Sie tragen zu Karneval geschnitzte Holzmasken und treiben einen Bären durch die Stadt. Mit dabei: ein Jude und ein schwarzer Mensch. In Meckenhausen, einem Ortsteil der Stadt Hilpoltstein bei Nürnberg, haben Einwohner vor 25 Jahren eine alte Tradition wieder eingeführt, deren Wurzeln angeblich bis zu den Kelten reichen: das Bärentreiben.
Eine kleine Gruppe zieht dabei am Samstag vor Rosenmontag von Haus zu Haus. Jeder Teilnehmer verkörpert eine eigene Rolle mit eigener Bedeutung. Der Bär symbolisiert den Frühling, er wird an einer Kette geführt, der Treiber ist ein Symbol für den Winter. Ein Brautpaar steht für Fruchtbarkeit, Hexen und der Teufel repräsentieren das Schlechte. Und dann sind da noch ein Schwarzer und ein Jude, die in den Augen des örtlichen Karnevalsvereins für das “Unbekannte” und “Exotik” stehen sollen. Bis zum Montagmorgen stand das N-Wort noch ausgeschrieben auf der Website des Vereins, inzwischen wurde die Textstelle geändert. Für eine telefonische Nachfrage war bis zum Montagnachmittag niemand zu erreichen.
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Karneval hat ein Rassismus-Problem. Das ist in diesem Jahr nicht anders als sonst. Die Kulturwissenschaftlerin Noa K. Ha erklärte in der Zeit, warum Karnevalskostüme eben nicht immer harmlos sind. Gerade die Faszination am “Exotischen”, die noch aus der Kolonialzeit stamme, sieht sie kritisch: “Man brauchte das Andere, um sich selbst davon zu distanzieren und über die Anderen zu erhöhen. Man projizierte Fantasien auf sie, machte sich lustig über sie.” Im letzten Jahr gab es wegen der vielen rassistischen Vorfälle in der fünften Jahreszeit in Köln die Plakatkampagne “Ich bin kein Kostüm!”, bei der Angehörige von Minderheiten erzählten, wie es sie trifft, wenn sich Leute als beleidigende Stereotype verkleiden.
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Trotzdem zieht Jahr für Jahr eine Gruppe mit rassistischen und antisemitischen Kostümen durch Meckenhausen – und nennt das einen “äußerst originellen Brauch”. Wer dem Zug nicht rechtzeitig entkommen kann, wird mit schwarzem Ruß eingestaubt.
Blackfacing ist ein Problem, das der Karneval nicht loswird. Im letzten Jahr erntete der Karnevalsverein Südend aus Fulda für einen Umzug Kritik, weil sich Teilnehmer in Kostüme geworfen hatten, die an deutsche Kolonialuniformen erinnerten. Ein anderer Teilnehmer hatte sich schwarz geschminkt, trug Leopardenfell und Knochenkette und gab den “N**** aus dem Südend”. Der Historiker Winfried Speitkamp von der Universität Kassel sagte dazu, man bediene Vorurteile, indem man Schwarze “als halbe Kannibalen” darstelle.
Auch Juden werden zu Karneval immer wieder verunglimpft. 2002 sagte ein Büttenredner in Nürnberg, der 1. FCN solle sich “jüdische Stürmer” anschaffen, weil die bekanntlich nicht mehr verfolgt werden dürfen. Und im südbadischen Karneval ist ein Reim noch gebräuchlich, der die Bezeichnung “Jude” als Schimpfwort nutzt und das Stereotyp des geizigen Juden reproduziert.
Manche Leuten erkennen das Problem anscheinend jedoch nicht. Eine Journalistin, die für die Lokalpresse den Artikel über das Bärentreiben verfasste, schrieb das N-Wort ebenfalls aus. Sie hinterfragte in ihrem Text auch nicht, ob es problematisch ist, mit Juden und Schwarzen durch eine Stadt zu ziehen. Aber genau das ist es: Blackfacing ist ein Problem; stereotype Kostümierungen als Mitglied einer religiösen oder ethnischen Gruppe sind ein Problem; das N-Wort ist ein Problem; Menschen als exotisch zu bezeichnen, ist ein Problem. Es einfach zu lassen, ist kein Problem.
Korrektur: In einer früheren Version des Artikels hieß es, der schwarze Mensch und der Jude würden durch die Stadt getrieben werden. Das ist nicht der Fall. Die beiden Figuren sind lediglich Teil des Umzuges. Darauf haben uns Leser hingewiesen. Wir bedauern den Fehler.
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