Wir leben in trostlosen Zeiten. Darüber spreche ich oft mit meinem Kumpel Marco. Corona macht Menschen nicht nur einsamer, sondern auch schlechter gelaunt. Wer drin bleibt, will raus. Wer raus geht, will wieder rein. Wer noch Bahn fährt, ist gereizt. Marco meint aber, dass es da jemanden geben würde, der sich die Laune nie vermiesen lässt. Sein Drogendealer.
Marco hält mir sein Smartphone vors Gesicht. “Einen wunderschön morgen und ein angenehmen freitag. LiebenGruß Smiley.” Die letzte Nachricht seines Dealers. Orthografische Fehler lassen die Worte noch authentischer klingen, irgendwie wärmer, menschlicher. Und überhaupt: Wer bekommt schon ohne Anlass nette SMS von seinem Drogendealer? Zwei Tage später, an einem Sonntag, präsentiert mir Marco eine neue Nachricht: “Schönes Wochenende LG. Smiley.”
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Wow. Eine Nachricht vor dem Wochenende und eine danach. Wenn Smiley eine Dinnerparty geben würde, wäre er bestimmt der Typ, der zwei Tage später Danksagungen per Post verschickt. Ich kenne das ja eher so, dass man den Dealer lange vergeblich zu erreichen versucht, bis endlich klar ist, welche Nummer er aktuell verwendet, dann von ihm gesagt bekommt, wo er gerade ist und man irgendwann später am Tag geschmeidige zwei bis drei Stunden an einer Straßenecke herumlungert und auf ihn wartet. Good old times. Marco erzählt: “Smiley ist immer da und immer pünktlich. Sein Gras ist echt gut.”
Zwischen den beiden Gute-Laune-SMS hat Smiley noch eine Nachricht mit praktischen Infos geschickt. “Einen angenehmen Sonntag. Bin wieder da mit superb. Lieben Grüße. #SMILEEY #selber #dieganzeZeitda.” Wow. Smiley macht sogar Institutionen Konkurrenz, die ich bisher weit vorne gesehen habe, wenn es um Verlässlichkeit geht: dem ADAC, der Tagesschau, meiner Mutter.
Marco erzählt mir irgendwann: “Ich kenne echt niemanden, der mir so oft nette Sachen schreibt wie Smiley.” Das klingt traurig, aber Marco zeigt mir all die netten Nachrichten von Smiley. Dessen Fürsorge ist keine Ausnahme! Da ist nicht mal einer zugedröhnt auf seiner Tastatur ausgerutscht. Smiley verschickt eine bis drei Nachrichten pro Woche. Wenn er eine neue Nummer hat, teilt er dies selbst mit und hat auch noch ein freundliches Wort übrig. “Angenehmen Samstag, viele gute Wünsche und einen schönen Tag.” Meistens nennt er sich Smiley, manchmal Smaily, einmal nur smile.
Vor einigen Wochen will ich mal wieder Marco besuchen, aber der schreibt zurück: “Geht nicht. Hab Corona.” Marco ist der erste aus meinem nahen Freundeskreis, der sich angesteckt hat. Ich frage ihn, ob er etwas braucht. Er schickt mir eine Einkaufsliste. Risotto-Reis, Spinat für den Tiefkühler, solche Dinge. Ich kaufe alles ein, stelle die Tüte bei Marco vor die Tür, spreche von der Straße kurz mit ihm. Es gehe ihm ganz okay, aber Alkohol oder Gras gehen gerade nicht, noch nicht einmal Zigaretten. Ich winke Marco zu.
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Später leitet er mir eine Nachricht von Smiley weiter: “Angenehmen Sonntag wünsch ich mal wieder :-) Liebe GrüßeSmiley #keinwarte #maskenpflicht.” Verdammt. Hätten doch nur mehr Menschen auf Smiley gehört. Ich habe keine Ahnung, wie viele Personen seine Nachrichten bekommen, aber er ist sicher keine kleine Nummer. Ein Underground-Influencer sozusagen. Wenn Smiley spricht, hört die Partyjugend zu. Oder auch nicht. Sonst wäre Marco jetzt nicht krank.
Irgendwann bekomme ich eine weitere Nachricht weitergeleitet. “By the way es heißt #keine wartezeiten oder #nichtwarten.” Gefällt mir gar nicht. Wo ist die Wärme geblieben, wo versteckt sich in diesen Zeilen das Zwischenmenschliche? Ich habe ja schon immer vermutet, dass Smiley nicht nur eine Person ist, aber wer auch immer da gerade postet, hat nichts begriffen. By the way. Wir sind hier doch nicht beim Kreisgruppentreffen der FDP.
Marco ist zum Glück genesen. Er will sich demnächst mal wieder mit Smiley treffen. Ich habe ihm gesagt, er soll ihm mal ins Gewissen reden. In Zeiten wie diesen darf der nette Ton nicht flöten gehen. Angenehmes Wochenende euch.