Es kommt nicht oft vor, dass einem ein Gefangener detailliert aus seinem Alltag im Knast berichtet. In der JVA Neuruppin-Wulkow sitzen rund 300 männliche Gefangene ein – sie sind in Untersuchungshaft oder wurden für bis zu drei Jahre verurteilt. Sie wohnen in zehn Quadratmeter großen Einzelzellen. Jetzt sind sie die ersten Gefangenen, die per eigenem Podcast aus ihrem Leben berichten.
Das Thema der ersten Folge des Podcasts ist: “Beziehungen“. Die Insassen Alex und Sven sprechen über das – naturgemäß – schwierige Verhältnis von Wärtern und Insassen: Es gäbe zwei Arten, eine Zelle zu durchsuchen, erzählen sie. Eine, bei der die Wärter so gut wie nichts anfassen, damit es dem Gefangenen nicht auffällt. Bei der anderen stellen sie die ganze Zelle auf den Kopf. Sven sagt, dass ein Wärter seine Zelle drei Mal an vier Tagen durchsucht hat: “Womit ich wirklich meine, dass alles rundrum umhergeflogen ist, dass Sachen auf dem Boden lagen. Da wurde einfach der Kaffee offen stehen gelassen.” Trockener Kaffee, macht Sven klar, sei im Knast keine Kleinigkeit, Kaffee sei ein “teures Gut”.
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Sven erzählt, dass er und der Wärter in einen Streit geraten sind, als der Wärter gedroht habe, er werde ihn noch “drankriegen”. Andere Bedienstete mussten schlichten.
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Als Sven die Anekdote zu Ende erzählt hat, antwortet Alex im Podcast: “Kommt in der besten Beziehung ja mal vor, dass man sich streitet und Luft macht”.
Sven: “Aber dann kommt ja der Versöhnungsex, das ist ja wieder eine andere Sache.”
“Ruppich” seien Beziehungen im Knast eben – und so heißt dann auch der ganze Podcast (aus “Neurrupin” und “Ich” zusammengesetzt). Seit Oktober läuft in Neuruppin-Wulkow, rund 75 Kilometer nordwestlich von Berlin, das außergewöhnliche Projekt. Die Medien- und Theaterpädagogin Kirsten Mohri und der Filmemacher Daniel Abma vom Berliner Medienbildungs-Verein Metaversa sitzen mit den Gefangenen drei Stunden in der Woche zusammen, um sich zu besprechen und die Folgen aufzuzeichnen. Wie viele Folgen es geben wird, ist noch nicht klar.
Die Insassen sprechen nicht nur über ihr Verhältnis zu den Wärtern und ob sie ihnen die Hand geben würden (einigen wenigen schon, aber nie vor den Augen der anderen Gefangenen, denn es will ja niemand als “Anscheißer” bezeichnet werden. Außerdem drohe den Wärtern dafür sogar ein Disziplinarverfahren bis zur Kündigung). Sie sprechen über ihre Kinder: Ein Gefangener erzählt seinen Kindern, die zwei und sechs Jahre alt sind, dass er seit eineinhalb Jahren im Krankenhaus mit einer ansteckenden Krankheit auf der Intensivstation liegt. Und sie reden über die Liebe und Hochzeiten im Gefängnis (Hochzeitsbuffet: Automatenkaffee und Automatenkuchen).
Die “Knastis”, wie sie sich selber nennen, bemängeln vor allem, dass die Wärter nicht genügend Einfühlungsvermögen hätten. Sie seien nie auf der anderen Seite gewesen – woher sollen sie wissen, dass selbst lautes Türenknallen oder das extra laute Drehen des Schlüssels schon als respektlos empfunden werden? Natürlich ist der Blick der Gefangenen nicht ungefiltert. Mancher muss beim Reden aufpassen, dass er sich nicht selbst belastet, weil er in Untersuchungshaft ist – und so spricht er von seinen mutmaßlichen Taten nie, ohne davor “angeblich” zu sagen oder den Konjunktiv zu benutzen. Am Ende der Sendung rappt noch ein Gefangener. Er wird dabei auf der Gitarre begleitet, das sei für ihn schwierig, sagt er: “Rappen ohne Beat ist wie Sex zu haben, ohne zu stöhnen.” Das Ende seines Stückes fasst den Podcast zusammen: “Der Knast ist und bleibt ein dreckiger Ort für eine Beziehung.”
Hier kannst du dir selbst den Podcast anhören: