Das Nachtleben ist vielleicht nicht unbedingt auf Drogen angewiesen, aber die beiden verstehen sich ganz gut. Vielleicht könntest du sogar sagen, dass sich jede halbwegs interessante Musikrevolution auf irgendeine Droge zurückführen lässt. Wenn du aufmerksam hinhörst, bemerkst du die süßlichen Marihuanawolken im Klangbild des Jazz der 20er und 40er Jahre; den Einfluss von LSD auf die Rockmusik der 60er; den rasenden Ecstasy-Puls und die schmeichelnden Flächen des 90er Raves.
Der Produzent Arthur Baker (New Order, Afrika Bambaataa) meinte mal zu mir, dass die Mitten und Höhen bei vielen 80er Synthpop-Songs so hochgedreht sind, weil das der Sound ist, den Menschen auf Koks gerne hören. Oder wie VICE-Autor Clive Martin es einmal schön ausgedrückt hat: “Kraftwerk brachten vielleicht die Synths und Jesse Saunders vielleicht den Beat, aber das Gefühl brachte Sasha Shulgin.” Und falls du selbst mal mit einer Pappe auf der Zunge unter einer Discokugel standest*, dann weißt du: Sobald du einmal von der Freiheit gekostet hast, bist du angefixt.
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Trotz jahrzehntelanger Panikmache und Strafverfolgung bleiben Drogen für manche Menschen eine der größten Musen und Inspirationsquellen überhaupt. Die richtigen Substanzen können jedoch nicht nur ein Freifahrtschein zum hemmungslosen Hedonismus oder chemischer Hirnmasturbation sein – wie gute Partys können sie auch eine Form des radikalen politischen Widerstands sein. Sie verkabeln dein neuronales Netz neu und ermöglichen dir neue Wege des Denkens. Sie öffnen dir die Augen und lassen dich über ökonomische, geschlechtliche und ethnische Grenzen hinwegschauen. Sie können ein Notausstieg aus dem bemitleidenswerten Fleischsack von Körper sein, den du dein Eigen nennst. “Scheiß auf genug Schlaf, nur damit du dich jeden Tag für irgendeine Firma abackern kannst”, flüstert dir deine innere Drogenstimme zu. “Bleib noch etwas und lass dein selbstbesessenes Ego sich auf der Tanzfläche ausleben.”
Ich war 16, als ich in Singapur meine erste Ecstasy-Pille genommen habe. Ich hatte sie von einem ekligen Skatertypen bekommen, der auf meine Freundin stand. Er behauptete, wegen Drogenhandels bald vor Gericht erscheinen zu müssen – ein Vergehen, auf dem in diesem Land die Todesstrafe steht. Meine Freundin und ich nahmen jeweils eine – zögerlich. Der Skater haute sich gleich fünf davon rein, als wären es Smarties. Er war dermaßen drauf, dass er begann, mit Straßenlaternen zu flirten. Wir verbrachten die Nacht tanzend am Strand, während aus seinem Handy “Fuck The System” von Showtek plärrte.
Drogen und Partys wurden zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Erfahrung lehrt dich chemische Präzision und so stelle ich mir schon bald meine Drogencocktails wie eine Apothekerin zusammen: Ketamin immer nur als Garnitur, nie als Hauptbestandteil. Alkohol gegen Ende und niemals zusammen mit Opiaten. G nur mit Pipette. Weed als Basis. Immer. Ich hasste es, von anderen als “Partygirl” bezeichnet zu werden. Aber dann wachte ich um 6 Uhr morgens nach einem zu lang geratenen Nickerchen auf, machte mich auf den Weg zur nächsten Warehouse-Party, spülte davor mein Müsli-Ecstasy-Frühstück mit etwas Starbucks-Kaffee runter und dachte mir: “OK, vielleicht ist das doch nicht so normal?”
Unter der Woche verließ ich mich auf die klassische New Yorker Kombination aus Adderall, Kokain, Koffein, Nikotin und Gras, während ich für die Partynächte je nach Phase auf typische Hilfsmittel wie MDMA und Ketamin zurückgriff. Wenn ich den Eindruck hatte, mich etwas um mich kümmern zu müssen, nahm ich ein paar Pappen LSD. Mein Leben war super. Langsam aber sicher verfiel ich jedoch in eine klassische Suchtspirale: Eine Droge, um mich aufzumuntern, eine, um drauf zu kommen, und noch eine zum Runterkommen. Und alles wieder von vorne. Ich wurde immer leichtsinniger und nahm dumme Kombinationen wie Oxycodon und Ketamin. Mein Körper war ständig auf irgendetwas. Mit der Zeit entwickelte ich eine sonderbare Obsession mit der Vorstellung, dass mich im Fall einer Apokalypse niemand essen würde, weil mein Blut garantiert ungenießbar sei.
Ich wusste, dass ich aufhören muss. Ich wusste nur nicht wie.
Vom Trockenen Januar hörte ich zum ersten Mal letztes Jahr durch meine Freunde von der Carry Nation – Grundpfeilern der New Yorker LGBTQ-Partyszene, von denen viele genauso hart Party machen, wie sie auflegen. Bei einer Party fragte ich sie, wie sie die Gefahren des hauptberuflichen Feierns über Jahrzehnte umgehen – körperliche und mentale Auszehrung, Verarmung oder, um Gottes Willen, Kinder. Eines ihrer Geheimnisse, so verrieten sie mir, sei es, jedes neue Jahr nüchtern zu beginnen. Für einen Monat Alkohol und anderen Drogen abzuschwören, ermögliche deinem Körper einen Neustart und würde beweisen, dass du und nicht die Chemikalien die Kontrolle haben, erklärten sie mir beinahe konspirativ.
Würde ich mich ohne Spliffs und weißen Pülverchen nicht einfach traurig, fett und einsam fühlen?
Kontrolle ist schon etwas Witziges bei Drogen. Gelegenheitskonsumenten sehen Drogen als Mittel zur vorrübergehenden Flucht – als eine Möglichkeit, um loszulassen. Sie verwenden sie, um ihre Körper wie einen Computer zu hacken und ihre körperlichen und emotionalen Zustände zu regulieren. Diese Menschen mischen und stimmen Substanzen aufeinander ab, um ihren Schlafrhythmus auszutricksen und ihre biologischen Ketten zu sprengen. Dass ich mich trotzdem in einen Vollzeitdruffi verwandelte, lag an meiner mangelnden Selbstkontrolle.
Als ich mich letzten Dezember schließlich zum meiner Teilnahme am Trockenen Januar entschloss, war meine größte Sorge, welchen Giftmüll das wohl aus den Untiefen meines Unterbewusstseins an die Oberfläche spülen würde. Würde ich ohne mein Wunderheilmittel Marihuana nicht zu einem ängstlichen Häuflein Elend mutieren? Würde ich mich ohne meine elektrisierenden Stimulanzien nicht in ein träges Faultier verwandeln? Würde ich mich ohne meine Spliffs und weißen Pülverchen nicht einfach nur traurig, fett und einsam fühlen?
Am Neujahrstag gab ich meinem letzten Joint einen Abschiedskuss, zündete ihn an und wenig später war ich schon eingeschlafen. Als ich aufwachte, packte ich meinen ganzen Röhrchen, Blättchen, Vaporiser, Zigaretten, Pillendosen, in Alufolie eingefalteten Pappen, Plastiktütchen mit Pulvern und Krümeln von weiß-der-Teufel-was in eine überquellende Tüte und versteckte sie hinter der Couch. Das einzige Laster, das ich mir noch erlaubte, war Koffein.
Die erste Woche ohne Drogen ist die einfachste. Ich schlief wie ein Baby und aß wieder halbwegs normal. Kleine Snacks ersetzten Joints als Stresskatalysator. Ein guter Fuckbuddy wäre für meine Hüften wahrscheinlich besser gewesen, aber das Lustige am nüchternen Dasein ist, dass es einem leichter und gleichzeitig schwieriger macht, mit jemandem in der Kiste zu landen. Die einzige Person, die ich in dieser Zeit in einem Club abgeschleppt habe, war nämlich witzigerweise ebenfalls nüchtern. Mein Sexleben steigerte sich zwar nicht gerade quantitativ, dafür wurde es ohne die manische Impulsivität aber um einiges entspannter.
An den Wochenenden stand ich der Wahrscheinlichkeit, eine gute Party zu verpassen, wesentlich gelassener gegenüber. Ich zerriss meinen fünf-Partys-pro-Nacht-Rave-Planer und zerstreute die Fetzen im Wind. Mehr auf meinen eigenen, inneren Rhythmus zu hören, als auf die hektische Stadt, war eine unfassbare Erleichterung. Ich konnte buchstäblich spüren, wie mein geschundener Körper heilte.
Und schon in der zweiten Januarwoche fühlte sich mein Kopf weniger matschig an, als wäre ich aus einem Sumpf geklettert – einem Sumpf, über dessen Existenz ich mir bis dahin gar nicht bewusst gewesen war. Meine Gedanken wurden klarer und mein Gedächtnis etwas weniger beschissen. Vor dem Schlafengehen zerbrach ich mir nicht mehr den Kopf über meine Fehltritte des Tages – oder was ich dafür hielt. Über Jahre hinweg waren sie eine stete Quelle für ein frisches Schamgefühl gewesen.
In der dritten Woche begann ich wieder auszugehen. Hart wurde es erst, als ich mich wieder daran erinnerte, dass mir schon eine kleine Dosis dabei helfen könnte, diese Wand der Müdigkeit zu durchbrechen. Aber mein Körper hatte ein paar Überraschungen für mich parat.
Mein Körper hatte ein paar Überraschungen für mich parat.
Am letzten Wochenende tanzte ich die ganze Zeit auf einer Technoparty in einer ehemaligen Fabrik und ging erst mittags nach Hause. Als ich aufwachte, waren im Gegensatz zu früher keine Schuldgefühle da. Ich wusste, dass ich wegen der Musik und den Menschen so lange geblieben war – und nicht, weil ich mir um 6 Uhr noch eine Pille eingefahren hatte. Es war geradezu ermächtigend zu wissen, dass alles, was ich getan und gefühlt hatte, aus mir selbst gekommen war.
Ende des Monats hatte ich erkannt, dass entgegen aller Befürchtungen das Gegenteil eingetreten war. Anstatt mich durch die Enthaltsamkeit in ein Häuflein Elend zu verwandeln, lautete die harte aber nicht zu verleugnende Realität, dass Drogen mir nicht dabei halfen, meine Emotionen zu kontrollieren. Sie verursachten die auf- und abflauenden Stimmungsschwankungen des ständigen Runterkommens. Als ich mich endlich aus diesem chaotischen Kreislauf befreite, fühlte ich mich ruhiger und meinem eigenen Selbst verbundener. Kurzgesagt: Die Enthaltsamkeit machte mich glücklicher.
Ich bekam dadurch auch eine neue Perspektive aufs Ausgehen. Vor dem Hintergrund von Trumps Amtsantritt und den Protesten, die überall um mich herum aufkeimten, erschien mir ein klarer Kopf als die beste Art, diesem Chaos zu begegnen und Möglichkeiten des Widerstands zu finden. Clubs werden immer die Zufluchtsorte sein, an denen die marginalisiertesten Gruppen unserer Gesellschaft zusammen Kraft schöpfen und der Unterdrückung widerstehen. Heute bauchen wir diese Schutzräume mehr denn je, um uns gegen die faschistische Scheiße vor unseren Türen zu mobilisieren, zu vernetzen und gegenseitig zu unterrichten.
Auch wenn Eskapismus und Hedonismus in diesen angsterfüllten Zeiten überlebensnotwendig sind, erscheint die alte Hippie-Weisheit, dass Drogen in sich schon eine Form des politischen Widerstands sind, langsam etwas überholt. Für mich hat das Ausklinken aus dieser kaputten Welt nicht wirklich etwas mit Subversion zu tun – es ist Selbstsorge. Mich mit diversen Substanzen über den Mond zu schießen, lieferte mir keine konkreten Lösungen – ich erkannte vielmehr, dass ich effektiver für die Ideale der Clubkultur, Offenheit und Inklusion, kämpfen konnte, wenn ich einen klaren Kopf habe.
Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die Generation Z – also die heute 12- bis 22-Jährigen – laut einer Studie von 2015 weniger trinkt und andere Drogen nimmt, als die Generationen vor ihr. “Es gibt einfach zu viel zu tun”, erklärte eine 16-Jährige einem VICE-Journalisten auf die Frage, warum junge Menschen Nüchternheit als besten Umgang mit der kaputten Welt sehen, die wir ihnen übergeben haben. Wie kannst du auf eine Demo gehen, wenn du zu verkatert vom Feiern bist? Wie willst du deinen zuständigen Politiker anrufen, wenn du lallst?
Die Revolution wird nicht betäubt.
*Unbedarfter Drogenkonsum kann schwere körperliche und psychische Schäden verursachen. THUMP will dich nicht zum Konsum animieren, wohl aber dazu, dass du dich, solltest du Drogen nehmen, möglichst gut darüber informierst. Alle unsere Artikel zum Thema “Safer Use” findest du hier.