Ecstasy: Eine Viertel-Pille ist die neue halbe Pille

“Nimm lieber erstmal ‘ne Halbe.” Wohl jeder, für den MDMA nicht nur eine lustig klingende Buchstabenfolge ist, hat diesen Satz schon einmal gehört. Die allseits bekannte Raver-Weisheit hat sich auch ein Freund von mir zu Herzen genommen, als er vergangenes Wochenende erstmal nur die Hälfte seiner Ecstasy-Pille schluckte. Trotzdem ist er während des Raves nicht mehr klargekommen. Statt zu tanzen, hatte er Probleme, überhaupt zu stehen. Seine Pille war viel zu hoch dosiert. Es ist kein Einzelfall. Der Umgang mit Ecstasy muss sich deshalb in einem wichtigen Punkt verändern.

Das Risiko, das Ecstasy-Pillen als Droge mitbringen, hat sich in den letzten Jahren verlagert. Während sie früher eher verunreinigt waren, sind sie heutzutage meistens rein, dafür aber viel höher dosiert. Statt sich mit der Pille, ohne es zu ahnen, beigemischte Zusätze wie die Halluzinogene PMA und 2C-B einzuwerfen, laufen Ecstasy-Konsumenten jetzt eher Gefahr, sich eine MDMA-Überdosis zu geben. Sie wissen, was sie bekommen, aber davon bekommen sie mehr als genug.

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In der Schweiz warnen selbst Gratiszeitungen über eine Million Leser vor hochdosierten Pillen mit Trump- und Hulk-Form. “Heutzutage hast du ein viel kleineres Risiko, dass sich irgendein Mist in der Pille befindet”, sagt Nik Hostettler, Mitarbeiter von raveitsafe.ch und CONTACT – Stiftung für Suchthilfe in Bern in der Schweiz. “Dafür sind sie höher dosiert, was für unerfahrene Konsumenten schnell zum Verhängnis werden kann.” Abhilfe schafft das Drug Checking, das Testen von Drogen auf ihre Zusammensetzung und die Menge des enthaltenen MDMA.

In Deutschland ist Drug Checking allerdings verboten. Weder Ecstasy-Pille noch Kokain können hierzulande nicht verlässlich und legal geprüft werden. Zwar arbeiten die Regierungen von Berlin und Hessen derzeit daran, solche Tests in ihren Bundesländern zu legalisieren. Bis das passiert, können sich Konsumenten hierzulande nur auf zwei Wegen informieren: über die Erfahrungsberichte anderer Nutzern, die die in Online-Foren und auf den Bewertungszeiten von Darknetdealern hinterlassen, sowie mittels Testergebnissen aus Nachbarländern wie Österreich, den Niederlanden und der Schweiz. Und die weisen bei Ecstasy einen eindeutigen Trend auf.

Eine aktuelle Analyse von saferparty.ch aus Zürich zeigt, dass Ecstasy-Pillen über die Jahre immer stärker dosiert wurden. 2011 enthielt die durchschnittliche Pille, die die Schweizer untersucht haben, noch 100,1 Milligramm MDMA-Wirkstoff – 2016 waren es bereits 151,7 Milligramm. Die höchstdosierten gängigen Pillen enthalten momentan um die 260 Milligramm MDMA, aber auch noch höher dosierte Pillen tauchten in den letzten Jahren auf. Dabei ist schon eine halbe 260er mit ihren rund 130 Milligramm MDMA gefährlich.

Das Team von saferparty.ch geht davon aus, dass schon 120 Milligramm zu viel sein können. Ab dieser Menge MDMA treten verstärkt Nebenwirkungen wie Muskelkrämpfe, Nervenzuckungen und das bekannte Kiefermahlen, auch “Gesichtskirmes” genannt, auf: Die Gesichtsmuskeln der Konsumenten spannen sich an, die Leute sehen aus, als ob sie ihr eigenes Gesicht durchbeißen wollen. Im schlimmsten Fall, gerade in Kombination mit Alkohol, droht eine lebensgefährliche Überhitzung. Die alte Raver-Weisheit von der halben Pille ist deshalb nicht mehr gültig.

In Großbritannien wurde zwar vor zwei Jahren noch mit dem Slogan “Don’t be a daft, start with a half” für die halbe Pille “geworben”. Der VICE-Kanal Noisey riet schon damals zu kleineren Portionen: “Be smarter, take a quarter“. Konsumenten beginnen so mit 70 bis 80 Milligramm MDMA, oder weniger. Schadensminderungsorganisationen wie Mindzone e.V. aus München raten ebenfalls zur Viertel-Pille. Bei den Ecstasy-Pillenproduzenten ist diese Erkenntnis allerdings noch nicht angekommen.

“Pillen sind dafür vorgesehen, dass du sie halbieren kannst – darum haben sie meistens auch nur eine Bruchrille. Wenn du sie vierteln willst, ist es schon fast Feinarbeit”, sagt Nik Hostettler von raveitsafe.ch. “Trotzdem ist ein bewusster Konsum extrem wichtig, da die stärker dosierten Pillen ein größeres Risiko darstellen. Wenn du ein Medikament nimmst und nicht weißt, wie dein Körper auf dieses reagiert, liest du ja auch zuerst die Packungsbeilage, bevor du es schluckst.” Wo es keine oder zumindest keine zweite Rille gibt, können sich Konsumenten durch vorsichtiges Abbeißen oder Zerbröseln behelfen.

Um dich vor einem Konsum über die Pille zu informieren, die du gerade zwischen den Fingern hältst, kannst du dir die “sauberdrauf”-App von Mindzone e.V. aufs Smartphone laden. Hier kannst du über die Farbe deiner Pille und ihr Design (etwa “Trump”, “Mitsubishi” oder “Dominostein”) nach aktuellen Testergebnissen des gleichen Modells suchen. raveitsafe.ch und saferparty.ch publizieren zudem fast wöchentlich aktuelle Warnungen mit Bildern und Wirkungsgehalt von hoch dosierten Pillen, die beim Drugchecking in der Schweiz aufgefallen sind. Die solltest du im Auge behalten, selbst wenn du eine dir bereits bekannte Ecstasy-Pille vor dir hast. Denn die Zusammensetzung der Pille kann sich mit der Zeit ändern, während das Design gleich bleibt.

“Am sichersten ist es trotzdem immer noch, die Drogen testen zu lassen”, sagt Nik Hostettler. “Doch wenn du keine andere Option hast” – weil du zum Beispiel in Deutschland bist – “oder es ein Spontankauf ist, ist es am besten, zuerst eine Viertel-Pille zu konsumieren. Dann kannst du nach ein paar Stunden, allenfalls, nochmal ein Viertel nehmen.”

Mit “Nimm lieber erstmal ‘ne Viertel!” bist du zwar noch lange nicht auf der absolut sicheren Seite, du kannst das Risiko einer Überdosierung erheblich mindern – solltest du dich überhaupt dazu entscheiden, Ecstasy zu nehmen.

Dieser Artikel ist zuerst auf Noisey Alps erschienen. Wir haben ihn für Leser in Deutschland bearbeitet und ergänzt.

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