Alle Fotos zur Verfügung gestellt von Benjamin Patch
In dieser Serie veröffentlichen wir gekürzte Auszüge aus dem neuen Buch "Coming-out" des VICE-Autoren Sebastian Goddemeier, erschienen im riva Verlag.
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Erst mit 26 fing er an, sich rückblickend mit seiner Schulzeit auseinanderzusetzen. "Sie sagten, ich sei schwul – stellt sich heraus: Sie hatten irgendwie Recht." Was Benjamin mit Humor zu überdecken versucht, waren drei schwere Jahre. Fast täglich wurde er emotional oder körperlich angegangen. Er hatte Angst zur Schule zu gehen. Aufgrund des Mobbings wollte er nicht queer sein. "Als Teenager habe ich alles getan, was mir von den Mormonen in der Kirche vorgeschrieben wurde. Das beinhaltete auch, heterosexuell zu sein. Mit 16 stand ich aber auf einmal auf meine Kumpels und hatte sexuelle Erfahrungen mit ihnen. Ich versuchte, es zu verdrängen, musste den Mormonen aber davon beichten." Sie gaben ihm zu verstehen, dass homosexuelle Handlungen gegen Gott seien und damit eine Sünde. Er würde in der Hölle enden, würde er noch mal Sex mit Männern haben. "Diesen Teil, der sich so sehr nach mir selbst anfühlte, musste ich unterdrücken. Das war natürlich sehr schwer, weil dieses Verlangen eben da war." Vier Jahre lang erlaubte sich Benjamin nicht, sich frei auszuleben, und hörte auf das, was ihm gesagt wurde. Scham und Schuldgefühle beherrschten sein Leben.
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Mit 21 kam er zurück nach Utah und fasste einen Entschluss: Er wollte seine Religion hinter sich lassen. Das Jahr in Columbus und der Kontakt mit queeren Menschen hatten ihn so stark geprägt, dass er die mormonischen Glaubensgrundsätze nicht mehr mit sich vereinbaren konnte. Er wollte ein neues Leben leben, ohne Vorschriften, die ihn unglücklich machten. "Als ich zurück nach Utah kam, war mir klar, dass ich auf Männer stehe. Ab da ging alles sehr schnell. Ich schnippte mit dem Finger und hatte auf einmal einen Boyfriend." Von da an schwor er sich, nur noch so zu leben, wie er es wollte und für richtig befand."Ich schnippte mit dem Finger und hatte auf einmal einen Boyfriend."
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Berlin, die Stadt mit den Schwulenclubs, Drag-Bars und dem Berghain. "In Berlin fühlte ich auf einmal Unterstützung und Akzeptanz. Berlin hat diesen Vibe, der dir sagt, dass du einfach du selbst sein kannst, ohne irgendwas zu befürchten. Für jeden gibt es in dieser Stadt den richtigen Platz." In seinem ersten Jahr in der Hauptstadt musste er sich jedoch erst einmal mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen, bevor er seine Zukunft in Freiheit genießen konnte. "Ich musste den ganzen Ballast loswerden. In Utah war ich total angespannt. Dann konnte ich kurze Zeit ich selbst sein und musste mich in Italien wieder verstecken – das war sehr viel."In den letzten Jahren hat er seine Vergangenheit reflektiert, um sich selbst besser zu verstehen. Dabei kam er auf einmal mit einem ganz anderen Problem in Kontakt: seiner Identität als schwarzer Mann. "Ich bin schwarz, meine Eltern sind weiß. Was Adoptiveltern wissen müssen, ist, dass schwarze Kinder einen Bezug zu der Community brauchen, aus der sie stammen. Das hatte ich nicht." Er wuchs in einer sehr weißen Gegend auf und besuchte eine Kirche, in der ebenfalls alle weiß waren. "Ich wurde so erzogen, weiß zu sein. Ich hatte keinen Zugang zu meinen schwarzen Wurzeln." Erst als Erwachsener, als er sich mit seiner mentalen Gesundheit beschäftigte, wurde ihm diese große Lücke in seinem Lebenslauf bewusst. "Es war sehr emotional zu realisieren, dass es einen großen Teil von mir gibt, den ich nicht kenne. Eine Leere, die ich nicht füllen konnte." Vor allem als kleines Kind hatte er diese Gefühle der Isolation. Er glaubt, dass er leichter zu sich gefunden hätte, wenn er Kontakt zu Schwarzen gehabt hätte. "Ich habe mittlerweile auch Kontakt zu meinen biologischen Eltern. Das hat mir sehr geholfen, gelassener zu sein und Frieden zu finden.""Ich wurde so erzogen, weiß zu sein. Ich hatte keinen Zugang zu meinen schwarzen Wurzeln."
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