische Aktivität in Mäusen und ließ die Autoren auf eine sedative Wirkung schließen. Auch beim außergewöhnlich potenten Halluzinogen 5-Methoxy-DMT ließ sich in zahlreichen Versuchen mit Nagern eine Reduktion der lokomotorischen Aktivität feststellen; dasselbe gilt für hoch dosiertes DMT. Aber kommen wir zu den Schwämmen zurück, die das 5-Brom-DMT so interessant machen. Schwämme entwickelten sich in warmen, präkambrischen Gewässern, die einen fast doppelt so hohen Salzgehalt aufwiesen wie das Meer heute und mit Unterwasservulkanen übersät waren, die Halogene über den Meeresboden spuckten. Uralten Schornsteinen aus Glas und Schleim gleich, strudelten die Schwämme den Superozean Panthalassa samt seiner mikroskopisch kleinen Geißeltierchen in sich hinein. Schwämme sind am unteren Ende des phylogenetischen Lebensbaums angesiedelt. Ob unter oder unmittelbar neben dem taxonomischen Zweig, der den mit einem Nervensystem ausgestatteten Menschen hervorbrachte, ist umstritten. Die vier stabilen Halogene Iod, Brom, Chlor und Fluor treten im Meer in viel höheren Konzentrationen auf als an Land. Besonders interessant ist das im Periodensystem der Elemente unter dem Chlor aber über dem Iod eingeordnete Brom, das erstmals in der Asche verbrannter Meerespflanzen entdeckt wurde und immer noch industriell aus dem Meer und Seen gewonnen wird. Die Brom-Konzentrationen darin sind so hoch, dass etwa vier Kubikkilometer Meereswasser über 279 Kilotonnen davon enthalten; mehr als genug, um den jährlichen Brombedarf der USA zu decken.

Schauen wir uns jetzt die wabenförmige Kuriosität Smenospongia aurea genauer an, die Spezies, die vor allem mit der Präsenz von 5-Brom-DMT und anderer verwandter Tryptamine verbunden wird. Der Schwamm S. aurea ist ein kleiner Riffbewohner, der nur selten größer wird als eine Menschenhand. Er ist sowohl in flachen Küstengewässern als auch im Halbdunkel tiefer Riffe verbreitet: vom Golf von Mexiko über die Florida Keys bis in die Westbahamas und die Karibik. Lebendig weist S. aurea Farbmorphe von Zimtbraun bis Cremegelb auf, mit vereinzelten purpurnen und grünen Akzenten. Schwammforscher interessieren sich besonders für die sonderbare, aerophobe Farbwechselreaktion der Spezies Smenospongia; wird er aus dem Wasser entfernt, nimmt der Schwamm eine gummiartige Konsistenz an, sondert Schleim ab und wechselt spontan die Farbe von Braun zu Schwarzviolett, das sich nach dem Trocknen nicht mehr verändert. Der bekannte Schwammforscher Felix Wiedenmayer entdeckte als erster das ungewöhnliche Sterbeverhalten der Spezies: „Ihre Körperzellen werden kurz nach dem Tod schleimig und laufen aus, sodass die schwarzen Rückstände in den meisten trockenen Exemplaren lediglich die Fasern überziehen und an einigen Stellen des Geflechts Häutchen bilden.“ Verschiedene Schwämme der Spezies Aplysina produzieren das Tryptamin 5,6-Dibrom-Hypaphorin und zeigen ebenfalls aerophobe Farbwechselreaktionen: von Gelb in der lebendigen Spezies über dunkler werdende Blauschattierungen, wenn sie aus dem Wasser entfernt werden, bis zu Schwarz im Tod. Ähnlich die Spezies Verongula, die sowohl 5-Brom-DMT als auch 5,6-Dibrom-DMT enthält, und einen dramatischen, aerophoben Farbwechsel ins Purpurne zeigt, begleitet von nekrotischer Schleimabsonderung. Diese Reaktion entspricht der Entfärbungsreaktion in tryptaminhaltigen Pilzen, die indigofarbene Flecken entwickeln, sobald sie aus ihrem Substrat entfernt oder auf andere Art grob behandelt werden.2 Mit wenigen Ausnahmen basiert die Beziehung des Menschen zum Schwamm auf Ausbeutung. Im antiken Rom dienten sie als Klopapier; in den Florida Keys wurden viele Spezies von kommerziellen Schwammfischern fast bis zum Aussterben überfischt. Die Schwämme schenkten uns (wahrscheinlich) das Leben, das antivirale Herpesmedikament Vidarabin sowie das erste marine Psychedelikum, und wir danken es ihnen, indem wir ihre Skelette zur Entfernung abgestorbener Hautzellen nutzen. Selbst die seltene Schwammfischerkrankheit, die die gleichnamige Berufsgruppe betrifft und sowohl schlimmste Schmerzen als auch Hautläsionen hervorruft, wird nicht durch ein Schwammtoxin verursacht, sondern ist vielmehr der Neigung des Schwamms geschuldet, Nesselzellen verschiedener Seeanemonenspezies anzusammeln. Was mich zu meinem nächsten Punkt bringt. Der Schwamm ist vielleicht gar nicht verantwortlich für die Biosynthese von 5-Brom-DMT. Es gibt Hinweise darauf, dass die Präsenz von 5-Brom-DMT in Schwämmen von der Beziehung zu einem unbekannten Symbionten, vielleicht bakteriellen Ursprungs, herrührt. Diese Behauptung wird unterstützt durch die intraspezifische Variabilität in der Alkaloidpräsenz. Ähnliche Tryptamine sind in taxonomisch entfernten Schwammspezies gefunden worden, und sowohl 5-Brom-DMT als auch 5,6-Dibrom-DMT sind in Bryopsis- Algen vorhanden. Sollte ein solcher Symbiont kultivierbar sein, könnte das die Produktion von 5-Brom-DMT in großen Mengen erleichtern. Den möglichen Nutzen möchte ich nun kurz darlegen.

Serotonin wurde von Anfang an mit dem Meeresleben in Verbindung gebracht. Vittorio Erspamer isolierte zum ersten Mal in großem Maßstab reines Serotonin. Er verwendete Aceton, um 30 Kilo davon aus den Speicheldrüsen der Mäuler von 30.000 frischen Oktopussen zu extrahieren. Betty Twarog baute auf Erspamers Forschung auf. Sie tauchte gewöhnliche Muscheln in eine speziell entworfene Kammer, um zu zeigen, dass Serotonin fähig ist, die gleichmäßige Muskelkontraktion zu stören und Muschelschalen zu öffnen. Serotonin beeinflusst auch die regenerativen Prozesse in den unsterblichen Planarien, während sowohl bei Protisten als auch Bakterien—Organismen ohne Nervensystem—Serotoninnutzung für chemische Signalgebung beobachtet wurde. Man vermutet sogar, dass serotonerische Ziliarbänder in Bivalvia den evolutionären Ursprung der Neuralrohre in Wirbeltieren darstellen, womit dem Serotonin eine zentrale Rolle in der Genese des Nervensystems zugewiesen wird. Anzunehmen, dass Smenospongia aurea 5-Brom-DMT und verwandte Tryptamine produziert, um terrestrische Wirbeltiere wie dich und mich mit einem flüchtigen, psychedelischen Höhenflug zu versorgen, wäre ein tragischer, anthropozentrischer Fehler. Serotonin ist in fast jedem lebenden Organismus vorhanden, scheint aber in Porifera verdächtig abwesend zu sein. Es wurde nur bei einer Handvoll Gelegenheiten in der Geschichte der Schwammforschung entdeckt. Hier meine einfache Erklärung: Serotonin zieht außergewöhnlich stark Seepocken an. Es ist derart anziehend, dass es im Kawahara-Seepocken-Ansiedlungstest als Goldstandard verwendet wird. Niedrige, mikromolare Konzentrationen reichen aus, um eine fieberhafte Metamorphose und Ansiedlung von Cypris-Larven auszulösen, was eine Kettenreaktion auslöst, in der sessile Seepocken pheromonartig signalisierende Moleküle abgeben, um neue Seepocken zum Andocken zu bewegen. In Gezeitenzonen, die so überfüllt sind, dass lebendige Organismen aufeinander wachsen und riesige Türme auf den Überresten der toten aufschichten, müssen Schwämme zur Nahrungsaufnahme in der Lage sein, Wasser durch das Labyrinth der verschachtelten Kanäle, Hohlräume und Poren ihrer Körper strudeln zu lassen. Serotonin mag ja für anspruchsvolle Neurotransmission unabdingbar sein, aber was nützt einem ein Nervensystem, wenn man unter Seepocken erstickt?

Was jedoch bedeutend wichtiger ist als der Mangel an Serotonin in Schwämmen, ist das Überangebot an nahen Serotoninderivativen. Auf dieselbe Art wie Serotonin Seepockenansiedlung auslöst, wirken die Serotonin-Neurotransmission modifizierenden Drogen, insbesondere SSRIs (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) wie das pharmazeutische Antidepressivum Imipramin, genauso wie starke Biozide und wehren Seepocken sowie andere Möchtergernkolonisatoren ab. Angesichts der fast sicheren serotonerischen Aktivität von Brom-DMT-Mischungen ist es sehr gut möglich, dass sie beim Schutz der Spezies vor lästigen Epibionten eine Schlüsselrolle spielen. Diese Theorie wird außerdem durch die zahlreichen Brom-Indole unterstützt, die bekanntermaßen wie essenzielle Biozide wirken und in verschiedenen sessilen Meeresspezies gefunden wurden. In einem bedrohlich durch Antifouling-Biozide wie Tributyltin verseuchten Ozean ist eine Zukunft, in der Schiffe einen Anstrich mit der psychedelischen Essenz von Smenospongia aurea erhalten, eine doch eher erfreuliche Aussicht. Wie in dem Schreiben versprochen, befand sich darin ein gefaltetes Briefchen mit etwa 10 mg eines blassgelben Kristalls. Das Material wurde mittels Schmelzpunkt, GC-MS, 1H und 13C NMR analysiert und entsprach 5-Brom-DMT. Meiner Meinung nach ist der Bericht echt.3

1 Ja, ich bin mir des berüchtigten „Traumfisches“ bewusst. Angeblich Sarpa salpa als auch verschiedene Spezies von Kyphosus und Siganus. Es wurden nur wenige chemische Analysen über diese Fische publiziert, und ihre genaue Aktivität ist nicht gesichert, doch das, was dokumentiert wurde, weist auf ein langandauerndes, für serotonerische Psychedelika untypisches Delirium hin. Nur in einem Bericht wurde die beobachtete Symptomatologie mit der von LSD verglichen und in der ichthyologischen Gerüchteküche des Practical Fishkeeping-Magazins veröffentlicht; offenbar ließen sich mit Gerüchten über Essstörungen gigantischer Isopoden keine Anzeigen verkaufen.

2 Ich finde die Möglichkeit sehr interessant, dass die dunklen Pigmente eine Folge der Dimerisierung von Brom-Indolen zu Pigmenten des Purpurtyps sind. Ich persönlich habe schon eine kleine Ampulle mit einer geringen Menge methanolischen Smenospongiaextrakts gesehen, und genau wie in den Berichten handelte es sich um ein dunkles, ins Schwarze tendierende Violett. Außerdem wird jeder erfahrene Tryptaminchemiker bestätigen, dass synthetische Zwischenstufen (insbesondere rohe Säurechloride) buchstäblich in allen Regenbogenfarben vorkommen.

3 FB (von Hexanen) Schmelzpunkt: 99-102,3 °C. Konsistent mit dem Referenzmaterial (99.6-102,0 °C) und 98-99°C laut Djura et al. 1979.

  GC-MS: Unter den gegebenen Bedingungen wurden bei der freien Base zwei GC-Peaks beobachtet. Der kleinere GC-Peak ergab mit der Muttersubstanz konsistente MS-Ionen-Spektren. MS (EI) (m/z, %): 268 (100), 267 (50), 254 (90), 239 (20) 154 (10), 127 (10). Der zweite und größere GC-Peak wies auf ein Degradationsartefakt hin. MS (EI) (m/z, %): 129 (10), 102 (10), 58 (100) 42 (10). Obgleich die Analyse nicht optimiert wurde, variierten die Höchstwerte durch die Veränderung der GC-Parameter. Ebenso ergab das Hydrochlorid, das eher zur Degradation neigt, nur einen einzigen Artefakthöchstwert. Letztendlich waren die Ergebnisse konsistent mit dem Verhalten des Referenzmaterials. Diese Faktoren weisen darauf hin, dass es zu Artefaktbildung kam.

  1H NMR (400 MHz, CDCl3): δ 8.3 s(1 NH), 7.74 d(J = 1.85 Hz, 1H), 7.27 dd(J = 8.61, 1.85 Hz, 1H), 7.19 dd(J = 8.65, 0.46 Hz, 1H), 7.02 d(J = 2.25 Hz, 1H), 2.91 t(J = 7.95 Hz, 2H), 2.64 t(J = 7.95, 2H), 2.36 s(2 CH3)

  13C NMR (100 MHz, CDCl13): δ 134.01 (1 Ar-H), 129.31 (1 Ar-H), 124.71 (1 Ar-H), 122.78 (1 Ar-H), 121.42 (1 Ar-H), 114.22 (1 Ar-H), 112.52 (1 Ar-H), 112.47 (1 Ar-H), 60.13 (1 CH2), 45.47 (2 CH3), 23.56 (1 CH2