Zusammenbrechen, stammeln, kotzen: Kann alles passieren, wenn man Drogen nimmt. Und ja, sehr selten begeben sich Menschen beim Feiern in Lebensgefahr. Sorry für den erhobenen Zeigefinger, aber damit alle möglichst sicher durch die nächsten Partynächte kommen, sollten sich alle Partywilligen damit befassen, was in einem Notfall zu tun ist.
Wir haben darüber mit der Leiterin des Berliner Drogennotdienstes, Andrea Piest, und Manuela Schulz von Projekt “Sonar – Safer Nightlife Berlin” gesprochen. Sonar ist ein Zusammenschluss verschiedener Träger, die Menschen mit Infoständen, Schulungen und Beratungen über einen möglichst sicheren Umgang mit Drogen aufklären.
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VICE: Was ist das eigentlich, eine Überdosis?
Andrea Piest: Überdosis heißt Akutintoxikation, also dass so viel von einer Substanz im Körper ist, dass der es nicht mehr schafft, damit umzugehen. Der Körper schaltet dann runter und schickt die ganze Energie zu den Organen, die die Substanz abbauen. Das ist dann der Punkt, an dem Menschen ohnmächtig werden oder einem kurz schwarz vor Augen wird.
Hat man schon eine Überdosis, wenn man mehr Ecstasy genommen hat als sonst und es einem einfach nur nicht gut geht?
Piest: Hier würden wir von einer Überdosierung, nicht von Überdosis sprechen. Aber der Grat ist schmal. Bei Substanzen, die schwerer zu dosieren sind, etwa GHB, geht es schnell von einer angenehmen Dosis zu einer lebensbedrohliche Überdosis.
Woran kann man denn erkennen, ob man zu viel einer Substanz genommen hat und auf eine Überdosis zusteuert?
Schulz: Der Körper gibt einem verschiedene Hinweise, dass er überfordert ist: starkes Herzrasen oder Schwitzen, eine veränderte Atmung, die zu langsam oder zu schnell ist.
Piest: Man sollte auch auf Zeichen für Dehydration achten. Dafür gibt es einen Test: Wenn man die Haut an der Hand ein bisschen hochzieht, und die nur ganz langsam wieder runter geht, dann ist man dehydriert. Das geht auch bei einer anderen Person. Generell würde ich sagen: Man braucht einen guten Feierfreundeskreis, der einen im Blick hat und sagt: “Ist alles OK? Setz dich mal hin.” Es geht nicht darum, einen zu bemuttern, sondern aufeinander zu achten.
Schwindel kommt oft auch, wenn MDMA anfängt zu wirken, Speed wiederum sorgt für einen schnelleren Puls. Wie erkennt man, ob diese Symptome ein Zeichen dafür sind, dass die Droge wie gewünscht wirkt, oder dafür, dass man zu viel konsumiert hat?
Schulz: In den Situationen sollte man beobachten, wie man sich abgesehen von dem Symptom fühlt. Geht es einem ansonsten gut, liegt es wohl an der Droge. Trotzdem sollte man darauf achten, dass die Umgebung safe ist. Dass man sich also etwas zu trinken holt oder einen Platz im Auge hat, wo man sich hinsetzen kann, sollte sich das Körpergefühl verschlechtern.
Piest: Schon vor dem Konsum sollte man sich deshalb unbedingt mit der Wirkung der Substanz auseinandersetzen.
Im besten Fall testet man die Droge sogar in einem ruhigen Setting zu Hause, damit man die Wirkung kennt und einschätzen kann, wann sich etwas nicht mehr normal anfühlt.
Was macht man also, wenn man merkt, das Herz rastet aus oder man schwitzt derbe, obwohl es gar nicht so heiß ist?
Schulz: Das Wichtigste ist, sich jemandem mitzuteilen, am besten einer Vertrauensperson, mit der man unterwegs ist. Wenn man alleine ist, schaut man am besten, wo man sich wohlfühlt, in welcher Ecke sympathisch aussehende Menschen sind. Außerdem sollte man wissen, wo die Toiletten sind, wo der Ausgang und wo man das Personal findet. Damit es schnell geht, wenn man das braucht. Dann sollte man Gegenmaßnahmen gegen die Empfindungen treffen. Damit meine ich nicht eine Gegenmeditkation mit anderen Substanzen, sondern eine sogenannte symptomgeleitete Intervention. Ganz simpel: Wenn mir besonders heiß ist zum Beispiel, rausgehen und abkühlen oder etwas trinken.
Piest: Und das nicht alleine tun, sondern jemanden mitnehmen. Wenn es akuter ist, dann kann man das Personal ansprechen, sagen, dass es einem nicht gut geht und nach einem ruhigen Rückzugsraum fragen. Und wenn es nicht besser wird und man Angst bekommt, sollte man darum bitten, dass ein Rettungswagen gerufen wird oder dass jemand einen zur Rettungsstelle begleitet.
Ab wann wird es gefährlich?
Schulz: Wenn Atmung oder Herzschlag beeinträchtigt sind, oder man das Bewusstsein verliert. Oder wenn es andere Umstände gibt, die einen gefährden. Zum Beispiel, wenn man Ketamin genommen hat, auf einem Festival in der prallen Sonne steht und nicht mehr richtig laufen kann.
Wie erkenne ich bei anderen, ob sie zu viel genommen haben?
Piest: Das kann man von außen schwer erkennen, da es immer um das subjektive Empfinden der Person geht. Umso mehr sollte man danach schauen, ob Personen stark schwitzen, schnell atmen, blass sind, sich merkwürdig verhalten. Das muss nicht von den Drogen kommen, es kann auch zu heiß oder zu stickig sein oder die Person hat zu wenig getrunken. Aber egal, was die Ursache ist: Das sind Warnsignale des Körpers und auf die sollte man achten.
Was mache ich, wenn ich eine Person finde, die sich nicht mehr regt?
Schulz: Wir empfehlen immer, die Person anzusprechen, egal, ob man sie kennt oder nicht. Manchmal genießen Leute ihren Trip. Wenn man Angst hat, sie dabei zu stören, kann man das diskret lösen: Schau, ob sich der Brustkorb regelmäßig hebt und senkt und bleib in der Nähe. Spätestens, wenn bei der Ansprache keine Reaktion kommt, leitet man die klassische Erste-Hilfe-Kette ein.
Wie geht die klassische Erste-Hilfe-Kette noch gleich?
Schulz: Ich spreche die Person an. Wenn keine Reaktion kommt, fasse ich sie an, rüttle an der Schulter. Wenn sie nicht aufwacht, versuche ich es mit einem stärkeren Reiz, kneife etwa in den Unterarm. Im Club ist es oft schwierig, Herzschlag und Atmung richtig einzuschätzen, es ist dunkel und laut, alles vibriert. Aber tendenziell würde man, wenn die Person sich nicht wecken lässt, die Atmung prüfen. Idealerweise legt man die Person flach auf den Boden, hält das Ohr an den Mund und schaut, ob der Brustkorb sich hebt und senkt. Wenn man keine Atmung und keinen Puls feststellt, dann sollte man Wiederbelebungsmaßnahmen wie Mund-zu-Mund-Beatmung einleiten. Und wenn die Person bewusstlos ist, aber noch atmet, legt man sie in die stabile Seitenlage, damit die Person nicht an ihrem Erbrochenen ersticken kann. Die Person allein lassen, um Hilfe zu holen, sollte man nur machen, wenn niemand sonst in der Nähe ist, man kein Handy hat und die Person eben stabil liegt. Denn sie ist schutzlos ohne dich.
Piest: Faustregel ist: Wenn ich jemanden nicht wecken kann, ist das der Punkt, wo man Hilfe holt. Da muss dann auch eine Ambulanz gerufen werden, damit die einschätzt, was mit der Person los ist. Wenn man sich die Rettungsmaßnahmen nicht zutraut, ist das OK, aber umso wichtiger ist es, dass man in jedem Fall jemanden holt, der das machen kann.
Wie ist das mit Beine hochlegen, wenn Leute einen Kreislaufschock haben?
Schulz: In der Regel empfiehlt man, die Person auf den Boden zu legen und ihre Beine hochzulegen. Da gibt es aber eine Kontraindikation, nämlich, wenn das Herz stark betroffen ist. Dann müsste man das Herz entlasten und nicht noch mehr Blut hin fließen lassen. Man lagert die Person also so, dass das Herz leicht erhöht ist. Als Laie ist das aber schwer einzuschätzen. Wenn eine Person bei Bewusstsein ist, merkt sie selbst, was ihr gut tut und äußert das in der Regel. Es ist also wichtig, mit ihr zu sprechen und selbst Angebote zu machen. Und dann natürlich: Hilfe holen.
Piest: Niemand, der im Nachtleben unterwegs ist, muss medizinischer Profi werden. Es geht einfach darum, achtsam miteinander umzugehen und zu reagieren, wenn man sich unsicher ist. Und auch darum, sich zu informieren und Verantwortung für mich selbst und andere zu übernehmen.
In der Feierszene ist es auch üblich, bei einem Zuviel an MDMA, GHB, Ketamin oder anderen Drogen eine Line Speed zu ziehen, um die Wirkung abzuschwächen oder aus dem K-Hole rauszukommen. Ist das eine gute Taktik?
Schulz: Wenn man schon zu viel hatte und der Körper Signale wie Überhitzung, Zittern, Erbrechen und Schwindel sendet, dann sollte man nichts mehr nehmen. Wer sich ins Off ballert, sollte zufrieden mit dem schönen Abend sein, den man bis dahin hatte, und auf seinen Körper hören, sich die Pause gönnen. Wenn Leute trotz der Signale Speed ziehen, um weiterfeiern zu können, sollten sie mindestens eine Pause machen, sich hinsetzen, etwas essen und trinken. So vermeiden sie gefährliche Wechselwirkungen und eine starke Überlastung des Körpers. Außerdem sollten sie vertraute Personen informieren, dass es einem gerade nicht gut geht und Unterstützung einfordern: “Ich will jetzt eine Pause machen und etwas trinken. Kommst du mit mir mit?”
Wann sollte ich einen Krankenwagen rufen?
Piest: Wenn du nicht weiß, was du machen sollst, oder den Impuls hast “Das sollte sich eine Fachkraft ansehen.” Wenn man sich unsicher ist, ob das schon sein muss, kannst du auch den ärztlichen Bereitschaftsdienst anrufen. Ein Arzt entscheidet dann anhand der Symptome, die du schilderst, ob er oder ein Rettungswagen ausrückt. Das ist nicht so optimal, wenn man im Club ist, kann aber bei Hauspartys durchaus nützlich sein.
Kommt nicht auch die Polizei, wenn ich einen Krankenwagen rufe?
Piest: Das passiert, das passiert aber auch nicht. Die Polizei kommt mit, wenn man am Telefon sagt, eine Person sei aggressiv und agil und man könne die Situation nicht einschätzen. Wenn die Polizei da ist: Konsum ist nicht strafbar. Man muss den Beamtinnen und Beamten auch nichts darüber sagen. Es ist ein medizinischer Noteinsatz und keine Fahndung. Wenn man selbst der Notfall ist, ist es wichtig, dass man den Rettungskräften sagt, was man genommen hat, weil sie danach die Medikamente für die Behandlung auswählen. Das Personal im Rettungswagen unterliegt der Schweigepflicht.
Schulz: Grundsätzlich empfehlen wir es, zu vermeiden, von Drogen zu reden, wenn ein Krankenwagen gerufen wird und nur die Symptome zu schildern.
Also muss ich keine juristischen Folgen befürchten, wenn ich den Krankenwagen rufe?
Piest: Wenn Polizei dabei sein sollte und etwas beschlagnahmt, könnte ein Verfahren eröffnet werden. Ich habe aber ehrlich gesagt noch nie von so einem gehört. Die Allermeisten haben, wenn überhaupt, nur eine geringfügigen Menge an Substanzen dabei. Im schlimmsten Fall könnte man dafür eine Geldstrafe kriegen. Wenn man das gegenübergestellt mit der Tatsache, dass man auch bleibende Schäden davontragen oder sogar sterben könnte, wenn man sich keine Hilfe holt, dann ist die Geldstrafe das kleinere Übel.
Es gibt Drogennotfälle, die schwieriger einzuschätzen sind, das Serotoninsyndrom etwa. Das tritt auf, wenn verschiedene Stoffe auf den Haushalt des Glückshormons Serotonin wirken. Wie erkenne ich es?
Schulz: Da sind die Symptome sehr diffus: Die Leute sind ein bisschen erhitzt und latent verwirrt, bewegen sich komisch oder schwitzen, sehen also nicht wie ein Notfall aus. Trotzdem kann es super gefährlich sein, was da gerade im Gehirn passiert. Man kann daran auch sterben. Wenn ich also von meiner Freundin weiß, dass sie MDMA genommen hat und zwar schon mehr als sonst, oder ich weiß, dass sie sonst regelmäßig Antidepressiva einnimmt, die auch auf das Serotoninsystem wirken, und ich bemerke, dass sie sich anders als sonst verhält, dann sollte ich reagieren.
Piest: Es gibt auch viele, die sich präventiv oder in der Nachsorge zum Beispiel 5HTP besorgen oder Tryptophan, damit der Feierblues Montag, Dienstag und Mittwoch nicht ganz so hart ist. Da all diese Stoffe auf den Serotoninhaushalt wirken, besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass man so das Syndrom auslöst. Das sollte man wissen und sich unbedingt über mögliche Wechselwirkungen informieren.
Manchmal sieht man ja auch Menschen, die zwar bei Bewusstsein sind, aber trotzdem nicht gesund aussehen. Auf sie zuzugehen und zu sagen “Oh man, alles OK? Du siehst so scheiße aus!” ist wohl nicht die beste Taktik. Wie nähere ich mich einer Person am besten?
Schulz: Es kann helfen, erstmal überhaupt in Interaktion zu treten. Also Blickkontakt aufnehmen oder sie nach einem Feuerzeug oder dem Weg zur Toilette fragen. Dabei merke ich ja, wie sie reagiert und ob es auffällig ist. Wenn man sich unsicher ist, dann sagt man am besten auch jemandem Bescheid, etwa “Ist dir die Person auch schon aufgefallen? Ich will sie mal ansprechen, kommst du mit?”
Menschen können nicht nur körperlich Hilfe brauchen, sondern auch psychisch. Wenn sie Psychedelics genommen haben, können sie in herausfordernde Zustände kommen, etwa große Angst haben. Woher erkenne ich, ob ich Hilfe holen muss?
Schulz: Wenn eine Person etwas erlebt, was sie schockiert oder als negativ empfunden wird, dann ist es wichtig, sie nicht alleine zu lassen. Und es hilft, die Person sachlich zu orientieren. Man fragt, was denn los sei und dann kann man sagen: “Ich sehe nicht, dass da ein Monster ist, aber ich glaube dir, dass du es siehst. Ich weiß, dass du eine Substanz genommen hast, das ist jetzt zwei Stunden her. Das heißt, du hast noch ein paar Stunden vor dir, aber dann geht die Sonne auf. Du bist hier auf diesem Festival in der Chill-Lounge, wir können folgende Dinge machen, was davon klingt gut für dich?”
Piest: Es ist immer enorm wichtig, eine Person mit dem, was sie erlebt, ernst zu nehmen. Wenn man jedoch aus Sorge um die andere Person selbst in Panik gerät, ist das ein gutes Zeichen für Überforderung und dafür, eine andere Person dazuzuholen. Jede Panik verschlechtert nämlich die ganze Situation.
Schulz: Häufig vergessen Leute auch, dass sie gerne mal sitzen wollen, nachdem sie sechs Stunden durch die Gegend gelaufen sind. Oder sie merken nicht, dass sie richtig dringend mal pinkeln müssen oder Hunger haben. Das kann man also noch abfragen.
In manchen Kreisen ist es gängig, dass Leute psychedelische Trips, die zu doll werden, mit anderen Drogen abbrechen wollen.
Piest: Substanzen einzusetzen, um ein negatives Gefühl auszuknipsen, ist grundsätzlich gefährlich und Substanzmissbrauch. Drogen sollten nicht dazu benutzt werden, negative Gefühle wegzudrücken. Auch nicht im Notfall. Und: Es ist bei Psychedelics wichtig, das Erlebte hinterher vernünftig zu integrieren. Das Gehirn muss diese Erfahrung auch verarbeiten können. Wenn ich Benzos nehme, dann hört die Halluzination direkt auf. Alles, was mehr da war, die Sensibilität, die Empfindungen, ist auf einmal weg. Für das Gehirn, das mit jeder neuen Substanz den Hormonhaushalt neu ausbalancieren muss, ist das unglaublich anstrengend.
Den ärztlichen Bereitschaftsdienst erreichst du unter der bundesweiten Rufnummer 116117.
Einen Rettungswagen rufst du mit der 112.
Du möchtest mit jemandem über deinen Partykonsum sprechen und erfahren, wie du gesundheitliche Risiken und negative Folgen des Konsums minimieren kannst? In Berlin kannst du dich an das Beratungsangebot von SONAR wenden. Den Drogennotruf auch rund um die Uhr unter 030 19237.
Du hast ein Suchtproblem oder machst dir Sorgen um betroffene Freunde und Verwandte? Hilfe bei Drogenabhängigkeiten findest du in Deutschland über das Suchthilfeverzeichnis oder unter 01805 31 30 31. In der Schweiz bietet Safezone anonyme Online-Suchtberatung, lokale Suchtberatungsstellen findet man bei Infoset . In Österreich findest du Beratung über den Suchthilfekompass.
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