Als Childish Gambinos neues Album Because The Internet vergangene Woche in mein Mailpostfach leakte, habe ich kurz gezögert, bevor ich es öffnete. Und das nicht etwa, weil ich Angst vor Porno-Viren oder einem Angriff der syrischen Cyber-Armee hatte, sondern weil ich schon seit Monaten Glovers sprunghafte Handlungen verfolge. Zuerst verkündete er, dass er weniger Zeit bei Community verbringen würde. Dann wurde es Social-Media-mäßig gesehen ruhig um ihn—abgesehen von seinem ersten Track „Centipede“, den er irgendwann veröffentlichte. Als nächstes kam Clapping fort the Wrong Reasons, ein 30-minütiger Kurzfilm, der nichts mit dem zu tun hatte, was man bisher von dem Comedian gewohnt war („Troy and Abed in the morning“ zum Beispiel). Dann passierte diese Instagram-Geschichte, bei der er ein paar von Hand geschriebene Briefe veröffentlichte, in welchen er erklärte, was ihn an den neuen Medien und dem Internet nervt. Es folgte noch mehr neue Musik—Musik, die übrigens von den wenigen, die sie gehört haben, als sehr gut befunden wurde—und die Bekanntgabe der Veröffentlichung seines Albums Because The Internet. Er gab bei Noisey ein Interview, in dem er über seinen Selbstmordversuch sprach und zugab, mehr Drogen zu nehmen, um ein besserer Rapper zu werden. Wenn man ihn heute in der Öffentlichkeit sieht, wirkt er, als ob er neben sich stünde, ein bisschen so, als ob er selbst nicht wüsste, was er als nächstes tun wird und trotzdem versprüht er immer noch diesen Hollywood-Charme. Als Kritiker und Rap-Fan war es faszinierend, diese Entwicklung zu beobachten. Als das Album dann tatsächlich kam, war ich vorsichtig, denn was zur Hölle würde ich tun, wenn ich dieses Childish Gambino Album wirklich mochte?
Die Tatsache, dass ich diesen inneren Konflikt darüber hatte, ob es denn jetzt okay für mich wäre, seine Musik zu mögen oder nicht, ist irgendwie lustig, aber auch ein klarer Indikator für das, wofür Because The Internet steht: wie Glover sich über sich selbst im Klaren ist, wo er mit Gambino hin will und was die Kultur über ihn denkt.
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Oh, auch von Interesse ist die Überlegung, dass Childish Gambino im Moment der am meisten gehasste Rapper im Game ist.
Springen wir nochmal zurück. Warum hassen wir—die Musikjournalisten und diejenigen, die Musik mögen—Childish Gambino so sehr? Eigentlich wirkt Donald Glover doch wie ein netter Typ, zweifellos. Neben dem Rappen hat der 30-Jährige eine erfolgreiche Karriere als Autor, Comedian und Schauspieler. Er schrieb schon mit 23, frisch aus dem College, für die Serie 30 Rock und kassierte dafür Awards. Er fing mit der Schauspielerei an, bekam die Rolle des Troy in Community, eine kluge und lustige Sitcom, die das Herz der Serienliebhaber eroberte. Seine Stand-Up-Comedy ist scharfsinnig und voller cleverer Pointen. Er ist sich seiner selbst bewusst und fühlt sich in der Rolle des Weirdos wohl. Und kurz bevor er sich wegen seiner bevorstehenden Veröffentlichung in den Winterschlaf begab, baute er sich einen charmanten Ruf in der Presse auf, zum Beispiel mit diesem Portrait in der Village Voice (2011), in dem er einen roten American-Apparel-Hoodie trägt, und sich mit einem Zahnpasta-Werbungs-Lächeln in die Hose greift.
Kurzum, der Großteil seiner Karriere brachte ihm den Ruf einer liebenswerten Person ein, die man gerne zum Abendessen mit seinen Eltern einlädt.
Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist wahrscheinlich genau das der Grund, dass die Musikkritiker ihn nicht mögen. Er ist nicht cool und es ist ihm egal. Niemand, der cool ist, würde jemals mit einem Rap-Namen ankommen, den einem der beschissene, Jahre alte „Wu-Tang Name Generator“ für „Donald Glover“ ausspuckt.
Ihr braucht Beweise? Fangen wir mit der Pitchfork-Review für Camp, seinem Debütalbum, an, für das er bemitleidenswerte 1.6 Punkte (von 10) bekam. „Glover isn’t strictly a comedy rapper, but he flows like a comic actor: When he’s trying to be playful, his voice hitches in a pubescent squeak, and when he goes in, he’s still delivering one room-clearing punchline after another with earnestness of the most confused Rhymesayers guy ever.” Abgesehen davon, dass die Rezension ziemlich zutreffend war (Camp war wirklich kein gutes Album), war das der virtuelle Sargnagel für Donald. Seither wurde alles, was Childish Gambino fabrizierte, automatisch zu Scheiße erklärt. In diesem Herbst sprach Glover in seinem Interview mit Noisey darüber. „Pitchfork hat mir sehr geholfen“, hat er Slava Pastuk erzählt. „Es gibt keine Möglichkeit sich zu verschlechtern, das wäre unmöglich. Aber ich nehme es ihnen nicht übel, sie sind eben eine Marke. Wenn ich für Pitchfork arbeiten würde, würde ich mir auch keine 9.0 geben. Pitchfork ist eine Marke, die versucht Tickets für ihr jährliches Event zu verkaufen. Sie vergeben keine 1.6 an jemanden, der für ihre Show Tickets verkaufen könnte.“
Abgesehen von Glovers Selbstverständnis und dem Willen sich weiterzuentwickeln, sind die Nachwirkungen allgegenwärtig. Man muss sich nur ein paar Kritiken zu Because the Internet durchlesen. In der Consequence of Sound-Review (eineinhalb Sterne) stellt Philip Cosores, der seinerseits auch für Noisey schreibt, eine Zeile heraus: „spending more on friends than TBS” aus dem Song „Life: The Biggest Troll (Andrew Auernheimer)”. Er erzählt darauf eine Anekdote aus seiner Zeit als Barkeeper, in der er vorgab Friends zu kennen, wenn ihn jemand darauf ansprach. „Ich würde ein Lachen vortäuschen und am Ende so etwas sagen wie ‘Das ist aber lustig’,“ schreibt Cosores. „Ich habe das gemacht, weil ich nett war und diesen Leuten nicht sagen wollte, dass Friends Mist ist und sie sich schämen sollten, dass sie sogar mit ihrem Barkeeper über diese Serie reden wollten. Weil ich so nett bin—diese Rezension fällt auch in diese Kategorie. Der Grund, warum niemand dieses Album mögen wird, ist, dass es nicht cool ist.“
Es stimmt. So blöd es sich auch anhört, Childish Gambino ist nicht cool genug, um gemocht zu werden. Es ist leichter ihn zu hassen, noch bevor er seinen Mund überhaupt aufmacht. Ihr wisst, was ich meine, oder? Er trägt eine große Brille und macht Wortspiele. Sein Lächeln ist schöner als deins. Auch wenn die Friends-Zeile ziemlich lustig ist—wenn Lil Wayne das gesagt hätte, würden wir ihn für diese clevere und komplizierte Line lieben. Aber sie ist eben nicht von Lil Wayne. Sie ist von Troy von Community. Nichts an seiner Musikkarriere ist jemals „real“ rübergekommen. Er ist soft. Er ist ein Emo. Er ist ein Clown. Und am schlimmsten ist, dass man jeden Vorwurf, den man in den letzten Jahren gegen Drake wegen seiner viel zu offenherzigen Vines erhoben hat, 100-fach gegen Gambino richten kann.
Das wiederum lässt eine interessante Frage aufkommen. Warum lieben wir Drake und warum hassen wir Childish Gambino? Warum ist Drake „cool“? Ich meine, Drizzy schreibt Lyrics über passiv-aggressive SMS. Weil Drakes Geschichte die eines Goldjungen ist—„ein Politiker im Kostüm eines Rappers“, meine eigenen Worte, „großartig punkig und bahnbrachend“—bekommt er den Pass. Erinnert ihr euch noch, als Drakes Album im Oktober herauskam? Das Internet ist durchgedreht. Hier bei Noisey haben wir dem kanadischen-Schauspieler-der-zum-Rapper-wurde ein ganze Woche gewidmet, in der wir alles, was wir über ihn finden konnten, veröffentlichten. Hinzu kommt, das NWTS in zahllosen Jahrescharts auftauchen wird (unsere kommt übrigens auch noch dieses Jahr!) und Drake im Moment einer der größten Rapper der Welt ist, der von allen geliebt wird, weil er die Trennlinie zwischen Pop und HipHop verwischt hat. Geschmack ist offensichtlich subjektiv und das Argument, dass du Drake magst und Childish Gambino deshalb nicht, zählt nicht, weil es keinen Sinn macht. Dennoch, die Ähnlichkeiten lassen sich nicht verleugnen und es ist schon merkwürdig, dass man für die Behauptung, dass das neue Gambino-Album tatsächlich gut ist, der Typ erwachsen geworden ist und jetzt gute Musik macht, von jedem Musikjournalisten augenblicklich eine gewischt bekommt.
Die Wahrheit ist—haltet euch fest—dass Because The Inernet ein verdammt gutes Album ist. Die Produktion ist packend, trägt die Smoothness von Channel Orange und die Bombastik von Yeezus in sich. Glovers Flow hat sich immens verbessert, geht mehr mit dem Beat mit, und springt gelegentlich nasal drauf. Er singt viel, viel mehr, was seinen Performer-Qualitäten entspricht. Auf eine bestimme Art und Weise hat er den Vibe von Earl Swetashirts „Sunday“ aufgegriffen und daraus ein Album mit 19 Songs gemacht—und er hat reizvolle und fordernde soziale Kommentare reingepackt.
Wie jeder andere erfolgreiche Künstler hat Glover seine Stärken und Schwächen ausgemacht. Er hat aufgehört, die Erwartungen anderer zu erfüllen und angefangen das zu tun, was ihn glücklich macht. Er hat verstanden, wie man subtil schreibt—auf Camp kreiste er noch um die offenkundige, wertlose Natur seiner frauenfeindlichen Gefühle. Um seine Entwicklung und ihn zu verstehen, hört euch mal „Telegraph Ave“, meine Lieblingssong auf dem Album an. Der bildhafte Track beschreibt eine Figur, die Auto fährt, mit dem Radio mitsingt und sich dem Moment hingibt. „Foot on the gas, I’m just tryna pass / All the red lights and the stop signs / I’m ready to go.” Er singt, wickelt seine Stimme in schwirrende Synthies, schwebt auf seinen selbstverneinenden Gedanken und tut alles, um das zu vergessen, was ihn kopfmäßig gefangen hält.
Vielleicht ist es die Tatsache, dass der Shit echt wirr wird, die Because The Internet so unwiderstehlich macht. Ein Blick auf die Tracklist verrät, dass das Album in verschiedene Sets aufgeteilt ist, die man anhand römischer Ziffern unterscheiden kann, was wiederum nahelegt, dass jede Ziffer für einen Schritt in der Handlung steht. Glover hat sogar ein passendes Drehbuch dazu veröffentlicht, und die Entwicklung des Albums wirkt wie ein langsames Spiel mit dem Kontrollverlust. Der Block am Ende, der aus fünf Songs besteht, und mit „Zealots of Stockholm (Free Information)“ beginnt, ist einer der bizarrsten Auswüchse des Jahres. Es gibt keine Hook, nur Chaos und der Track springt irgendwo zwischen Justin-Timberlake-mäßigem Summen und einer verwirrend schönen Produktion, die sich anhört, als ob jemand auf einem elektrischen Stuhl hingerichtet wird und der Flow direkt aus einer Kanone geschossen kommt. Textlich kommt Glover mit einem Bild aus dem Nichts: er würde in einem Diner mit einer Waffe aus einem 3D-Drucker erschossen. Er zitiert Kinison. Er wird politisch: „never understood the hate on a nigga preference / when ever marriage is a same sex marriage / same sex every day—monotonous“. Ein paar Tracks später endet er die Berg- und Talfahrt names Because The Internet mit „Life: The Biggest Troll (Andrew Auernheimer)”. Bei diesem Track zeigt er seine besten Rapkünste, spittet so schnell, dass deine Ohren diesen Rhymes und seinem Flow nicht folgen können, genauso wie es wohl die wenigsten MCs da draussen können. Es ist wirklich brillant. Glover hebt sich das bis zum Ende auf—durch die ganze merkwürdige Bildsprache, das postmoderne Denken und die House-mäßige Produktion hindurch—nur um am Schluss zu zeigen „Ach ja, und fick dich. Ich kann wirklich rappen.“
Because The Internet ist eine Konzeptalbum, dass das Internet und alles, was es heutzutage bedeutet, in Frage stellt—inwiefern hat es Auswirkungen auf uns, den durchschnittlichen Vater mit Smartphone, und auf berühmte Leute wie Glover und wie beeinflusst die Vernetzung die Denkweise der Gesellschaft. Sein Rap ist sich seiner selbst bewusst und verherrlicht sich nicht. Er ist offen und nicht anstößig, vorlaut aber nicht nervig. Dieser Typ, der seit fünf Jahren im Licht der Öffentlichkeit steht, einer, der das Internet offenkundig genutzt hat, um seine Bekanntheit zu steigern und seine Kunst zu verbreiten, ist nun mit diesen Nachwehen konfrontiert und muss feststellen, dass es nicht das Beste ist, zehn Stunden am Tag in den Bildschirm zu starren. Unsere Kultur ist vergänglich. Und Glover ist sich, wie wir alle auch, dessen absolut bewusst und versucht es aufzuhalten. Ihr solltet die Fresse halten und ihm bei diesem Versuch zuhören.
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