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Wie ein Camgirl dank Instagram und Twitter zur Sängerin wurde

Musikerin Laika ist auch als Camgirl Cortana Blue bekannt

In einer einzigen Nacht vor der Webcam kann Cortana Blue 650 Euro verdienen, und das an bis zu 20 Abenden im Monat. Ein Abo ihres Snapchat-Kanals kostet 32 bis 65 Euro. Momentan hat sie 2.500 Abonnenten. Es wären noch viel mehr, wenn ihr Konto nicht bis vor Kurzem gesperrt gewesen wäre. Auf Twitter und Instagram hat sie jeweils über hunderttausend Follower. Auch ihr Instagram-Konto wurde schon mehrmals gelöscht. Sie ist für Cam-Sites auf Sex-Messen aufgetreten und ist über den Roten Teppich der AVN Awards gelaufen, einem Filmpreis der US-Erotikbranche. Sie ist so erfolgreich, dass Betrüger online ihre Identität stehlen, um etwas von ihrem Ruhm abzubekommen. Als Cortana Blue ist sie eines der erfolgreichsten Camgirls der Welt.

Aber in der Synth-Pop-Szene ist sie ein Newcomer. Hier tritt sie unter dem Namen Laika auf. Ihre refrainlastigen Lieder erinnern an die Musik von den Gruppen CHVRCHES und The 1975. Obwohl sie neu ist, genießt sie jetzt schon Celebrity-Status. Ihre Debut-Single “Earl Grey” wurde im ersten Monat über 100.000 Mal auf Spotify und Apple Music gestreamt.

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Als ich ihr Luxus-Apartment in einem schicken Stadtteil von Toronto betrete, fällt mir gleich auf, wie hochwertig alles aussieht. Im Wohnzimmer hängt neben der Couch eine kleine Sammlung an Fan-Kunst, direkt neben ihrem Computer und den zwei Monitoren. Auf der anderen Seite stehen zwei Gitarren, eine akustische und eine elektrische. Vielleicht ist es keine Absicht, aber alles im Raum wirkt so, als wolle sie sagen: “Das ist auch eine Seite von mir, die die Welt kennen sollte.”

Ob sie sich bewusst dafür entschieden hat, sich gleichzeitig als Pornodarstellerin und Musikerin zu inszenieren? Sie bejaht. Warum sollte sie die Chance vergeben, 300.000 Abonnenten ihre Musik zu präsentieren, fragt sie zurück.

Camming als Sprungbrett in den Mainstream

Es ist ein relativ neues Phänomen, dass Sexarbeiterinnen ihren Erfolg in den sozialen Medien als Sprungbrett in andere Bereiche nutzen. Lange Zeit wurden Künstlerinnen mit einer Vergangenheit in der Sex-Industrie stigmatisiert. In den letzten Jahren fand ein Wandel statt. Cardi B beispielsweise ist inzwischen auch im Mainstream ein Star, teilweise wegen, nicht trotz, ihrer früheren Karriere als Stripperin. Es sind die Erfolgsgeschichten von Underdogs – aus einer Branche, die wir normalerweise nicht mit Erfolgsgeschichten verbinden. Der nächste Schritt scheint nun zu sein, beide Welten miteinander zu verschmelzen.

In diesem Punkt unterscheidet sich Laika von anderen Künstlerinnen wie Vera Bambi. Das ehemalige Camgirl nutzte ihren Erfolg auf Instagram, um eine Karriere als YouTuberin zu starten. Heute folgen 912.000 Menschen ihrem Kanal, in dem es um Cosplay und Make-Up geht. Doch genau wie Cardi B wandte sich Vera Bambi von der Sex-Industrie ab, bevor sie in einem anderen Bereich durchstartete. Laika hingegen sieht Sexarbeit nicht nur als Mittel zum Zweck. Sie sieht sie als Chance, Vorurteile zu bekämpfen. Und sie verschafft ihr ein Alleinstellungsmerkmal in der Musik.

“Wenn ich auf Tour gehe, werde ich auf die Bühne kommen und rufen ‘Abonniert mich für 50 Dollar auf Snapchat, dann könnt ihr mich nackt sehen”, sagt sie. “Ich frage mich, wie viele Leute das machen werden.” Mit Snapchat verdient sie momentan 4.570 Euro im Monat, neben dem Camming ihre größte Einnahmequelle.


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Auch in Deutschland ist es noch die Ausnahme, wenn Personen sowohl im Bereich Pornografie als auch in anderer Rolle öffentlich auftreten. Die Leipziger Influencerin Katja Krasavice tut das zum Beispiel. In ihrem Online-Shop verkauft sie Softporno-Kalender und -Poster; einem Bericht des Magazins Online Marketing Rockstars zufolge hat sie zudem via Snapchat für kostenpflichtige Filmclips geworben. Zugleich tritt Krasavice mit Singles wie “Dicke Lippen” oder “Doggy” als Musikerin in Clubs auf. Die Lieder veröffentlicht sie auf ihrem YouTube-Kanal, auf dem sie sonst vor allem über Sex spricht.

Bis vor Kurzem hatten Pornostars keine Plattformen wie Instagram oder Twitter, um ihre Karriere zu pushen. Laika sagt, dass ihre Musikkarriere ohne soziale Medien und ihre vierjährige Arbeit als Camgirl “nicht möglich gewesen wäre”.

“Wenn die Leute mich nur nackt sehen wollen würden, würden sie nicht meine Musik streamen. Offensichtlich gefällt den Leuten, dass ich beides mache”, sagt sie. Für ihr erstes Musikvideo hat sie umgerechnet 19.620 Euro gesammelt, sagt sie, während sie mit ihren Katzen spielt. Dafür hat sie ihren privaten Snapchat-Kanal und selbst produzierte Pornos über das kostenpflichtige Porno-Portal ManyVids verkauft. “Der Monat war extrem lukrativ für mich”, sagt sie und fügt hinzu, dass sie noch nie mit einem Fundraiser so viel Erfolg hatte. Ob sie jemals mit dem Camming aufhören will? “Nein.”

Laika sagt, dass sie sich keine Sorgen mache, dass ihre Karriere als Camgirl jüngere Zuhörerinnen und Zuhörer abschrecken könne. “Als Christina Aguilera ‘Dirrrty’ herausbrachte, war ich in der sechsten Klasse. Meine Mutter ließ mich trotzdem ihre Musik hören und auf ihre Konzerte gehen”, sagt sie.

Neue Social-Media-Richtlinien treffen Pornodarstellerinnen besonders hart

In den letzten zehn Jahren gab es einen Wandel: Sexarbeit wird zunehmend als echte Arbeit wahrgenommen. Dass das nicht immer glatt läuft, zeigt das Beispiel von Vex Ashley. Sie hat die Porno-Produktionsfirma Four Chambers gegründet und weiß, wie schwierig es ist, sich als Sexarbeiterin im Mainstream zu behaupten.

“Wenn du einmal als Sexarbeiterin gearbeitet hast, bleibt das den Leuten für immer im Gedächtnis”, sagt sie. “Entweder arbeitest du in der Sexarbeit-Welt oder in der realen Welt. Es ist sehr schwer, die beiden zu verschmelzen.”

Bis vor Kurzem boten Seiten wie Tumblr sichere Räume für pornografische Inhalte, wie die von Vex’ Firma Four Chambers. Ihre Filme finanzierte sie über die Crowdfunding-Plattform Patreon. Doch im Juni 2018 erhielt sie einen Anruf. Patreon erklärte, dass sie Four Chambers von der Seite nehmen würden. Als Grund gaben sie die neuen FOSTA-SESTA-Gesetze in den USA an. Doch Vex erzählt mir am Telefon, dass die Profile von Sexarbeiterinnen schon lange vor den neuen Gesetzen von Patreon gelöscht worden sein sollen. Patreon gab Vex demnach einen Monat Zeit, ihre Abonnenten zu informieren – unter der Bedingung, dass sie alle Beiträge löschte, die gegen die neuen Richtlinien verstießen. “Ich musste alle Beiträge durchgehen und alles löschen, was ich je gepostet hatte, nur um den letzten Monat online bleiben zu dürfen”, sagt sie.

Vex, Laika und viele andere erleben es immer wieder, dass ihre Konten gelöscht werden. Auf Plattformen wie Instagram haben Nutzerinnen jedoch nicht einen Monat Zeit, ihre Follower zu informieren – die Konten werden ohne Vorwarnung gelöscht. Vex sagt außerdem, dass nicht Menschen darüber entscheiden würden, welche Inhalte akzeptabel sind, “das macht alles der Algorithmus”. Wenn ihre Konten gelöscht wurden, bleibt Vex und den anderen nichts übrig, als von vorne zu beginnen. Somit könnte Laika ihr Erfolg in den sozialen Medien auch zum Verhängnis werden: wenn sie immer und immer wieder neu starten muss.

Vex aber sieht in den sozialen Medien weit mehr als eine Werbemöglichkeit. Durch soziale Medien könnten sich Sexarbeiterinnen so privat zeigen wie nie zuvor. Das sei gleichzeitig ein Segen und ein Fluch, meint Vex. “Hoffentlich bekommt die Öffentlichkeit so eine bessere Vorstellung davon, wer in der Branche arbeitet, denn das Spektrum ist groß.”

Laika erklärt mir grinsend, dass sie ihren Erfolg als Musikerin ihren Pornos zu verdanken haben wird. “Camming hat mir Geld gebracht und Geld hat mein Leben verändert”, sagt sie. Sex sells.

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Dieser Artikel ist zuerst auf der englischsprachigen Seite von VICE Canada erschienen.