Das neue Studio von Tomás Saraceno befindet sich noch im Aufbau. Langsam, aber sich richtet sich der Künstler in zwei imposanten dreistöckigen Gebäuden im Berliner Stadtteil Köpenick ein, umgeben von roten Backsteinbauten und sattem Grün, zwischen Müggelsee, Dahme und Spree. Das riesige, rohe Studio ist voll von ausgeklügelten Modellen fliegender Pyramiden, zusammengeflickten Solarballons und einer speziell angefertigten tropischen Umgebung für exotische Spinnen. „In alten Gebäuden gibt es immer ein Spinnennetz in der Ecke“, erzählt Saraceno, während er die Treppen hochgeht.
Tomás Saraceno, Cloud-Specific, 2011. Mixed media. Different dimensions. Installation views at the Mildred Lane Kemper Art Museum, St. Louis 2011. Courtesy: Tomás Saraceno; Tanya Bonakdar Gallery, New York; Andersen’s Contemporary, Copenhagen; and pinksummer contemporary art, Genoa.
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Den ausgebildeten Architekten Saraceno faszinieren Städte und Strukturen ungemein–besonders diejenigen, die über dem Erdboden und durch die Lüfte schweben. In den vergangenen Jahren hat er Netzwerke und Geometrien sozialer, politischer und natürlicher Umgebungen in bewohnbare Räume und poetische Erlebnisse konvertiert. Im New Yorker Metropolitan Museum of Art installierte er beispielsweise die begehbare Cloud City, auf der Kunstbiennale in Venedig 2009 komplexe Galaxien, die sich über Fasern erstreckten, wie Tautröpfchen auf den Fäden von Spinnennetzen. In unserer neuen Dokumentation erkunden wir die fantastische Welt von Saracenos Spinnennetz-Skulpturen, die er als leichter als Luft bezeichnet, und blicken auf futuristische, fliegende Städte.
Tomás Saraceno On the Roof: Cloud City, The Metropolitan Museum of Art, New York, NY, 2012. Courtesy the artist and Tanya Bonakdar Gallery, New York. © Photograpy and Collage by Studio Tomás Saraceno, 2012
Saraceno kann seine Besessenheit von Strukturen in der Luft bis in frühe Kindheitstage zurückverfolgen, als er mit seiner Familie aufgrund der Militärdiktatur seine Heimat Argentinien verlassen musste und nach Italien umsiedelte. Als er zehn Jahre später zurückkam, fühlte er sich dort nicht länger zuhause. „Ich war immer an einem Ort, dem ich mich nicht zugehörig fühlte. Heute reise ich sehr viel. Ich finde es interessant, in Frage zu stellen, wie unsere Nationen, Teilungen und Grenzen, innerhalb derer wir wohnen, auf unserem Planeten geschaffen werden“, so der Künstler gegenüber The Creators Project. „Deshalb versuche ich, diese fliegenden Städte zu bauen.“
Tomas Saraceno, Flying Garden /Air-Port-City, 2005. Installation view: Villa Manin, Center for Contemporary Art, Codroipo, Italy. Photo: Sillani. Elliptical air pillows, elastic rope, helium, air, clouds. Different dimensions. Courtesy the artist and pinksummer contemporary art, Genoa.
Architektur, so glaubt Saraceno, ist mehr als die Kunst und die Wissenschaft, Gebäude zu bauen. Auch jegliche Konstruktion, Gliederung und Komposition, ob nun von Musik, Spinnennetzen oder Computersystemen, gehöre dazu. Gleichzeitig sind aber wissenschaftliche Forschung und Wissen sehr bedeutsam für Saracenos kreativen Prozess. Er arbeitet oft mit Wissenschaftlern zusammen, um seine Arbeiten auf Biologie, Physik, Ingenieurswissenschaften, Flugtechnik, Chemie oder Materialforschung fußen zu lassen.
Tomás Saraceno : In Orbit at Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K21 Ständehaus, Düsseldorf 2013. Photography by Studio Tomás Saraceno ©2013
Im Museo Villa Croce in Genua arbeitete Saraceno mit einem Team aus Biologen, Musikern und Elektroingenieuren zusammen, um die Installation Cosmic Jive: the Spider Sessions zu kreieren. Sie wendete die Struktur von Spinnennetzen auf Sounds und Vibrationen an. Die Installation befand sich in einem pechschwarzen Raum, in dem aus dem linken Lautsprecher der Sound von semisozialen Spinnen auf einzelnen Netzen und aus dem rechten Lautsprecher der Sound von einzelnen Spinnen auf Netzen, die von sozialen Spinnen gebaut wurden, ertönte. Die Sounds, die tatsächlich die Vibrationen der Netze waren, veränderten abhängig vom Standpunkt des Besuchers ihre Intensität und waren mit dem Soundtrack weit entfernter Galaxien, aufgenommen von Weltraumagenturen, verwoben. Saracenos „Arachno-Skulpturen“, kreiert von den vielen Spinnen auf dem Boden seines Berliner Studios, wurden während der Ausstellung besonders in Szene gesetzt.
Tomas Saraceno, Cosmic Jive: the Spider Session at Museo di Villa Croce, Genoa – Italy, 2014. Curators: Luca Cerizza and Ilaria Bonacossa. Courtesy: Tomás Saraceno; Pinksummer contemporary art, Genoa; Tanya Bonakdar Gallery, New York; Andersen’s Contemporary, Copenhagen, Esther Schipper Gallery, Berlin.
Die Arbeit mit Spinnennetzen weckte in Saraceno die Neugier, zu erfahren, wie alle Fäden eines Netzes miteinander verknüpft sind: Sobald man eins zupfte, fing ein anderes an zu vibrieren. Dieses Konzept erforschte der Künstler mit seinem Werk On Space Time Foam, einer begehbaren Konstruktion aus drei Schichten aus transparentem, mit Luft gefülltem Film. Die Installation wurde im postindustriellen Hangar Bicocca in Mailand ausgestellt. Saraceno hatte für das Projekt erforscht, wie Menschen die Schwerkraft wahrnehmen. Außerdem ist es eine brillante Reflexion der M-Theorie über Paralleluniversen und des Konzepts der sozialen Distanz. Während sich die Besucher der Installation zu verschiedenen Bereichen des Raums bewegten, veränderte sich die Oberfläche der Plastikplane und eine Seite sank nach unten, während sich das andere Ende nach oben wölbte. „Die Installation spielt mit dem Konzept der Proxemik, der Distanz, die du zu anderen wahrst und wie nah du sie heranlässt. Wenn du zu nahekommst, bist du in einer Art sozialem schwarzen Loch gefangen, aus dem man nur sehr schwer wieder rauskommt. Man muss sehr, sehr aufmerksam sein.“
Neben seiner Leidenschaft für futuristische Forschung und Sozialwissenschaften ist Saraceno fasziniert von der Wiederentdeckung alter Technologie, allen voran aus der Luftfahrt. Der Solar-Ballon hat es ihm dabei besonders angetan: „Auf der ganzen Welt gibt es nur acht Stück!“. Einen davon hat Saraceno selbst entwickelt. Er hält den Solarballon für eine ernsthafte Alternative im Transportwesen und sogar für eine Basis für neue Lebensräume im Himmel. Sein Studio ist derzeit auf der Suche nach Partnern, um die wiederbelebte Technologie voranzubringen. „Wenn du eine Stadt aus fliegenden Gebäuden baust, muss sie sehr leicht sein. Mit Hilfe des Windes könnte sie vielleicht sogar selbständig fliegen. Eine Drachenstadt“, sinniert der Künstler, während sein Blick weit in die Ferne schweift.
Tomas Saraceno, 59 steps to be on air by sun power, 2003. Black polyethylene 15 microns, tape, sun. 21m height, 14,5m diameter. Photography by Studio Tomás Saraceno.