In der Dokumentation Edge aus dem Jahr 2009 über die Straight Edge-Kultur erzählt Ian MacKaye, der Gründer ikonischen Post-Hardcore-Bands Fugazi und Minor Threat, eine Geschichte. Als er auf einem Konzert war und einen Eistee trank, kam ein junger Typ auf ihn zu und informierten ihn darüber, dass sein Freund sagt, Koffein sei ein Droge.
MacKaye antwortete darauf „Oh. Dann sag deinem Freund, ‚Fick dich’.”
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Als ich diese Szene den Besitzern der Heartwork Coffee Bar in San Diego wiedergebe, brechen sie in Gelächter aus und spielen sie Satz für Satz aus dem Gedächtnis nach. Sie ist zu einem Moment in der obskuren Popkultur geworden, der bei den Kaffee verehrenden Straight Edge-Kids Widerhall findet. Diese Liebe basiert auf deren Glauben an die „Edge-Philosophie”, die besagt, dass Stärke, Ehre, Würde, Stolz und Selbstrespekt durch den Verzicht auf geistes- und körperverändernde Substanzen (also Alkohol, Drogen, Zigaretten) und häufigen, emotionslosen Sex aufrechterhalten werden.
„Ich meine, die Leute essen Chiasamen, weil sie viel Einweiß enthalten und ihnen Energie geben. Heißt das, Chiasamen sind eine Droge? Das ist lächerlich”, sagt Rob Moran, der gemeinsam mit seiner Verlobten Kim, seinem Bruder Ati, seiner Schwägerin Valeria und seinem guten Freund Sam Stothers sowie dessen Verlobten Chrissy ein Café eröffnet hat. Es ist ein Familienbetrieb, hinter dem drei fleißige Straight Edger und ihre gleichsam unermüdlichen Nicht-Straight-Edge-Partner stehen.
Nein, sagen sie, Kaffee sei keine Droge. Wie Chrissy es ausdrückt: „Von Kaffee bekommt du keine Entzugserscheinungen und hörst auch nicht plötzlich auf, deine Kinder zu besuchen.” Koffein ist für viele Straight Edge-Musiker, die jahrelang mit ihren Hardcore-Bands auf Tour waren und ihre Zeit lieber in gemütlichen Cafés als lauten Bars verbracht haben, der Lebenssaft. Obwohl sich zumindest zwei der Jungs bereits in einem vorherigen Leben in der Hardcore-Szene einen Namen gemacht haben, träumten sie schon lange davon, ihren eigenen Laden zu eröffnen. Mit Heartwork haben sie sich diesen Traum erfüllt.
Rob war ein Gründungsmitglied der extrem einflussreichen Post-Hardcore-Band Unbroken sowie von Over My Dead Body, Some Girls und zahlreichen anderen. Sam spielte mehrere Jahre in Bands wie Multiple Stab Wounds, Makeout Boys und gemeinsam mit Rob in Narrows. Jeder, der sich schon einmal mit einem Edding ein großes X auf den Handrücken gemalt hat, kennt sie wahrscheinlich.
„Wenn man Rob fragte, was er mit einem Lottogewinn machen würde, sagte er immer ‚Ein Café eröffnen’. Das ist sein Traum”, sagte Kim.
Rob und Sam haben schon seit Jahren davon gesprochen. Sie wollten den gleichen, guten Kaffee, den sie aus Seattle kennen, in ihre eigene Heimatstadt bringen. Das haben sie jetzt geschafft, ohne dabei ihre musikalischen Wurzeln zu vergessen. Auf einem Regal an der Wand stehen Fotos und Platten von Künstlern wie Morrissey, Minor Threat und Suede und das Soundsystem sorgt mit allem von Vintage Rocksteady bis zu Northern Soul für die richtige Stimmung. Kürzlich besuchte sie Boz Boorer, Texter und Gitarrist für Morrissey, als Gast-Barista, was ihrer Glaubwürdigkeit unter den Kaffeeliebhabern mit Rockabilly-Pomaden-Tolle sicherlich nicht geschadet hat.
San Diego tut sein Bestes, neben all den anderen Städten an der amerikanischen Westküste nicht nur für sein Craft Beer, seinen ewigen Sonnenschein und seine Liebe zu Jason Mraz, sondern auch für seinen guten Kaffee bekannt zu werden. Normalerweise hinkt San Diego den größeren Städten immer hinterher, aber weil sich das Team so leidenschaftlich gutem Kaffee verschrieben hat, ist Heartwork trotzdem erfolgreich.
Jede Bohne, die sie für ihre Espressos verwenden, stammt von der kleinen, regionalen, unabhängigen Rösterei James Coffee Co., während sie die Bohnen für ihre Standard-Filterkaffee und den handgefilterten von Dark Horse Coffee, einer weiteren Rösterei aus San Diego, beziehen.
Unabhängige regionale Bäcker wie Papa G’s Vegan Donuts beliefern das Café täglich mit hausgemachtem Gebäck. Früher oder später wollen die Besitzer des Heartwork ihre Karte erweitern oder selbst anfangen zu backen, da Chrissy gelernte Bäckerin ist. Den Vanillesirup für ihre Tees und ihre Kaffee-Specials stellen sie bereits selbst her und die Hocker und Stühle im Laden wurden von Omar Quintero, einem Designer aus der Region, gefertigt.
90 Prozent aller Dinge, die man im Heartwork sieht oder probiert, kommen aus San Diego. Wer dem Laden einen Besuch abstattet, bekommt also nicht nur leckeren Kaffee, sondern erlebt auch ein Stück Kultur der Stadt.
Bevor Heartwork ins Leben gerufen wurden, hatte keiner der Betreiber je als Barista gearbeitet oder sein eigenes Unternehmen geleitet. Sie leben einfach nur für guten Kaffee, was nach einer all zu starken Vereinfachung klingt, aber braucht man wirklich einen besseren Grund, um ein Café zu eröffnen?
Weil keiner von ihnen Erfahrung mit Kaffee hatte, verbrachten sie mehrere Monate vor der Eröffnung damit, mit der Hilfe von Baristas von James Coffee Co. und Dark Horse Coffee zu lernen, wie man die perfekte Tasse Kaffee zubereitet.
Budget gab es am Anfang keines. Sie kratzen ihre letzten Cent zusammen und beschlossen, keine Investoren zu suchen und auch keinen Kredit aufzunehmen. Einige von ihnen haben ihre Jobs gekündigt, andere mehrere Teilzeitjobs angenommen oder teure Platten verkauft, um Geld reinzubekommen. Aufgrund ihrer Vergangenheit in der Hardcore-Szene entschieden sie sich für einen DIY-Ansatz und steckten unzählige Arbeitsstunden hinein, um den Laden komplett selbst zu bauen.
„Es war einfach nicht drin, jemanden für Arbeiten anzustellen, die wir selbst nicht erledigen konnten”, sagte Sam, der früher einmal als Handwerker arbeitete. „Dafür hatten wir einfach kein Geld, also mussten wir einfach alles selbst machen. Die Jungs sind mit mir durch die Hölle gegangen.”
Obwohl sie bis zum Tag der Eröffnung von vielen Seiten Hilfe bekamen, war der ein Jahr lange Prozess anstrengend und man spürt ihre Erschöpfung.
„Der Name sagt alles. Es ist unser Baby. Nicht nur unseres, auch das unseres Freundeskreis, auf den wir uns verlassen können”, sagt Ati, dessen Frau Valeria die Idee für den Namen hatte. „Wir haben viel Herzblut in dieses Projekt gesteckt. Ich finde, der Namen steht für alles, was der Laden verkörpert, für die Community und für uns selbst.”
„Und das gleichnamige Album von Carcass ist super”, fügt Rob hinzu.
All die Jahre auf Tour und die unzähligen Cafés, die sie auf der ganzen Welt besuchten, lieferten ihnen die nötige Inspiration für ihren eigenen Laden.
Das hat vielleicht auch ihre besondere Einstellung zum Thema Kundenservice beeinflusst. Die Crew legt viel Wert darauf, sich nicht wie Arschlöcher zu verhalten, weil es ihnen wichtig ist, dass sich die Leute in ihrem Café wohlfühlen. In anderen Cafés in jeder beliebigen Stadt ist das definitiv keine Selbstverständlichkeit.
„Im großen Ganzen betrachtet ist es einfach nur Kaffee. Ich bin einfach nur ein Barista. Es ist kein Heilmittel gegen Krebs oder so”, sagt Rob. „Klar, im Laden bin ich vielleicht etwas Besonders, aber draußen interessiert sich keiner für mich. Man muss sich selbst fragen: Wie trage ich zur Gemeinschaft bei?”
Dieser Fokus auf die Gemeinschaft und auf die Freundlichkeit gibt dem Team die nötige Motivation, den ganzen Tag eine scheinbar endlose Schlange von Leuten zu bedienen. Für Rob fühlt sich die Arbeit im Heartwork an, als würde er wieder Musik machen. Anstatt der Menge zuzusehen, wie sie zuhört und zu ihren Songs mitschreit, sieht er den Leuten jetzt dabei zu, wie sie seinen Kaffee trinken.
„Für mich ist es das gleiche Gefühl, wie auf der Bühne zu stehen. Das ist das Einzige, mit dem ich es vergleichen kann”, erzählt Rob. „Jedes Mal, wenn ein Kunde zufrieden ist, denk ich mir: ‚Das war eine tolle Show’.’”