Wie viel Geld sie erben wird, will sie nicht sagen. Aber es muss viel sein. Marlene Engelhorn ist 29 Jahre alt und stammt aus einer der reichsten Familien Österreichs. Nun hat sie angekündigt, 90 bis 95 Prozent ihres Erbes spenden zu wollen. Ihr Ziel, sagt sie, sei es, die Verteilungsfrage endlich gerechter zu lösen. Aber wie kann das funktionieren? Wir haben sie gefragt.
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VICE: Wie war es für dich, als du von der Entscheidung deiner Großmutter erfahren hast, dass du einen Teil ihres Vermögens erben sollst? Marlene Engelhorn: Ich habe mich nicht gefreut, sondern geärgert. Um nicht falsch verstanden zu werden: Mit dem Geld bekomme ich selbstverständlich einen unglaublichen Handlungsspielraum. Aber: Mit meinen Überzeugungen geht das nicht konform. Niemand sollte so viel steuerfreies Geld und Macht haben.
**Und doch willst du das Geld für etwas Gutes nutzen und spenden.
**Die Entscheidung meiner Großmutter hat einen Reflexionsprozess angestoßen. Ich habe mich mit vielen Menschen ausgetauscht und mir Gedanken gemacht. Die Idee, dass Verteilung gerecht sein könnte, ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Am Ende habe ich meine Verantwortung erkannt. Ich will diesen Beitrag für die Gesellschaft leisten.
**Woher kamen denn die Einflüsse, die deine Entscheidung geprägt haben?
**Wer Nachrichten schaut und sich ehrlich für Menschen interessiert, mit ihnen redet und sich nicht in der eigenen Echokammer versteckt, erkennt, dass es strukturelle Zusammenhänge zwischen Reichtum und Armut gibt. Und dass radikal zu teilen hilft.
**Was meinst du?
**Bertolt Brecht hat wunderbar geschrieben, “wär ich nicht arm, wärst du nicht reich”. Das Privileg des Einen ist der Nachteil des Anderen. Ich muss also meine Privilegien hinterfragen und die Selbstverständlichkeit, mit der diese in einer Demokratie in Kauf genommen werden.
**Du gibst deine Privilegien auf, damit es anderen besser geht. Das ist nobel von dir.
**Ich gebe ja nichts auf. Das ist Quatsch. Wenn ich mich weigere, zu teilen, dann weigere ich mich, Teil der Gesellschaft zu sein. Dann erst gebe ich etwas auf. Ich gewinne also, wenn ich teile, ich werde Teil. Das, was ich habe, will ich teilen, weil ich es für richtig halte.
**Aber viele Superreiche engagieren sich doch wohltätig, ohne gleich alles wegzugeben.
**Aber warum wollen wir einzelnen Leuten die Macht geben, zu entscheiden, was gut ist und uns vollständig auf ihr Wohlwollen verlassen? Warum glauben wir denn, dass Vermögende sich automatisch für das Richtige und Gute einsetzen, wenn sie sich philanthropisch engagieren?
**Ist das nicht trotzdem besser als nichts?
**Als superreicher Mensch erbt man Beraterinnen mit, die einem erklären, wie man sein Vermögen strategisch so verteilt, dass man am besten Steuern sparen kann. Mit einem Bruchteil des Vermögens sind sie dann philanthropisch. Und dafür soll man sie dann feiern? Das ist unehrlich und ein Wahnsinn, dass wir das zulassen.
Sind Wohltätigkeit und Spenden also nur ein Mittel, um die gröbsten Missstände einer Gesellschaft zu kaschieren? Stellst du die gleichen Fragen auch jemandem, der sich aktiv in einem gemeinnützigen Verein engagiert und weiß, wo es fehlt und hingehört und der die gleichen Gedanken hat wie ich, aber nicht betroffen wäre von einer Vermögenssteuer, und deshalb weniger interessant? Es ist wieder meine Schicht, die das gefragt wird.
**Ich meine nicht, dass Wohltätigkeit per se abzulehnen ist, sondern dass sie selbst Ergebnis eines Fehlers im System ist.
**Wohltätige Arbeit sollte nur zur Überbrückung dienen, bis wir zu echter Verteilungsgerechtigkeit kommen. Idealerweise braucht es sie dann nicht mehr. Das einzige Ziel von Philanthropie sollte die eigene Abschaffung sein. Wir sollten nicht für immer nur den Mangel verwalten müssen.
**In Österreich hält ein Prozent der Bevölkerung 40 Prozent des Vermögens. Giltst du innerhalb dieser exklusiven Gruppe als Nestbeschmutzerin?
**Ich kenne viele, die total einverstanden sind mit dem, was ich tue. Andere sind es nicht, das gibt es ja in jeder Gruppe. Aber das ist ein demokratisches Prinzip. Ich glaube, in einem demokratischen Aushandlungsprozess muss man das aushalten können, egal, welcher Gruppe man angehört.
**Aber deine Gruppe ist ja die, die verlieren würde, wenn sich deine Ansichten durchsetzen.
**Wir verlieren nichts, wenn es anderen Menschen auch gut geht. Die Frage ist ja, wessen Meinung wichtiger ist, die der wenigen aus dem einen Prozent, die ihre Macht und Privilegien behalten wollen, oder alle anderen? Denn wenn schon das eine Prozent sich nicht einig ist, wessen Interessen werden wirklich von der Politik vertreten? Wessen Interessen werden denn wirklich von der Politik vertreten? Wer kauft sich denn ein in die Politik? Das sind die, die es sich leisten können, meine Klasse.
**Wie funktioniert dieser Einfluss?
**Hast du in der letzten Zeit Mal österreichische Medien gelesen? Mit ihren Ressourcen können sich Reiche wunderbar in der Politik durchsetzen, indem sie den richtigen parteinahen Vereinen die richtigen Spenden überweisen. Politik entscheidet sich ja oft nicht am Stimmzettel, sondern über Parteispenden. Meine Stimme ist schlicht mehr wert als andere.
**Durch die Hintertür herrschen die Reichen über uns?
**Manches passiert im Hinterzimmer, ja. Vieles aber auch auf offener Bühne: Wer kann sich denn Zeitungen kaufen? Wer Fernsehsender aufbauen? Wer Parteien, Lobbyverbände oder Think Tanks finanzieren oder gründen? Das sind neofeudale Herrschaftssysteme. Das ist ja auch dynastisch konzentriert. Es wird erwirtschaftet und angehäuft von den immer selben Menschen und dann weitergegeben an die immer gleichen Leute. Dann haben wir bei dem oberen einen Prozent strukturell gebündelte Macht, Entscheidungsgewalt, Lebenschancen. Das ist doch furchtbar.
**Aber nutzt du selbst nicht auch in dieser Sekunde in gewisser Weise deinen Reichtum, um Gesellschaftspolitik zu machen?
**Klar, du sprichst nicht mit mir, weil ich Expertin bin, sondern weil ich reich bin. Ich wurde reich geboren, das ist Zufallsglück. Das sollte so nicht sein. Aber meine Lobbyarbeit ist, dass ich sage, Vermögenssteuern sind Gesellschaftspolitik in Reinform. Sie bewirken demokratische, transparente Prozesse und setzen sie gleichzeitig voraus. Das ist wunderbar, lasst uns das machen. Dann kann ich auch nicht allein meine Interessen durchsetzen.
**Eine Vermögenssteuer nach deiner Vorstellung, wie sähe die aus?
**Wie gesagt, ich bin keine Expertin. Es gibt andere, die bessere Antworten auf solche Fragen haben. Aber warum wird es als Zumutung betrachtet, dass man etwas abgeben soll, wenn man viel hat, während niedrige Einkommen schon mit 20 Prozent Einkommensteuer belastet werden? Da ist es in Ordnung? Da wird doch mit zweierlei Maß gemessen.
**Gar keine Idee?
**Es gibt Thomas Piketty, der sagt, fünf Prozent des Steueraufkommens eines Landes sollten über Vermögens- und Erbschaftssteuer aufgebracht werden. Das sollte der Staat dann als eine Art kollektives Erbe weitergeben. Jeder bekäme nach seinem Modell an seinem 25. Geburtstag 120.000 Euro. Das finde ich interessant, denn Geld ist ja nicht nur Geld. Geld bedeutet Möglichkeiten, Macht, Gestaltungschancen.
**Und wie ließe sich das alles ändern?
**Es ist ja auch eine Frage der Partizipation. Ein Viertel der österreichischen Erwerbstätigen sind Arbeiterinnen und Arbeiter. Im Parlament sitzt nur ein Arbeiter. Zurzeit können Menschen sehr erfolgreich sein, ohne sich anstrengen zu müssen, weil sie schon in den richtigen Netzwerken und Institutionen sind. Andere sind unsichtbar, so sehr sie sich auch abstrampeln und bleiben es. Demokratie lässt sich auch stärken.
**Du willst also auch die Partizipation stärken?
**Man muss Menschen abholen und ihnen die Möglichkeit geben, das alles debattieren zu können. Und wenn das heißt, dass ich jetzt immer wieder einmal etwas öffentlich dazu sage, dann gern. Aber danach sollte das ohne mich weiterlaufen, denn ich bin nicht wichtiger als andere. Wichtig ist mir, dass Vermögende sich ihre Vermögenssteuer nicht selbst basteln können oder wie bisher ihre Macht und ihr Geld dafür verwenden, dass sie nur lachhaft besteuert werden.
**Wo siehst du dich denn selbst in der Zukunft, wenn du dein Erbe abgegeben hast?
**Das weiß ich noch nicht. Aber ich will mir Mühe geben, arbeiten. Wie alle anderen auch.
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