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Erstes deutsches Swatting: Hohe Freiheitsstrafe für Drachenlord-Hater

Am 16. Juli 2015 rast eine Staffel der Feuerwehr Markt Emskirchen vor Rainer Winklers Haus in einem kleinen Dorf in Mittelfranken. Sie hat einen Notruf bekommen und ist bereit das Haus zu stürmen, um einen Brand zu löschen. Doch der Notruf war Fake. Er kam von Alexander S., der Winkler seit längerer Zeit belästigt und auf seinen Namen Betrugskäufe tätigt. Winkler ist YouTuber, als Drachenlord zieht er eine wilde Mischung aus ironischem Fantum und Hass an. Als die Feuerwehr ankommt, ist er gerade mitten in einem Livestream. Seine wütende Reaktion wird live an seine Peiniger übertragen. Winkler wird Opfer eines „Swattings”, es ist der erste bekannte Fall in Deutschland—umso spannender die Frage, wie genau die Justiz mit den überführten Drachenlord-Hatern umgehen würde.

Am 14 Dezember 2016 ist nun das Urteil im ersten deutschen Swatting-Fall im Oberlandesgericht Nürnberg gefallen: Trotz seines Geständnisses muss der 24-jährige Alexander S. insgesamt für drei Jahre und fünf Monate ins Gefängnis. Verurteilt wurde er jedoch nicht nur für den „Missbrauch von Notrufen”, wie das Swatting im Prozess bezeichnet wird, sondern auch für andere Straftaten, wie etwa Bedrohung oder Störung des öffentlichen Friedens.

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Überraschend ist: Es geht nicht nur um einen Swatting-Fall, sondern gleich um vier. Nur einer von mehreren Anrufen führte auch zu einem Einsatz und wurde dementsprechend zum Teil der Berichterstattung. Insgesamt ein Jahr und fünf Monate Freiheitsstrafe hat allein das Swatting für Alexander S. zur Folge: Sechs Monate gab es für den Anruf vom 16. Juli, zwei Mal zwei und ein Mal fünf Monate für die restlichen drei Anrufe.

“Das ist sicherlich keine Bagatelle!”

Das Strafmaß für die vier Anrufe sei aber relativ hoch angesetzt, so Friedrich Weitner, Leiter der Justizpressestelle des des OLG Nürnberg gegenüber Motherboard. „Das ist sicherlich keine Bagatelle”, so Weitner zu Motherboard, denn aufgrund von falschen Notrufen könnten die herbeigerufenen Kräfte andere Einsätze verpassen oder Opfer des Swattings verletzen. Dann könnte das Strafmaß sogar noch höher ausfallen.

Es ist eine lange Liste an Vorwürfen, wegen denen Alexander S. vor Gericht stand. Bild: Screenshot Justiz Bayern

Ermittelt hat im Fall Alexander S. die Cybercrime-Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg. Wie genau ermittelt wurde, teilte uns die Behörde nicht mit, „da dies andere Ermittlungsverfahren gefährden würde”, so ein Sprecher. Ein möglicher Faktor sei allerdings laut Friedrich Weitner vom OLG Nürnberg, dass Alexander S. online mit der Tat geprahlt habe und wohl auch Screenshots gemacht hätte. Wovon genau, das konnte man uns leider nicht sagen.

Das erste Swatting im öffentlichen Raum trifft einen Pokémon Go-Spieler

Swatting ist bislang vor allem in den USA ein bekanntes Phänomen. Falsche Notrufe, in denen die Täter Geiselnahmen oder Mordfälle erdichten, lassen SWAT-Teams, also schwer bewaffnete Einsatzkräfte ausrücken, um Häuser und Wohnungen zu stürmen. Zu den Opfern gehören häufig Stars wie Miley Cyrus, Justin Bieber oder Clint Eastwood, die alle 2013 SWAT-Besuch bekamen. Falsche Notrufe sind nicht neu, modernes Swatting unterscheidet sich aber davon: Die Opfer sind aktuell vor allem YouTuber oder Twitch-Streamer. Das hat zwei Gründe: Ihre Adressen lassen bei der Polizei weniger Fake-Alarme klingeln als Clint Eastwoods Anwesen und: Ihre Reaktion, ihr Schock, ihre Verletzungen oder im schlimmsten Fall sogar ihr Tod durch die Einsatzkräfte, können und sollen live per Stream mitverfolgt werden. Und so gibt es eine lange Liste an Opfern an YouTubern und Twitch-Streamern, die bereits Besuch von Lösch- und Rettungskräften bekommen haben.

Darauf, dass es jetzt auch in Deutschland vermehrt zu Swattings kommt, deutet nichts hin. Andere Fälle sind nicht bekannt. Allerdings gibt es jetzt mit der ersten Drachenlord-Verurteilung einen Präzedenzfall, der den Umgang der deutschen Justiz mit Swatting zeigt—selbst wenn es in diesem Fall „nur” um die Feuerwehr ging, nicht um bewaffnete Spezialeinsatzkräfte, und auch niemand ernsthaft zu Schaden kam.

Korrektur, 13:51, 15.01.2018: Die Ortsangabe des Swattings von Rainer Winkler wurde angepasst, um weniger Rückschlüsse auf Winklers tatsächlichen Wohnort zu geben.