Ich bin nie in der Absicht auf den Ball gegangen, undercover irgendwelche Geschichten aufzudecken. Dafür war ich schon auf zu vielen Veranstaltungen, auf denen dieselben Menschen zu finden sind wie am letzten Freitag im Januar in der Hofburg. (Hier, hier oder hier zum Beispiel). Aber darum geht es ja auch nicht.
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Die Politik der FPÖ wird in Österreich von einer sehr großen Masse zumindest verstanden. Auf dem Ball ist sie Grundkonsens, kaum jemand ist dort, der nicht die selben Ansichten hat und trotzdem auf einen Ball geht, auf dem ein Strache von einer linksextremen ÖH oder dem Antifaschismus als neuem Faschismus spricht. Und wenn dann doch jemand dort ist, der poltisch ein wenig anders denkt, dann wird dir das sofort gezeigt. „Das ist keine parteipolitische Veranstaltung, da vorne steht sogar ein Roter.”
Ich bin also nicht in der Absicht auf den Ball gegangen, geheime Nazi-Strukturen bei den Debütanten aufzudecken, sondern um den Ball zu sehen, gegen den so viele Vorurteile herrschen, aber über den wir fast nichts wissen. Der mittlerweile für einen sehr großen Teil der Gesellschaft zu einem riesigen rassistischen, antisemitischen, diskriminierenden Monster gemacht wurde.
Trotzdem hat Strache gleich zu Beginn ein Foto von mir auf Facebook gepostet, durch das ich mich etwas geoutet gefühlt habe. Und nein, ich habe mir kein Pseudonym mit den Initialen 88 einfallen lassen, um mich auf den Ball zu schummeln und Nazi-Parolen zu provozieren.
Immer wieder, wenn ich eine Unterhaltung mit Burschen- und Mädelsschaften, FPÖlern, Identitären und denen, „die einfach nur da” waren hatte, kam jemand vorbei, um die Person, mit der ich sprach, vor mir zu warnen. Als ich bei der Eröffnungsprobe zusah und twitterte, kamen immer wieder Menschen an mir vorbei und sagten den Leuten in ihrem Umkreis: „Das ist diese VICE-Redakteurin.” Während jeder Unterhaltung, zu der jemand Neues hinzustieß, der mich nicht kannte, fiel sofort der Satz: „Vorsicht. Sie ist Presse.”
Es hatte schon eine gewisse Ironie, dass auf der einen Seite immer wieder die Offenheit und Unbedenklichkeit der Veranstaltung betont und auf der anderen vor Vertretern der Presse gewarnt wurde.
Man muss sich nicht auf den Ball schleichen, ein Diktiergerät reinschmuggeln und auf heikle Aussagen warten: Die Besucher sagen ganz offen Dinge, die zum Beispiel ausländerfeindlich sind. Das ist für sie, vielleicht in der Blase an diesem Abend noch ein bisschen mehr, völlig normal. Das ist ihre politische Meinung, von der sie völlig überzeugt sind und an der sie selbst ja absolut nichts Negatives sehen.
„Ja, ich bin wahrscheinlich rechtsextrem. Wie kannst du das nicht sein?”, „Viele Asylanten sind nunmal Höhlenmenschen, das lässt sich nicht leugnen.” „Wenn ein Asylant dich schon hundert Mal auf der Straße angespuckt hat, dann kannst du das nicht mehr unterstützen.” „Man muss ja die Fakten kennen: Fast niemand von denen kommt, weil er vor Krieg flieht. Wo ist denn noch Krieg außer bei der IS. Die kommen wegen dem Geld.” Zu späterer Stunde in der Disco ein Einwurf von der Seite: „Wir sind hier keine Nationalsozialisten.” Ah, danke für die Info.
Aber um zu beweisen, dass man nichts gegen alle Ausländer habe, wird dann jedes Mal wieder erzählt, wie viele Freunde man nicht habe, die Ausländer sind. Während einer Diskussion mit Strache, bei der ich mein Bier eingelöst habe, die sonst aber nicht sehr spannend war, sagt er plötzlich, um mir sein tolerantes Weltbild zu zeigen, er müsse mir syrische Flüchtlinge vorstellen, die topintegriert wären. (Ich glaube, die höchste Stufe der Integration haben laut FPÖ jene Ausländer erreicht, die FPÖ wählen—sofern sie überhaupt wählen dürfen).
Ein bisschen später weist mich Strache noch einmal auf drei Ausländerinnen hin, die an uns vorbeigehen. „Wir sind offen, aber Sie kommen hier mit Vorurteilen rein und wollen halt einfach nicht die Wahrheit sehen” sagt er dazu. Aber nein, lieber Herr Strache, dass auf dem Ball eine („schöne”) Polin, eine („wunderhübsche”) Südamerikanerin, Farbentragende aus ganz Europa und zwei geflohene Syrer sind, macht den Ball nicht toleranter.
An diesem Abend sind es fast ausschließlich die Männer, die sich mit mir über Politik unterhalten. Während mir einige Frauen erzählen, sie würden es geheimhalten, dass sie hier sind und dass sie Beziehungen zu oder mit Burschenschaftern haben. Weil sie gefeuert würden oder von ihren Freunden nicht verstanden. Auch wenn in einer Rede behauptet wird, dass einst ein Burschenschafter für mehr Rechte für Frauen gekämpft haben soll und es mittlerweile auch Mädelsbünde gibt, bleiben die Burschenschaften ein Männerverein. Das wird mir besonders klar, als „Gaudeamus Igitur” angestimmt wird und man fast ausschließlich Männer hört, die glühend mitsingen.
Auf dem Akademikerball finden keine geheimen Vernetzungstreffen statt, es gibt dort keinen Tisch, an dem ein Putsch geplant wird oder Bilder einiger augewählter Linker herumgereicht werden, die die ersten Opfer nach der Übernahme sein werden. Nicht nur die Protestkundgebungen, auch die Reden am Ball klingen wie politische Kundgebungen. Es ist ein „Jetzt erst recht”, weil viele Gäste, die sich früher für den Ball vielleicht gar nicht interessiert haben, jetzt auf den Ball gehen, um ein Zeichen zu setzen.
Zeichen setzen möchten aber auch die Menschen, die vor der Hofburg gegen diesen Ball demonstrieren. Es ist nunmal kein völlig normaler Ball, wenn neben einem an der Bar ein verurteilter Holocaustleugner steht. Klar, warum sollte Johann Gudenus so einen Abend nicht auch in Anwesenheit seines Vaters verbringen wollen und John Gudenus spricht auch sofort mit den Menschen um sich herum und scheint seinen Spaß zu haben. Aber jeder, der diesen Ball besucht, weiß, er besucht einen Ball, auf dem Menschen die Ausführungen zu „Negerkonglomerat” und „Höhlenmenschen” verstehen, ja, zum Teil gutheißen oder noch einen Schritt weitergehen würden. Aber das macht nicht alle dort zu Nazis.
Auf dem Akademikerball tanzen ganz normale Menschen. Auf dem Klo wird darüber gesprochen, ob Max oder Felix schärfer ist und dass die Friseurin die Frisur versaut hat, in der Disco läuft, was in jeder Disco läuft (vielleicht ein bisschen mehr Gabalier und Helene Fischer). Aber da können Gäste noch so oft versichern, dass es nicht zu demonstrieren gibt, weil es einfach nur ein Ball ist, auf dem getrunken und getanzt wird—das wissen wir. Gegen den Ball wird nicht demonstriert, weil er medial zu etwas gemacht wurde, das er nicht ist, sondern weil John Gudenus geladen ist, weil Strache die Gäste als die neuen Juden und die Gegendemonstranten als die neuen Faschisten oder SA bezeichnet. Und weil dort bei solchen Aussagen applaudiert wird.
Gäbe es den Ball aus irgendwelchen Gründen irgendwann nicht mehr: Jeder Ballbesucher würde sich noch mehr im Recht sehen, für seine Politik zu kämpfen. Eine von so vielen verachtete politische Gruppe zu sein—die spätestens seit den letzten Wahlen weiß, dass auch 25 Prozent der Bevölkerung hinter ihr stehen—schweißt zusammen und bekräftigt. Sie halten sich für die Märtyrer, die allem zum Trotz für ihre Ideale einstehen. Sie sehen sich als Helden, über die geschrieben wird, weil sie die österreichische Identität und Tradition gewahrt haben. Der Ball ist nur ein leichtes Angriffsziel, weil er greifbar ist. Weil man denken könnte, sein Untergang wäre mehr als ein symbolischer Sieg gegen eine aufstrebende Rechte. Und weil man hofft, es wäre einer.