Alles Fotos von Cait Oppermann. Dieser Artikel ist ein übersetzter Ausschnitt aus einer ausführlichen Reportage
Ballroom ist Amerikas schillerndste Subkultur. Und doch die vielleicht am wenigsten bekannte. Zu Unrecht. Denn keine Party dieser Welt ist mit einem Ball zu vergleichen – kein VIP-Club mit Samtseilen vor der Tür und kein dreckiger Holzbretterrave. Auf diesen Veranstaltungen findest du Dragqueens, Butch-Queens, Transfrauen und andere Queer People of Color. Sie kommen in Clubs oder gemieteten Hallen zusammen, von Kopf bis Fuß in Ferragamo gekleidet, oder mit einem Korsett aus LED-Lichtern, oder einem Abendkleid aus Müllsäcken. Im Laufe der Nacht gibt es eine Reihe an Wettbewerben mit Geldpreisen und Ruhm, bei denen manche Tänzer ihre Körper zu halsbrecherischen Stürzen auf den Boden verdrehen und andere wie Naomi Campbell auf einem Pariser Laufsteg herumstolzieren.
Videos by VICE
In den letzten Jahren bewegt sich die Szene jedoch ein wenig aus ihrem Schattendasein – dank prominenten Fürsprechern wie MikeQ. Der31-jährige DJ und Produzenten setzt sich seit zehn Jahren für den Reiz von Ballroom und dessen kommerzielle Sichtbarkeit ein. Und er ist durch die vielen Städte außerhalb der USA getourt, in denen örtliche Ballroom-Szenen entstehen, wie Tokio, Moskau, Paris, Mexiko und Seoul. Mit seinen Boiler-Room-Sets schafft er es in Wohnzimmer auf der ganzen Welt und verführt die Leute zusammen mit dem Label Fade to Mind und der Partyreihe “GHE20G0TH1K” – beides Eckpfeiler der experimentellen Avantgarde. Selbst Missy Elliott hat sich schon mal bei Mike gemeldet, um ihn für die Zusammenarbeit auf einem Ballroom-Track zu gewinnen.
Man könnte also sagen, dass MikeQ, der bürgerlich Michael Cox heißt, so etwas wie der Botschafter des Ballroom ist. Wobei es wohl des Zusatz “unaufdringlicher” bedarf.
Dabei ist Ketamin alles andere als ungefährlich.
Mike war 17, als er die hyper-kinetischen Klänge moderner Ballroom-Musik entdeckte – diesen Antrieb, der Tänzern das Adrenalin dafür verleiht, ihre Gegner während der Battles zu dominieren. Der Junge verliebte sich sofort in Ballroom. Und seinen Durst nach der Musik stillte Mike mit CDs, die er seinen späteren Mentoren Vjuan Allure, Angel X und Tony Cortes abkaufte, alles wegweisende DJs mit denen er in seinem ersten Club, The Club House, abhing.
Nachdem er ihre Musik zu Hause studiert hatte, begann Mike seine eigenen Tracks mit Fruity Loops und ACID Pro zu produzieren. Die Programme hatte er von einem Freund bekommen, den er im Globe, seinem zweiten Stammhaus, getroffen hatte. “Ich habe Tracks auseinandergenommen und mein Gefühl für Jersey Club mit Ballroom kombiniert”, erklärt er. Mike versah all seine frühen Produktionen mit einem besonderen “Drop” – einer Aufnahme von Vjuan Allure, auf der dieser Mikes Namen sagt, den er ihm an seinem 19. Geburtstag verlieh. Für Mike war dieses Geschenk ein begehrtes Zeichen der Zustimmung. Obendrein wurde er für ein paar Jahre Resident sowohl im Club House als auch im Globe.
Mike daheim im Studio
Es ist ein Donnerstagabend, New York City, Mitte Juli. Die Veranstaltung an diesem Abend, “Vogue Knights”, beginnt offiziell um 23 Uhr, doch die Wettbewerbe nehmen erst gegen zwei Uhr Fahrt auf. Dann wird der Dancefloor ambitionierten Ballroom-Tänzern und -Fans überlassen. Die Straßen Manhattans sind wie ausgestorben, als ich in Richtung “Vogue Knights” fahre, angestrahlt vom entfernten Schein des Times Square. Die Party findet heute zum ersten Mal in ihrem neuen Zuhause statt, einem Schwulenclub namens XL, nachdem sie fünf Jahre lang im La Escuelita stattfand, einem Latino-Schwulenclub. MikeQ wird von Beginn der Party um 23 Uhr bis zu ihrem Ende um fünf Uhr morgens auflegen.
Hinter einer der schwarzen Marmorsäulen eines leeren Bürogebäudes am Ende der Straße ertönt ein dumpfer Ruf: “Michelle!” Ich blicke in Richtung des Rufs und sehe Mike zusammengekauert mit vier Freunden. Sie reichen einen Joint herum, außerhalb der Sichtweite der Polizeistation, die direkt neben dem Club liegt.
Mike sieht frisch und ausgeruht aus, sein langes Jeanshemd hat er aufgeknöpft, darunter kommen ein weißes Shirt und silberne Ketten zum Vorschein. Während ich mich zu seinen Freunden stelle, streckt er seine Arme über seinen Kopf und beugt sich nach vorne, um sich zu dehnen. “Ich bin müde!”, seufzt er.
Am Rande des Balls
Eine große blonde Frau in unserer Mitte schnappt sich die glänzenden Ketten vom Nacken einer anderen Person und stolziert über den Bürgersteig, als wäre es ein Laufsteg, ihre Beine blitzen durch einen schwarzen Rock, der bis zur Hüfte aufgeschlitzt ist. “Lasst uns wieder reingehen”, ruft sie über die Schulte und bevor ich Mike fragen kann, was los ist, dreht er sich um und geht zügig durch die pinken Türen des Clubs. “Work – work – work” weist uns ein Ballroom-Remix von Rihannas Hit an, während er sich seinen Weg durch junge Menschen, die sich auf dem abgesenkten Dancefloor aufwärmen, in Richtung Bühne bahnt. Er hüpft eine Treppe hoch und nimmt neben grinsenden Jurymitgliedern in breitkrempigen Hüten seinen Platz hinter dem provisorischen DJ-Pult ein. Wie aufs Stichwort schallt sein charakteristischer Drop aus den Lautsprechern, eine roboterhafte männliche Stimme, die “Dee-jaaay MikeQ” anstimmt.
Im Laufe der nächsten Stunden stolzieren Tänzer vor der Jury umher und messen sich in Kategorien mit Namen wie “Old Way” und “Femme Queen Vogue”. Während die Wettbewerber versuchen, sich im Bereich “Runway” zu überbieten, in der sie von der Jury für die Wildheit ihres Laufs beurteilt werden, spielt Mike warme, sanfte House-Musik, die dafür gemacht ist, dass du deine Hüften dazu hin und her bewegst.
Eine weiblich auftretende Tänzerin in einem schwarzen Umhang gewinnt das Publikum für sich, indem sie einen Vaporizer hervorholt und eine Rauchwolke bläst, während sie den Laufsteg hinabstolziert. Eine andere Teilnehmerin ist weniger erfolgreich: “Mädel, leg deine Tasche ab und zieh deine Jacke aus”, dröhnt der MC. “In dieser Kategorie geht es um Selbstbewusstsein!”
“Work! Work! Work!”
Später erklärt Mike, dass das Auflegen bei einem Ball streng funktional ist und er dafür wissen muss, wie Kommandos und non-verbale Hinweise des MCs zu interpretieren sind und die richtigen Klänge für verschiedene Kategorien auswählen muss. Es ist sehr anders als einen Gig in einem Club zu spielen, wo die Leute hinkommen um sich der Musik hinzugeben. Bei einem Ball “ist mein Job der von jemandem, der den Soundtrack erschafft”, so Mike.
Hinter dem DJ-Pult hat Mike ein besonderes Talent dafür, sich auf die Dancefloor-Kracher zu konzentrieren, die du um zwei Uhr morgens zusammen mit deinen Freunden in einem verschwitzten Raum hören willst. Wenn es um seine eigenen Produktionen geht, bezieht Mike sein Gehör für eingängige Hooks und treibende Basslines auf seinen eigenen spezifischen Ansatz bezüglich Ballroom; einer, der die DNA des Musikgenres mit HipHop, Pop und Club-Industrial vermischt.
Durch diesen Spagat zwischen Ballroom-Underground und der breiteren Musikwelt scheint Mike prädestiniert dafür, groß zu werden. Doch während die Verbindung anderer aufstrebender Stars azur Ballroom-Szene oft von Außenseitern übersehen wird, ist Mike entschlossen, dass die Geschichte der Szene nicht in Vergessenheit gerät. “Ich gehe immer sicher, dass ich über Vjuan Allure spreche und es bekannt mache”, sagt er ernst. “Viele Leute denken, dass ich Ballroom begonnen habe, weil sie nur von mir gehört haben.”
Dadurch, wie er anschließend über sein eigenes Label Qween Beat redet, spüre ich, dass Mike eine komplizierte Beziehung zum Rampenlicht hat. Er erzählt mir, dass auf der ersten Veröffentlichung auf Qween Beat – einer Kollaboration mit dem kurz darauf verstorbenen Daft-Punk-Kollaborateur Romanthony – lediglich einer seiner Tracks zu hören war, weil er nicht wollte, dass der Fokus auf ihm liegt.
“Nicht jeder kann auf gleiche Weise wie ich bei Fade to Mind unter Vertrag genommen werden”, sagt er. “Deshalb gibt es Qween Beat.”
Im selben Atemzug gibt er jedoch zu, dass die Egos und Konflikte in der stetig wachsenden Qween-Beat-Familie zu managen und zu lösen manchmal seine Opfer fordert. “Manchmal verlässt mich der Mut und ich will es beenden, weil ich einfach nur MikeQ machen könnte – was nicht jeder versteht”, sagt er. Trotzdem ist er entschlossen weiterzumachen. “Ich werde nicht aufhören. Ballroom war ein Ort für mich, um mich selbst zu finden und diese Fähigkeiten nach außen zu tragen”, sagt er.
“Ich denke, das sollte das Ziel von jedem beim Ballroom sein.”