Es sind nicht mal fünf YouTube-Minuten, die heute die Welt verändert haben könnten. Als chinesische Genetiker 2015 von ersten genmanipulierten Embryonen aus der Petrischale berichteten, warnten Forschende weltweit davor, diese Technologie an Embryonen einzusetzen, die ausgetragen werden: Man bräuchte Umsicht, müsse die Risiken abschätzen können, warnt selbst die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Entdeckerin der Technologie. Es hat wohl keine drei Jahre gedauert, bis trotz dieser Warnungen die Geburt der ersten genmanipulierten Babys Realität geworden ist.
Das zumindest behauptet der chinesische Genforscher Jiankui He in einem am 25. November veröffentlichten YouTube-Video.
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“Zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nala kamen vor einigen Wochen schreiend auf die Welt, so gesund wie alle anderen Babys”, erzählt der Forscher der Southern University of Science and Technology in Shenzhen in einem Video vom 25. November. Doch Lulu und Nala sind besonders: Sie sind die ersten mit der Technologie CRISPR manipulierten Babys – und immun gegen HIV, behauptet der Forscher.
Die Ankündigung der Geburt der Zwillinge kommt nicht einmal 24 Stunden nach der ersten im Forschungsmagazin Technology Review veröffentlichten Meldung, dass chinesische Forscher tatsächlich genmanipulierte Babys zur Welt bringen wollen. Stimmen Hes Behauptungen, markiert die Geburt einen enormen wissenschaftlichen Durchbruch, der mit vielen ethischen Fragen verbunden ist.
Was ihr über CRISPR wissen müsst:
Das Timing des Videos ist auch deshalb bemerkenswert, weil sich in diesen Tagen die weltweite Elite der menschlichen Genomforschung in Hong Kong zu einem wichtigen Kongress versammelt, der nur 24 Stunden nach Hes heutiger Ankündigung starten soll. Aber ausgerechnet die chinesische Akademie der Wissenschaften hat ihre Teilnahme in letzter Minute abgesagt. Dort sollte eigentlich diskutiert werden, unter welchen Umständen und mit welchen ethischen Überlegungen man die Manipulation des menschlichen Genoms erlauben soll. He kommt diesen Überlegungen nun zuvor.
Die Uni des Forschers gibt sich geschockt: “Schwerwiegende Verletzung der akademischen Ethik”
Statt seine Ergebnisse wie üblich in einem wissenschaftlichen Paper zu veröffentlichen, das Kollegen überprüfen können, wandte sich He direkt per YouTube an die Öffentlichkeit – ohne, dass unabhängige Forschende bislang seine Behauptungen verifizieren konnten.
Das Elternpaar, das an dem Versuch teilnahm, wurde aus einer AIDS-Selbsthilfegruppe rekrutiert. He sagt in dem Video, der Eingriff habe dem Vater wieder “Grund zu leben, zu arbeiten, einen Sinn” gegeben. Allerdings gibt es bereits weitaus einfachere und weniger invasive Methoden wie eine antiretrovirale Therapie, um zu verhindern, dass HIV-positive Eltern ihre Kinder infizieren. Der Unterschied: Lulu und Nala sind He zufolge nun für ihr ganzes Leben gegen eine Infektion immun.
Warum die Geburt der beiden Mädchen ein Tabubruch ist
Der Eingriff erfolgte, als die beiden Mädchen noch Einzeller waren. Die Forscher deaktivierten ein Gen namens CCR5. Dieses Gen ist für ein Protein zuständig, das eine Einfalltür bilden kann, durch die HI-Viren in die Zellen eines Menschen eindringen können. Allerdings weiß niemand, wie sich die manipulierten Gene auf die Nachkommen der beiden Kinder auswirken werden.
Solche Keimbahn-Manipulationen sind in Deutschland und vielen anderen Ländern verboten, denn aus der befruchteten Zelle entwickeln sich alle anderen späteren Zellen des Menschen. Die Folgen bei einer Vererbung der manipulierten Merkmale an kommende Generationen lassen sich nicht abschätzen. Jüngste Studien deuten darauf hin, dass die Genschere den Menschen anfälliger für andere Krankheiten machen könnte, auch Mutationen sind nicht ausgeschlossen. Außerdem könnten sich mit CRISPR theoretisch auch andere Merkmale bereits vor der Geburt passgenau manipulieren lassen, wie zum Beispiel ein höherer IQ. Das wirft weitere ethische Fragen zu den Grenzen dieser Technologie auf.
“Wir arbeiten hier am Betriebssystem eines menschlichen Wesens” kommentiert Eric Zopol vom Scripps Research Institute in Kalifornien gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Wie viele andere Wissenschaftler verurteilt er das kontroverse Experiment.
Bisherige Experimente am Erbgut mit CRISPR konnten Embryonen in der Petrischale zwar erfolgreich von einer Erbanlage für eine Herzmuskelschwäche befreien. Diese Embryonen wurden aber nie in eine Gebärmutter eingepflanzt. Erst seit Kurzem wird CRISPR auch im lebenden Menschen eingesetzt, um Krankheiten zu bekämpfen. Doch bei der Anwendung der Genschere bei erwachsenen Menschen übertragen sich die Veränderungen nicht auf kommende Generationen, sondern beschränken sich auf den jeweiligen Körper des Patienten.
He betont in dem YouTube-Video, dass das Verfahren nur therapeutischen Zwecken dienen sollte. “Wir hoffen, dass sie Gnade für die beiden haben”, sagt He in seinem Video. “Ich verstehe, dass meine Arbeit kontrovers ist, doch ich glaube, dass Familien diese Technologie brauchen”, sagt He. “Ich bin bereit, die Kritik dafür auf mich zu nehmen.”
“Unethisch”, “Menschenversuch”: So reagieren andere Forschende
Mittlerweile hat sich sogar Hes Universität von dem Forscher und seinem Projekt in scharfen Worten distanziert. Man sei “geschockt” über die Ankündigung, He befinde sich seit Februar im unbezahlten Urlaub und man halte das außerhalb der Universität durchgeführte Experiment ebenfalls für “unethisch” und für eine “schwerwiegende Verletzung der akademischen Ethik”, schreibt die Southern University of Science and Technology in Shenzhen in einem Statement auf ihrer Website.
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Wissenschaftler haben die Nachricht von den genmanipulierten Babys aus China überwiegend mit Ablehnung, Sorge und Skepsis kommentiert. “Wir müssen noch viel Arbeit leisten, um sicherstellen zu können, dass das Prozedere wirklich sicher ist”, sagte der nicht an den Forschungen beteiligte Professor für Genetik, Kiran Musunuru von der University of Pennsylvania, gegenüber der Associated Press. Er bezeichnet die Versuche von He als “unethisch” und als einen “moralisch nicht zu rechtfertigenden Menschenversuch”.
George Church, Genforscher an der Harvard University, sieht das dagegen als einer der wenigen Forschenden, die sich bisher zu Wort gemeldet haben, etwas anders: Das Experiment sei “zu rechtfertigen”, weil sich der Eingriff auf die Bekämpfung von HIV beziehe, sagte er der AP.
Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die gerade nach Hong Kong zum Kongress über Genforschung fahren, dürfte eines klar sein: Nach diesem YouTube-Video haben sie einen dringenden Grund mehr, über die Grenzen der Gentechnologie zu diskutieren.
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