“I will be grooving with the sun in my ski suit in Tempelhof by the airplane. Message me if you want to join by distance”, schreibt Alvin in eine Telegram-Gruppe. Über eine Silent Disco-App streamt er seine Tanzstunden für alle, die es vermissen, zwischen anderen schwitzenden Körpern einem DJ zu folgen und zu tanzen, bis es wieder hell wird.
Eigentlich ist Alvin Collantes Tanzlehrer an drei Berliner Tanzschulen. Doch Corona und die Schließung der Tanzstudios zwangen ihn umzusatteln.
Videos by VICE
“Ich habe das Projekt Dose of Pleasure ins Leben gerufen und angefangen, meine Tanzstunden über Twitch zu streamen. Für Leute, die einschalten, ist es wie Fernsehen. Ich sehe nur, wie viele Leute anwesend sind, keine Gesichter. Das war für mich auch meditativ.” Als häufigem Clubbesucher fehlten ihm die Nähe und das Gefühl, loslassen zu können, wie man es aus einem Club kennt. Als es wärmer wurde, überlegte er sich deshalb eine Alternative.
“Im Sommer habe ich Dose of Pleasure unter Beachtung der Social-Distancing-Regeln draußen veranstaltet. Ich bringe eine Playlist mit und führe durch eine meditative Bewegungssession.” Instagram-Videos zeigen, wie eine Gruppe von etwa einhundert Leuten auf dem Tempelhofer Feld bei Sonnenuntergang tanzt. Trotz des Abstands zwischen den Tanzenden sieht man die Ausgelassenheit, die dieses Jahr wegen geschlossener Clubs und Maskenpflicht wohl viele vermissen.
Mit dem zweiten Lockdown und dem Verbot, sich in großen Gruppen zu treffen, kam für Alvin eigentlich auch die Zeit, sich wieder nur per Livestream mit seiner Community zu treffen. Doch diesmal reichte ihm das nicht. “Viele haben es mittlerweile satt, immer am Computer zu sein. Ich fing also an, mit einer Silent-Disco-App zu arbeiten.” Über das Handy können Interessierte seinen Kanal einschalten. Dann hören sie Alvins Playlist und wie er live über den Stream auf die Musik reagiert und Anweisungen gibt. Über Telegram kündigt er auch an, wo er draußen seine Session abhalten will. Wer will, kann dann dazukommen und mit ausreichender Entfernung und Kopfhörern tanzen.
Trotz der Distanz ist es eine überraschend intime Erfahrung: “Dass wir alle dieselbe Musik hören, stellt eine Verbindung her. Der Stream überträgt ja außerdem, wie ich auf die Musik reagiere. Es schafft Nähe, wenn Leute hören, wie ich zur Musik lache oder außer Atem bin.”
Diese Form des Tanzens unterscheidet sich stark von der Art, wie er im Studio unterrichtet.
Für seine Lockdown-Kurse musste er seine Kurse anpassen. “In der Anfangsphase habe ich gemerkt, dass während der Sessions mein Tanzlehrer-Ich zu strenge Anweisungen gibt. Das hat viele verscheucht.” Also nahm er sich ein Beispiel an der Clubkultur. “Auf der Tanzfläche gilt: Come as you are. Diese Freiheit wollte ich auch in meine Tanzpraxis in Corona-Zeiten integrieren. Es soll kein Richtig oder Falsch geben.”
Auch bei VICE: Kambô: Froschgift in Berlin
Ganz wie ein Dancefloor ist die Wiese auf dem Tempelhofer Feld aber dann doch nicht. Ob eine Silent Disco Leuten, die gerne feiern, dabei hilft, Partys nicht mehr zu vermissen? Alvin sieht seine Arbeit auch als Ersatztherapie: “Von außen sieht der Tanzkurs aus wie eine Party. Wenn man mitmacht, ist es aber ein bisschen anders. Wir tanzen nicht nah beieinander oder sprechen mit Freunden, so wie man es in einem Club machen würde. Hier geht es mehr um einen selbst. Es ist wie eine bewusstere Art zu raven. Wir lernen, unsere inneren Blockaden zu brechen.”
Aber auch er vermisst das Tanzen in der Panorama Bar. Für ihn wird Tanzen und Feiern nach der Pandemie einen ganz anderen Stellenwert haben als davor: “Auf der Tanzfläche teile ich die Liebe zu meinen Freunden, indem ich tanze. Weil wir die Isolation erlebt und die Zeit mit uns selbst verbracht haben, wird der Moment, wenn wir wieder tanzen dürfen, noch viel mehr Bedeutung haben.”