Küss die Hand, mon chérie: Eine Liebeserklärung an das musikalische Wiener Opern-Klo

Das berühmteste Klo Wiens steht vor dem Aus.” – Lasst das kurz auf euch wirken. Das berühmteste Klo. Von ganz Wien. Vor dem Aus. Hach.

Es sind Schlagzeilen wie diese, die uns zwischenzeitlich vergessen lassen, dass wir gerade in einer Welt leben, in der Burschenschafter in der österreichischen Regierung sitzen und das gottverdammte Weiße Haus den Laurel-Yanny-Scherz mitmacht. Das berühmteste Klo Wiens steht vor dem Aus. Schlagzeilen wie diese erschaffen stattdessen eine ganz neue, viel schönere, eskapistische Welt. Eine, in der es vollkommen egal ist, wen und wie der sechste Thronfolger Großbritanniens heiratet. Eine, in der ein öffentliches Scheißhaus “vor dem Aus” steht.

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Dabei ist die (angeblich weltberühmte?) “Opera Toilet” in der Opernpassage am Karlsplatz so viel mehr als das – zumindest für mich. Schon als Schüler auf Wienwoche war es nicht die Spanische Hofreitschule oder der Stephansdom, sondern vielmehr dieses depperte Walzer-Klo in der U-Bahn-Station, das mir in Erinnerung blieb.

Dann, als frisch zugezogener Wahlwiener, war es das Opern-Klo, auf das ich meine pissbereite Mama lotste, weil es die einzige öffentliche Toilette war, die mir im Umkreis einfiel (und ich anfangs natürlich sehr bemüht war, möglichst bewandert zu wirken). Meine Mama kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus – mein Umzug musste die richtige Entscheidung gewesen sein, so nobel wie die Wiener brunzten.

Meine jüngste Begegnung mit dem Opern-WC geht zurück auf die VICE-Weihnachtsfeier 2017, als ich schon sehr dringend pieseln musste und plötzlich dachte, dieses Vorhaben nur – und zwar wirklich nur – am Opern-Klo erledigen zu können. Ich weiß nicht warum, aber ich lief. Eine ziemlich weite Strecke. Einfach, um am adäquaten Ort Wasser zu lassen. Und wieder stand mir das Opern-Klo zur Seite, als ich es am dringendsten brauchte. Wie sagt man so schön? A friend in need is a friend indeed.

Man muss dazu sagen: Dieses Häusl ist auch wirklich ein Erlebnis. Wo sonst kann man zu den sanften Klängen eines Donauwalzers urinieren? Wo sonst werden Toilettenkabinen mit rotem Samt verkleidet und “Logen” genannt? Welcher öffentlich zugängliche Ort brüstet sich derart ungeniert mit kanariengelben Grafik-Unfällen und tut dann so, als wäre das todschick? Wo sonst bezahlt man 90 (meiner Meinung nach sehr gut investierte) Cent für echte Wiener Opern-Eleganz? Welche andere Toilette hat eigens angefertigte Broschüren (!) beim Ausgang aufliegen? Das Opern-Klo: Eine Institution.

Nun die Schockmeldung: Das Opern-WC stünde kurz vor der Schließung, die Stadt Wien habe den Pächtern den Vertrag gekündigt, berichtet die Kronen Zeitung. Die MA48 – die Magistratsabteilung für Abfallwirtschaft – habe dazu in einem Schreiben verlauten lassen, dass die beliebte Touristenattraktion schlichtweg nicht mehr in die “WC-Strategie der Stadt” passe.

Lasst uns an dieser Stelle kurz innehalten und die Frage stellen, was hier eigentlich der größere Skandal ist: Die Tatsache, dass Wien eine “WC-Strategie” zu verfolgen scheint, oder die bodenlose Frechheit, auch nur anzunehmen, dass eine solche WC-Strategie tatsächlich ohne ein singendes Opern-WC auskommen könnte. Egal, ob wir es Toiletten-Konzept, Scheißhaus-Plan oder Klo-Politik nennen – wenn es auch nur ein einziges stilles Örtchen auf dieser Welt gibt, das es schafft, die Essenz von Wien einzufangen, dann ist das wohl, mit Verlaub, das Opern-Klo.

Freilich setzt sich die vermeintliche “Wiener WC-Strategie” aus einer Vielzahl öffentlich zugänglicher Kackhütten zusammen, die alle durchaus wirken, als wären sie einen Besuch wert: Da wäre etwa die im Jugendstil gehaltene öffentliche Bedürfnisanstalt am Graben, die nicht nur unter Denkmalschutz steht, sondern auch einen Wikipedia-Eintrag hat. Wenn das kein Indikator für eine echte Premium-Pipibox ist, dann weiß ich auch nicht. Darüberhinaus ist die “Toilet of Modern Art” im Hundertwasser-Haus mindestens genauso berühmt wie jedes Dixie-Klo, das irgendwo am Karlsplatz herum eiert.

Der Ikonizitätsgrad des Opern-Klos jedoch bleibt unerreicht – und wenn ein Sender wie Radio Wien seine Hörer via Facebook beinhart dazu aufruft, der Erinnerung halber doch bitte alte Fotos vom Klogang einzusenden, dann weiß man: Diese Toilette ist quasi Regionalheiligtum. Lustig, wenn man bedenkt, dass das Opern-Klo zuletzt 2006 eher negative mediale Aufmerksamkeit erregte, als die damaligen Frauenmünder-Pissoirs nach drei langen Jahren jemandem aufgefallen waren und schließlich entfernt wurden.

Die wahre Magie des Opern-WCs aber offenbart sich in dem überparteilichen Konsens, den es zu verbreiten scheint. “Vielleicht eine Petition für eine WC–Anlage gefällig? In Wien wäre es möglich”, kommentiert etwa ein Facebook-User unter dem Krone-Posting. Und sogar FPÖ-Klubobmann Anton Mahdalik schaltet sich ein: “Das Opern-WC ist eine Institution und muss unbedingt in der bestehenden Form erhalten bleiben.”

Sind singende Toiletten womöglich die eine Sache, die unsere Gemeinschaft zusammenhält? Der langersehnte Berührungspunkt, der kleinste gemeinsame Nenner, der uns alle eint? Wahrscheinlich nicht. Aber die bloße Möglichkeit sollte genügen, um die WC-Strategie dieser Stadt gründlich zu überdenken. Vielleicht braucht es nicht KEIN, sondern VIEL MEHR singende, gelbe, nobel herausgeputzte Toiletten. Und wenn schon nicht mehr, dann auf jeden Fall nicht weniger. Für den Weltfrieden (zumindest in Wien). Also: Rettet das Opern-Klo, ihr Häusln!

Franz auf Twitter: @FranzLicht

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