Inge Ginsberg ist in den Zwanzigern in einer wohlhabenden jüdischen Familie in Wien aufgewachsen. Im Verlaufe des zweiten Weltkriegs floh sie dann vor den Nazis in die Schweiz und spionierte dort im Auftrag des US-Geheimdienstes deutsche Truppen in Italien aus. In den Fünfzigern arbeitete sie zusammen mit ihrem Mann als Songwriterin für Hollywood-Größen à la Dean Martin oder Nat King Cole. Mit 93 Jahren steht Inge Ginsberg im Kurzfilm Death Metal Grandma schließlich gemeinsam mit einer Handvoll Musikerinnen in einem New Yorker Aufzug kurz vor einem Casting-Show-Auftritt und empfiehlt: “I’m a rap singer, you can YouTube me!”. 2014 erscheint nämlich im Zuge ihrer Bewerbung für den Eurovision-Songcontest ein Musikvideo, in dem sie als Frontfrau einer Metalband in die Kamera singt. Selbes Spiel dann ein Jahr später bei der Schweizer Ausgabe des Supertalents mit neuem Song. Was auf den ersten Blick absurd klingen mag, hat die New Yorker Filmemacherin Leah Galant in einem kurzen Portrait mit viel Fingerspitzengefühl und noch viel mehr Ehrlichkeit eingefangen.
Death Metal für Casting-Shows oder im Alltagsleben einer über 90-Jährigen also? Geht so, denn mit krachenden Blastbeats, Gitarren, die ganze Wälder zersägen und wahlweise kreischenden oder grunzenden Vocals hat die Metal-Band wenig zu tun. Wer sich jetzt fragt, wie das trotzdem mit einer persönlichen Doku über den Umgang einer alten Frau mit ihrer eigenen Geschichte und Gegenwart zusammen passt, dem sei vorab so viel gesagt: Es geht in den gesamten 12 Minuten keine Sekunde um das Genre selbst. Es ist auch einfach fucking egal, ob sich Ginsbergs Songs für Fans (Meddl Leude!) nach musikalisch geilem Scheiß anhören.
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“Fick und friss und trink und lach”
Galant zeigt in ihrem Portrait viel mehr, warum es sich lohnt, auch im wirklich hohen Alter Teil eines funktionierenden sozialen Umfelds zu sein, das einen wiederum für genau das akzeptiert, was man an diesem Punkt des Lebens ist. Und für Ginsberg sind das eben Texte wie “Vergiss den Wurm / Vergiss den Sarg/ Fick und friss und trink und lach / Dann fährt der Teufel zur Hölle ab”.
Wie die Aufnahmen zeigen, fällt es Ginsberg mitunter schwer, sich für längere Zeit auf den Beinen zu halten. Beim Trinken aus einer Flasche wird ihr geholfen, die Hände zittern beim Auftragen des Lippenstifts und während der Audition für “America’s Got Talent” entfällt ihr der selbstgeschriebene Text. Und ihre Death-Metal-Kollegen? Bleiben entspannt, bringen einen Stuhl zum Sitzen, schieben den Rollstuhl weiter. Death Metal Grandma zeigt, dass es manchmal eben nicht darum geht, wie man etwas macht, sondern darum, dass man es macht.
“My spirit is very willing, but my flesh is very tired” verrät Ginsberg nach einer kleinen Recording-Session, sich des eigenen Alters klar bewusst. Galants Kurzfilm ist eine ruhige Verbeugung vor eben diesem wachen Geist und ein stiller Aufruf, diesen nicht mit der Hülle zu verwechseln, die ihn seit mittlerweile 96 Jahren trägt.