Als House-Veteran Étienne de Crécy in seiner Pariser Wohnung das Telefon abnimmt, kann ich nicht anders. Ich muss ihm fanboylike ein ehrfürchtiges Dankeschön für seine Pionierarbeit als Producer in den Hörer stottern. Zusammen mit Philippe Zdar als Motorbass und als Initiator der Super Discount 10″ Single-Serie gehörte er in den 90ern zu der Speerspitze des French House.
Nach meinem Lob … Stille. Hatte ich ihn beleidigt, weil ich ihm für Musik dankte, die beinahe 20 Jahre auf dem Buckel hat-und nicht für etwas, das zumindest aus diesem Jahrtausend stammt? Dann sagt de Crécy plötzlich trocken mit seinem starken französischen Akzent, „Du bist also auch nicht mehr der Jüngste.” Wieder Stille-dann, endlich, schallendes Gelächter.
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De Crécy scheint gut drauf zu sein-und warum auch nicht? Er hat gerade Super Discount 3 veröffentlicht-zehn Tracks mit Beiträgen von Pos und Dave von De La Soul, Kilo Kish, Tom Burke von Citizens!, Langzeitkollaborateur Alex Gopher und vielen anderen großen Namen. Ebenfalls auf der Platte enthalten sind die zuvor schon veröffentlichten Singles „Night (Cut The Crap)”, You” und „Hashtag My Ass”. Anlässlich der Veröffentlichung wird er nun auch noch eine Reihe von DJ-Sets in den USA spielen. Nachdem er mehrere Jahre mit seinem komplexen „Cube”-Setup getourt ist, „ist es schon etwas erleichternd”, sich wieder auf das Wesentliche zu beschränken, so de Crécy.
Über zwei Jahrzehnte dauert die außerordentliche Karriere von Etienne de Crécy jetzt schon an. Zusammen mit Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter von Daft Punk, Hubert „Boom Bass” Blanc-Francard, seinem Motorbass-Partner Philippe Zdar, besagtem Gopher und ihren ganzen Studiokumpels war er Vorreiter der French Touch-Szene in den 90ern. Bis heute ist de Crécy einer der kreativsten und herausragendsten House-Producer überhaupt. Du brauchst dir nur den Motorbass-Track „Ezio” von 1996 oder „Liquidation Totale” aus dem gleichen Jahr anzuhören. Es gab damals einfach nichts auch nur annähernd Vergleichbares, und selbst heute klingen diese Tracks wie von einem anderen Stern.
„Das liegt daran, dass wir unglaublich viel gekifft haben!”, kichert de Crécy. „Wir waren wirklich auf anderen Bewusstseinsebenen, als wir diese Musik gemacht haben. Und wir haben diese Tracks wirklich sehr schnell produziert. Wir waren jung und haben nicht viel nachgedacht und konnten die Musik so schnell fertig machen. Außerdem war diese Musik an sich noch ziemlich neu-das machte es für uns auch einfach, neu zu klingen.” De Crécy ist noch immer von seiner schnellen, mach-dir-nicht-zu-viele-Gedanken-Methode überzeugt. „Ich finde, dass das gerade bei elektronischer Musik wichtig ist. Es ist wichtig, schnell zu sein. Es ist Musik, die schnell verbraucht wird, verstehst du? Einen Track kannst du sechs Monate lang in Clubs spielen, wenn alles gut geht-aber dann, nach diesen sechs Monaten wird kein DJ mehr deinen Track spielen. Wenn du dann ein Jahr lang an einem Track rumschraubst, der nur sechs Monate gespielt wird, dann ist das nicht gut.” Natürlich ignoriert er dabei die Tatsache, dass viele seiner Tracks aus den 90ern noch immer für Verzückung auf dem Floor sorgen, wenn DJs sie mitten in ihren Sets raushauen. „Das stimmt, aber das war wirklich nicht meine Intention. Das tut mir wirklich leid!”
Natürlich hat sich der de Crécy-Sound seit Motorbass und dem ersten Super Discount enorm weiterentwickelt. Das Exzentrische seines Sounds wurde etwas ausgebügelt und auch wenn seine Musik noch ihre Eigenarten hat, scheint sie doch etwas massentauglicher geworden zu sein. Es gibt synthetischen Funk („Family”), glitzernden Synthpop („Smile”) und schwelenden Elektro („Hashtag My Ass”)-wie aber auch schon bei dem amtlichen Super Discount 2 von 2004 sind die allzu offensichtlichen Absonderlichkeiten von de Crécys 90er-Output auf ein Minimum geschrumpft. Es gibt aber durchaus einen roten Faden, der sich durch sein ganzes Werk zieht, und das ist diese fröhliche Unschuld, die seine Musik-ganz egal, welchem Genre sie jetzt zuzuordnen ist-sofort so ansprechend macht.
„Diese Unschuld ist wichtig”, erklärt de Crécy. „Auch wenn der Mix nicht perfekt ist, oder was auch immer-das Gefühl muss immer straight und frisch sein. Ich versuche, das immer zu erreichen, aber mit 20 Jahren Erfahrung kann das manchmal ziemlich schwierig sein. Ich würde sagen, dass Erfahrung und Wissen ein großes Handicap sein können, wenn man Musik macht. Es ist nicht einfach, immer frisch zu klingen. Ich kann bei Tracks manchmal raushören, wenn sich der Produzent zu viele Gedanken gemacht hat und die Musik zu verkopft ist. Und in der Regel gefallen mir diese Tracks dann auch nicht.” Damit auch seine neuen Songs frisch klingen, holt sich Étienne de Crécy einfach frisches Zeug dazu: „Manchmal wechsle ich mein Equipment. Wenn ich einen neuen Synthesizer ausprobiere, kann ich einen Knopf drücken und er wird ein neuartiges ‚Bzzzz’ von sich geben. Das hilft mir dann dabei, vielleicht drei neue Tracks zu machen.”
Trotz seiner glorreichen Zeit als eins der Aushängeschilder des French Touch ist de Crécy niemand, der in der Vergangenheit lebt. Von ihm als DJ brauchst du also kein Greatest Hits-Set zu erwarten, wie man es von einigen seiner damaligen Mitstreiter gewohnt ist. „Ich spiele eigene Sachen, aber ich spiele auch viel Musik von anderen Künstlern”, sagt er. „Ich spiele aber vor allem nicht viele alte Sachen-also aus den 90ern. Ich bin kein Nostalgie-DJ. Es gibt einfach unglaublich viele gute junge Producer heutzutage. Momentan stehe ich total auf G-House. Das geht gut nach vorne und ist gleichzeitig funky und street. Es klingt einfach gut. Sachen wie Anime Edge & Dance … das ist einfach unglaublich. Ich liebe es.”
Aber auch mit seinem aktuellen Album, der DJ-Tour, einer anstehenden neuen Liveshow („Ich arbeite dran!”) und dem Stolz, der davon kommen muss, dass man im Geschäft der elektronischen Tanzmusik so lange überdauert hat wie er, muss de Crécy doch auch etwas Genugtuung darüber empfinden, eine der maßgeblich federführenden Personen bei der Explosion französischer House-Musik in den 90ern gewesen zu sein. Falls dem so sein sollte, kann er das ganz gut verstecken.
„Ich war nur ein kleiner Teil dieser Bewegung”, sagt er. „Ich habe eher das Gefühl, dass ich Teil eines Stroms war und kein Anführer. Der Strom war viel größer als jeder einzelne von uns. Und das ist er auch heute noch.”
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Bruce Tantum ist nur Fanboy bei guten Acts. Er schreibt für THUMP von New York aus und er ist bei Twitter-@brucetantum
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