Doping ist im Fußball ein Tabu. “Soweit ich das übersehe, gibt es kein Doping”, sagte Marius-Wilhelm Müller-Wohlfahrt Ende April in einem Interview mit der Zeit. Die Aussage sorgte für Diskussionen, schließlich betreut er als Teamarzt des FC Bayern und der Nationalmannschaft einen wichtigen Teil der deutschen Fußballwelt. Und in der, sagen seine Kritiker, könne man Doping eben nicht ausschließen.
“Wer die Augen vor Doping so zumacht oder zumindest so tut, der übersieht natürlich die aktuellen Trends im Doping im Fußball”, reagierte der Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel. Und die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) teilte mit: “Doping hat durchaus auch im Fußball Sinn.”
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Lotfi El Bousidi sieht das ähnlich. Er spielte als Profi in Griechenland, Spanien sowie für Mainz 05. Vor zwei Jahren veröffentlichte er zu dem Thema seine Diplomarbeit, für sie hatte er mit vielen Spielern geredet und festgestellt: Es gibt flächendeckendes Doping im Profifußball, bis zu einem Viertel aller deutschen Profis tun es.
Wir haben mit dem 35-Jährigen darüber gesprochen, wer bei der Weltmeisterschaft dopen wird, welche Rolle Drogen im Fußball spielen und was es mit einem sonderbaren Trend aus Schweden auf sich hat.
VICE: Wie wahrscheinlich ist es, dass bei der WM kein einziger Spieler gedopt sein wird?
Lotfi El Bousidi: Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Bei großen Turnieren, egal ob Champions League oder WM, ist der Wettkampf ja noch härter als im Ligabetrieb. Außerdem wollen auch Mannschaften, deren Spieler sonst nicht auf Top-Niveau spielen, bei der WM alles geben. Deswegen rechne ich auf jeden Fall mit Dopingsperren – wenn richtig getestet wird.
Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Spieler gedopt sein werden?
Das kann ich letztlich nicht einschätzen. In der Bundesliga haben nach den Ergebnissen meiner Untersuchung zwischen 14 und 25 Prozent der Spieler schon einmal gedopt. In Spanien, wo ich ebenfalls eine Umfrage durchgeführt habe, waren es sogar bis zu 30 Prozent der Spieler. Wie gesagt: Ich glaube, dass die Bereitschaft bei einer WM höher ist als in der Meisterschaft. Andererseits ist aber auch das Risiko, erwischt zu werden, größer.
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Können Sie einem Spieler bei der WM im Fernsehen ansehen, ob er gedopt ist?
Nein, dem einzelnen Spieler sieht man das natürlich nicht an.
Woran erkennt man es dann?
Der einzige Weg, das wirklich rauszukriegen, sind Dopingtests. Allein die geben Aufschlüsse darauf, wie “sauber” die Mannschaften sich vorbereitet haben. Als Zuschauer ist es schwierig oder sogar unmöglich, Dopingvergehen durch Spielbeobachtungen zu messen. Wenn eine ganze Mannschaft während der ganzen WM auffallend fit ist, vor allem in einem kräftezehrenden Spiel, dann würde ich mir Gedanken machen. Das Fitness-Level sollte eigentlich vergleichbar sein. Zumindest dürfte es auf diesem Niveau keine gravierenden Ausreißer nach oben geben.
Wann haben Sie so etwas zum letzten Mal gesehen?
Es wurde ja gerade erst in der Champions League diskutiert. Da hatten mehrere Mannschaften ihre Spiele in den letzten zehn Minuten gedreht – und die kamen auffälligerweise überwiegend aus Spanien. Vielleicht erinnern Sie sich an Dr. Fuentes, den spanischen Dopingarzt? Der hatte offen gesagt, dass neben Radfahrern auch Fußballer zu seinen Patienten gehört hätten. Aber ich kann da von außen keine Aussage treffen, das wäre vermessen.
Gibt es Mannschaften bei der WM, deren Spiele sie sich besonders skeptisch anschauen?
Auf Russland schaue ich natürlich, damit bin ich aber nicht allein. Die Fälle des systematischen russischen Dopings sind ja bekannt.
Viele Fußballfunktionäre sagen noch immer: “Doping im Fußball bringt nichts.” Was erwidern Sie?
Ich würde dagegen halten, dass es vor allem bei einem Turnier wie der WM etwas bringt. Da hat man ja viel mehr Spiele in kurzer Zeit, also weniger Zeit, sich zu erholen. Da sind zum einen Präparate gefragt, die die Regeneration fördern. Und zum anderen solche, die Ermüdungssignale des Körpers abstellen.
Das geht?
Das können Sie sich vorstellen wie beim Joggen. Wenn der innere Schweinehund irgendwann sagt: “Bleib stehen, es geht nicht mehr.” Oder wenn der Körper nach völliger Erschöpfung streikt, zum Beispiel in Form von Muskelschmerzen. Dann werden teilweise auch Präparate genutzt, die diese Schmerzen unterdrücken. Man läuft dann einfach weiter. Aber das sind richtig gefährliche Produkte. Der Körper sendet uns ja nicht ohne Grund Warnsignale.
Wissen das die Spieler, die so etwas nehmen?
Nein, tun sie nicht. Für mich war das eines der wichtigsten Ergebnisse meiner Arbeit. Ich hatte explizit die Frage gestellt, ob die Spieler wüssten, was auf der Dopingliste steht. Ob sie sich überhaupt auskennen. Und die Zahl derer, die gar nichts wussten, war erschreckend hoch.
Was bedeutet das?
Dass man die Schuld auf keinen Fall alleine den Spielern geben kann. Natürlich muss jeder darauf achten, was einem verabreicht wird. Aber die wenigsten hinterfragen das. Wenn ich denen, die dopen, den Namen eines Präparats nennen würde, wäre ich nicht sicher, dass sie schon einmal davon gehört hätten.
“Die Täter sind den Kontrolleuren technisch immer einen Schritt voraus.”
Toni Schumacher schrieb in seinem Buch mal von “haufenweise Spritzen und Tabletten”, die den Spielern bei der WM 1986 in Mexiko verabreicht worden seien. Wenn bei der WM 2018 gedopt würde, wie liefe es ab?
Das Blöde an den Doping-Präparaten ist, dass die Täter den Kontrolleuren technisch immer einen Schritt voraus sind. Es ist also schwer, diese Frage sicher zu beantworten. Es bleibt spannend, welche Fälle während des Turniers aufgedeckt werden.
Dopen sich Spieler auch selbst?
Ja. Es haben auch einige in meinen Umfragen zugegeben, dass sie sich Steroide auf dem Schwarzmarkt besorgt haben. Vor allem waren es überwiegend Spieler, die nach einer längeren Verletzungspause wieder angreifen wollten.
Wie sind Sie eigentlich auf das Thema für Ihre Abschlussarbeit gekommen?
Ich musste in meiner gesamten Karriere nur einmal zur Dopingprobe, andere wurden gar nicht geprüft. Gleichzeitig wusste ich von ehemaligen Profis, die in den Achtzigern und Neunzigern Cortison und sonstwas gespritzt bekamen und darunter heute gesundheitlich extrem leiden. Das passte für mich nicht zusammen.
Was wollten Sie mit der Veröffentlichung erreichen?
Vor allem wollte ich meine Kollegen, die so wenig wissen übers Doping, vor den gesundheitlichen Risiken warnen. Außerdem sind Fußballer riesige Vorbilder für Kinder – und so sollten sie sich auch verhalten.
Haben Sie persönlich mal etwas verabreicht bekommen, wo Sie sich später gefragt haben: Huch, was war das denn?
Nein, ich glaube nicht. Hundertprozentig sicher kann ich mir aber nicht sein.
Wie haben Sie es geschafft, dass die Spieler mit Ihnen reden?
Viele Profis kannte ich persönlich. Ich habe die Umfragen ja in den Ländern gemacht, in denen ich selbst gespielt habe oder sehr gute Kontakte habe. Und dann kannten die wieder welche, die einen kannten.
“Viele Spieler waren erschrocken, als sie erfuhren, welche gesundheitlichen Risiken ein Spieler in Kauf nimmt, wenn er zu solchen Präparaten greift.”
Warum haben diese Spieler das Doping zugegeben?
Der entscheidende Punkt war, dass ich einer aus ihren Reihen war. Sonst hätten sie mich gar nicht ran gelassen – es sind ja schon einige daran gescheitert, solche Umfragen zu machen. Zweitens habe ich den Spielern genau erklärt, wie dieser Test abläuft. Dass er komplett anonymisiert ist und keine Rückschlüsse auf den Einzelnen zulässt.
Was hat sich in den zwei Jahren seit Ihrer Diplomarbeit verändert?
Durch die Aussagen vieler Ex-Profis und deren Dopingvergehen in der Vergangenheit ist das Thema Doping aktuell wie noch nie. Die VDV-Spielergewerkschaft setzt sich verstärkt für Dopingpräventionen ein und bietet umfangreiche Aufklärung. Viele Spieler, auch in meinem Bekanntenkreis, waren erschrocken, als sie erfuhren, welche gesundheitlichen Risiken ein Spieler in Kauf nimmt, wenn er zu solchen Präparaten greift. Es wird jetzt nach zwei Jahren zumindest nicht mehr alles schöngeredet, man hat verstanden, dass Doping im Fußball durchaus ein Problem ist.
Paolo Guerrero, der Kapitän von Peru, hätte beinahe die WM verpasst, weil er 2017 positiv auf ein Abbauprodukt von Kokain getestet wurde. Müssen Spieler, die beim Feiern Drogen nehmen, damit rechnen, erwischt zu werden?
Auf jeden Fall. Deshalb sind die meisten Profis, die ich kenne, auch nie in Kontakt mit Drogen gekommen. Das ist ja vom Image her auch noch schlimmer als Doping. Wenn du positiv auf Kokain getestet wirst, schmeißt dein Verein dich raus, definitiv. Im schlimmsten Fall ist deine Karriere zu Ende.
Marco Reus wurde neulich im Flieger mit einer Dose Snus, schwedischem Oraltabak, fotografiert. Das soll gerade ziemlich angesagt sein unter Fußballern.
Ich habe für meine Diplomarbeit auch in der schwedischen Liga Interviews geführt. Da ist mir aufgefallen, dass fast jeder Spieler Snus entweder im Mund hatte, oder zumindest stark danach roch. Was echt ziemlich gewöhnungsbedürftig war. Aber stimmt, es ist für die Spieler unproblematisch, denn es steht nicht auf der Dopingliste.
Hat es denn eine Wirkung?
Es hat wohl einen viel stärkeren Effekt als Zigaretten, und es gibt einen leichten Kick, das haben mir zumindest die schwedischen Spieler erzählt. Ob das leistungssteigernd wirkt, ist eine andere Frage. Ich denke nicht, dass es was bringt.
[Anm. d. Red.: Obwohl Snus nicht offiziell als Dopingmittel gelistet ist, wurde der Viertligaspieler Dennis Malura erst im Mai dieses Jahres von seinem Verein für ein Spiel suspendiert, nachdem er öffentlich über seinen Snus-Konsum gesprochen hatte. Der Spieler sagt, Snus habe ihn weder konzentrierter noch reaktionsschneller gemacht. Stattdessen schlafe er unruhiger.]
Können Sie Fußball eigentlich trotz Dopings noch richtig genießen?
Auf jeden Fall, ich schaue Fußballspiele immer noch genauso gern wie früher.