„Es ist, als wärst du durch ein schwarzes Loch gegangen“: Fünf Künstler über den Einfluss von David Lynchs Musik

Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP Canada erschienen

Im 2007 erschienen Twin Peaks-DVD-Boxset gibt es ein kurzes Feature mit Angelo Badalamenti über die Entstehung der Musik zu David Lynchs beliebter 90er-Kultserie. An einem Fender Rhodes sitzend, erklärt der Komponist, der für viele Soundtracks zu Lynchs Filmen verantwortlich ist, den Entstehungsprozess des unvergesslichen und mitreißenden klanglichen Herzstücks „Laura Palmer’s Theme” und was die aufgeregte Reaktion des Regisseurs war, als er es zum ersten Mal hörte.

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Dieser Dialog ist auch am Anfang des beinahe zweistündigen Essential Mix des chilenisch-amerikanischen Komponisten und Musiker Nicolas Jaar für BBC Radio 1 aus dem Jahr 2012 zu hören. Das war allerdings nicht das erste Mal, dass Künstler aus verschiedenen Genres sich von Lynch und Badalementi inspirieren ließen. Von DJ Shadow, der auf seinem kühnen 1996er Debüt Endtroducing… die ominöse Erklärung des Riesen sampelt, bis zum australischen Produzenten Ben Frost, der einen Song von 2009 nach einer der berüchtigtsten Figuren des Regisseurs benannt hat, die Referenzen reichen vom Subtilen bis zum sehr Offensichtlichen. Es ist also kein Wunder, dass der Begriff „Lynchian” 2014 vom NME als „eine Art Codewort für jede Band, die sphärischen Gesang und strukturierte, unheilvolle Synthesizer verwendet” bezeichnet wurde.

Im vergangenen September feierte Lynchs Neo-Noir-Mysterium Blue Velvet sein 30-jähriges Jubiläum, Twin Peaks kehrt 2017 zurück und Künstler wie Trent Reznor, Sky Ferreira und Ruth Radelet von Chromatics werden Teil der Serie sein—in welchem Ausmaß auch immer. Es ist also der perfekte Zeitpunkt, um sich die Musik von Lynchs Fernsehserien und Filmen näher anzusehen. Ob Techno-Veteran Moby oder der selbsternannte „nerdy Superfan” Jamie Stewart von der amerikanischen Experimental-Größe Xiu Xiu, wir haben mit fünf Künstlern darüber gesprochen, wie Lynchs Arbeiten ihre Karrieren als Musiker beeinflusst haben.

Jamie Stewart (Xiu Xiu, HEXA)

„Als ich sehr jung war, lief die Serie [Twin Peaks] im Fernsehen und ich erinnere mich daran, dass ich sie nicht wirklich verstand und ein wenig verängstigt war. Später nahm ich meinen kleinen Bruder mit in Fire Walk With Me, derim Kino in unserer Straße lief, und wir wussten nicht, was es war. Ich muss ungefähr 14 gewesen sein und mein Bruder 8. Ich habe keine Ahnung, warum sie zwei recht kleine Kinder in einen der gruseligsten Filme aller Zeiten ließen, aber wir haben ihn durchgestanden und waren vollkommen verängstigt. Als ich etwas älter war, zeigte mir jemand Wild at Heart, und zu dieser Zeit war ich dann in der Lage, es auf konstruktive Weise zu verarbeiten.

Wenn Xiu Xiu ihre fünf Haupteinflüsse aufzählen müssten, dann wäre einer davon David Lynch bzw. Twin Peaks. Wir haben nur Songs gecovert, die einen wirklich tiefgreifenden Effekt auf uns als Musikfans und Musiker hatten. Keiner von uns hat gesagt: ‘Oh, ich bekomme das besser hin als Nina Simone …oder David Lynch oder Angelo Badalamenti. Es sind in erster Linie einige der beliebtesten Stücke populärer moderner Musik; du kannst die ersten zwei Noten der Titelmusik singen und die Leute wissen sofort, was es ist. Wir wollten, dass unsere Cover reflektieren, wie die Musik uns als Musiker beeinflusst hat. Ich denke, es wäre das Gegenteil von Verehrung gewesen, es einfach zu kopieren und diese tollen Songs auszunutzen, ohne etwas zurückzugeben.

Es ist in etwa so, als würdest du fragen, warum Leute Hendrix mögen oder warum Leute die Rolling Stones mögen oder warum Leute Joy Division mögen. Im Grunde ist es extrem sorgfältig und unglaublich gut gemacht. Ich denke, was an der Musik aus der Serie und den Filmen so einen bleibenden Eindruck hinterlässt, ist, dass es eine makellose Kombination daraus ist, manchmal sehr, sehr beängstigend zu sein und manchmal sehr, sehr witzig sowie unglaublich einfach, unglaublich romantisch, aber auch unprätentiös. Mir fällt keine andere Musik ein, die all diese Dinge gleichzeitig so erfolgreich vereint.”

Jon Hopkins

„Auf meinem zweiten Album Contact Note [von 2004]—das ich 2002 und 2003 geschrieben habe—gibt es in den letzten drei Songs einige sehr düstere und Lynch-mäßige Passagen. Ich denke, dadurch habe ich die Inspiration, die ich von ihm habe, kanalisiert. Ich weiß nicht, ob es jemandem aufgefallen ist, aber das Ende des Tracks „Nightjar” hat eine träumerische Qualität, die sich für mich wie eine direkte Hommage anfühlte. Meine Musik hatte schon immer ein filmisches Element und David Lynch ist mein Lieblingsregisseur, also wird es immer Elemente geben, die durchscheinen. Er ist dafür bekannt, sehr eng mit Badalamenti zusammenzuarbeiten und ich mag die Vorstellung, dass ein Regisseur eine lebenslange Beziehung mit einem Komponisten hat. Früher habe ich gehofft, so etwas auch zu finden.”

Lawrence English (Room40, HEXA)

„Jamie [Stewart] und ich trafen uns in den späten 2000ern und arbeiteten recht spärlich an einer Kollaboration namens HEXA. Doch dann ermöglichte sich die Sache mit der Lynch-Ausstellung [die beiden wurden Anfang des Jahres mit einem Soundtrack für eine Retrospektive mit den Factory Photographs des Regisseurs in der Gallery of Modern Art in Brisbane beauftragt], wodurch wir uns wirklich darauf konzentrieren konnten. Ich mag Projekte sehr, bei denen es einen sehr engen Rahmen oder Grenzen gibt, in denen du arbeiten musst. Im Prinzip haben wir einiges an Material geschrieben und Dateien über Dropbox ausgetauscht. Jamie reiste dann recht früh an und wir hatten ein paar Tage, um zu proben und das Stück zu entwickeln. Ich denke, während der Performance ist eine Menge neuer Ideen entstanden, da es improvisiert ist, und ich stelle mir vor, dass die Stücke, die wir nächstes Jahr präsentieren, wahrscheinlich eine andere Dimension haben.

Mit 15 habe ich mich intensiv mit Filmen auseinandergesetzt, insbesondere mit Sachen wie Blaxploitation, No Wave, Cinema of Transgression. Natürlich war auch Lynch ein großer Teil davon, besonders Eraserhead. Als ich ihn sah, wurde mir zum ersten Mal in gewisser Weise klar, welche Rolle Klang in einem Film spielt. Im Video von Angelo, in dem er über die Struktur von Twin Peaks spricht, sieht man, wie unerwartet und tiefgreifend der Wechsel in diesem Song ist, und ich denke, das ist das, was viele Leute in Bezug auf technische Fähigkeiten anstreben. Diese Momente, in denen du dir denkst: ‚Wow, wie bin ich von da nach hier gekommen’. Es ist, als wärst du durch ein Portal oder schwarzes Loch gegangen und auf der anderen Seite wieder rausgekommen. Als hättest du diese Dinge irgendwie zusammengebracht, die unter anderen Umständen irgendwie unvereinbar gewirkt hätten.

In Lynchs Filmen—und vermutlich auch bei anderen Filmemachern—gibt es eine mehrstufige Herangehensweise an Klang und Musik, bei der die Grenzen zwischen diesen Dingen nicht eindeutig und nur umrissen sind. Du bist dir manchmal nicht wirklich sicher, wo das Sounddesign aufhört und wo die Musik anfängt. Die Musik bewegt sich auf eine bestimmte Weise mit der Erzählung und die Stücke werden in den Filmen beinahe so etwas wie Stimmen der Schauspieler. Es dreht sich sehr stark um diese akustische Art der Sprache, die er entwickelt hat und die anders ist, als die von anderen Filmemachern—er hat kein Interesse an Soundeffekten, ich würde sagen, er interessiert sich für Soundemotionen.”

Moby

„Ich schätze, es war 1990 und ich hatte diesen sehr obskuren Minimal-Techno-Track namens „Go” geschrieben. Ein britisches Plattenlabel wollte ihn veröffentlichen und sie brauchten einen Remix, also fügte ich ein paar Drums hinzu, aber es fühlte sich immer noch zu karg an. Ich war von Twin Peaks besessen und als ich an dem Remix arbeitete, machte ich eine Pause, um eine Folge zu schauen, und hörte „Laura Palmer’s Theme”. Ich schaltete den Videorecorder aus, ging zu meinem Studio-Setup und spielte drauf los, da die Streicher sehr, sehr einfach waren. Also spielte ich es auf einem alten Yamaha-Synthesizer und das war der Kleber, der den Remix zusammenhielt. Es war meine zweite Veröffentlichung und „Go” wurde zu einer Top-Ten-Platte in ganz Europa. Ich wusste nicht, dass sich jemand, abgesehen von meinen Freunden, das jemals anhören würde.

Ich sehe David Lynch als einen sehr zweckmäßigen Filmemacher. Damit meine ich, dass er jedes Element, das er nutzen kann, um sein Publikum zu berühren, nutzt. Ich denke nicht, dass er ein akademischer Filmemacher ist, ich denke auch nicht, dass er per se ein esoterischer Filmemacher ist. Ich denke, er versucht wirklich etwas zu erschaffen, das für ihn und für die Leute, die ihm Beachtung schenken, eine Wirkung hat. Musik mit dem Film zu verschmelzen, ist eindeutig ein Weg das zu erreichen und mehr emotionale Effekte zu erzielen, ob es nun Inland Empire oder Blue Velvet oder Twin Peaks ist.

Die Leute wenden sich aus vielen Gründen der Kunst zu, aber letztendlich reagieren die Leute meistens auf emotionale Art auf Kunst. Und das ist auch das, was David Lynch gemacht hat; er hat diese sehr persönlichen, sehr subjektiven Momente eingefangen und sie auf die Welt losgelassen und sie haben Leute emotional beeinflusst. Wenn du Kunst machst und sie die Leute emotional nicht erreicht, dann wird sie nicht lange überdauern.”

Zola Jesus

„Ich war 13 und bekam ein koreanisches Bootleg von Eraserhead in die Finger. Das war das erste Mal, dass ich etwas von Lynch sah. Als ich ihn das erste Mal schaute, wusste ich nicht, was ich davon halten sollte; es fühlte sich so weit weg von allem an, das ich kannte. Es hat mich irgendwie verängstigt. Letztendlich überkam mich eine Faszination und die Neugier an seiner Welt und ich konnte nicht aufhören, es zu schauen. Ich wollte mehr.

Ich denke, seine musikalische Auswahl ist so spezifisch und ruft so eine starke Assoziation hervor, dass es einfach ist, in seinen Bann gezogen werden. Seine Musik ist genau wie seine Arbeit insgesamt eine verdrehte Version der Realität, die auf einer sehr persönlichen Form von Erinnerung und Nostalgie basiert. Es fühlt sich seltsam vertraut und unschuldig an, aber es hat auch immer etwas sehr Heimtückisches. Gleichzeitig ist es sehr weitsichtig und auf schräge Weise unheilvoll.

Die Musik ist bei seinen Arbeiten genauso wichtig wie die Bilder. Sie arbeitet mit dem Visuellen zusammen, um eine sehr einzigartige Atmosphäre zu erschaffen, die wirklich außergewöhnlich ist. Das extrem atmosphärische Aufbauen von Welten hat mich angezogen und in meiner eigenen Musik habe ich versucht, einen ähnlichen Sinn für verschobene Realitäten zu erschaffen.”

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