Ein Demonstrant wirft ein Tränengas-Geschoss zurück auf die Polizei
24.8.2019: Ein Demonstrant wirft ein Tränengas-Geschoss zurück auf die Polizei | Foto: Laurel Chor für VICE News
Politik

Scharfe Schüsse und Wasserwerfer: So gefährlich ist Hongkongs Kampf für Freiheit und Demokratie

"Wenn wir diesen Krieg verlieren, schränkt die Kommunistische Partei Chinas unsere Freiheit und unser Wohlergehen noch weiter ein", sagt ein Demonstrant.

Alles fing an mit einem umstrittenen Gesetzesentwurf. Im Februar schlug die Regierung der asiatischen Hafenmetropole Hongkong zum ersten Mal vor, mutmaßliche Verbrecher und Verbrecherinnen auch nach China überliefern zu können.

Dieser Vorschlag wurde von der Öffentlichkeit als Einschnitt in die demokratische Freiheit angesehen, seitdem kommt es zu regelmäßigen Großdemonstrationen in der Millionenstadt. Gefordert wird dabei auch der Rücktritt von Regierungschefin Carrie Lam. Obwohl das Gesetz inzwischen gar nicht mehr umgesetzt werden soll, reißen die Proteste nicht ab. Ganz im Gegenteil: Inzwischen hat sich das Ganze zu einer richtigen Demokratie-Bewegung entwickelt.

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Am Sonntag feuerte die Polizei von Hongkong nun zum ersten Mal mehrere Warnschüsse in die Luft. Ein weiterer trauriger Höhepunkt bei den inzwischen elf Wochen andauernden Großdemonstrationen. Es gab außerdem eine weitere brutale Premiere: Die Behörden setzten zum ersten Mal in der Geschichte Hongkongs Wasserwerfer gegen Demonstrierende ein.

Jetzt rechnen beide Seiten mit noch mehr Gewalt in den kommenden Wochen. Die Polizei scheint nicht dazu bereit, die Menge mit weniger brutalen Methoden in den Griff bekommen zu wollen. Und die Demonstrierenden weigern sich, auch nur einen Schritt zurückzuweichen, und stellen sich stattdessen auf einen langwierigen Kampf ein.

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25.8.2019: Nachdem sie von Demonstrierenden gejagt und geschlagen wurden, feuern Polizeibeamte einen Warnschuss in die Luft und fuchteln vor Passanten und Journalisten mit ihren Pistolen herum | Alle Fotos: Laurel Chor für VICE News

"Ich glaube, die Gewalt wird nur noch weiter zunehmen – aber von beiden Seiten. Eine Hand kann ja auch nicht alleine klatschen", sagt Tom. Der 24-jähriger Student will uns nicht seinen ganzen Namen verraten, damit ihn die Polizei nicht identifizieren kann. "Die Regierung will auf unsere Forderungen nicht eingehen. Also machen wir weiter."

Neue Graffitis an den Brücken und Gebäuden Hongkongs zeigen diesen Kampfeswillen besonders deutlich. So sind jetzt Phrasen wie "Ein freies Hongkong oder 3. Weltkrieg" oder "Wenn Hongkong brennt, brennt die Welt" in ganz Hongkong zu lesen.

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25.8.2019: Demonstrierende plündern ein Restaurant, das den Triaden gehören soll

Einige Beobachter gehen davon aus, dass die Demonstrationen zurückgehen werden, sobald die junge Bevölkerung Hongkongs wieder zur Schule oder zur Uni muss. Tom ist da anderer Meinung: "Ich bin mir sicher, dass die Proteste noch mindestens bis Oktober oder November weitergehen. Meine Kommilitonen und Kommilitoninnen bereiten sich schon darauf vor, zu streiken."

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Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich auch einige Demonstrierende radikalisiert haben: Mehrfach isolierten sie Polizeibeamte und griffen diese an, außerdem plünderten sie Geschäfte und Restaurants, die ihrer Meinung nach den Triaden gehörten – also dem Verbrechenssyndikat Hongkongs.

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25.8.2019: Die Polizei setzt zum ersten Mal in der Geschichte Hongkongs Wasserwerfer gegen Demonstrierende ein

Gleichzeitig wird die Polizei der Metropole immer wieder von internationaler Seite aus kritisiert. So gab zum Beispiel das UN-Menschenrechtsbüro an, Beweismaterial gesichtet zu haben, in dem die Behörden Hongkongs nichttödliche Waffen einsetzen – und zwar auf eine Art und Weise, die durch internationale Normen und Standards verboten ist.

Insgesamt wurden 86 Demonstrierende verhaftet. Der jüngste davon ist nur 12 Jahre alt. 15 Polizeibeamte wurden wegen ihrer Verletzungen im Krankenhaus behandelt.

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24.8.2019: Polizeibeamte marschieren eine Straße entlang. Vor dem abgebildeten Einkaufszentrum ist es zu Zusammenstößen mit Demonstrierenden gekommen

Die anführerlosen Proteste, die vor allem anonym im Internet organisiert werden, sollen noch mindestens bis zum 1. Oktober, dem chinesischen Nationalfeiertag, andauern. Allein nächste Woche sind mehrere Demonstrationen geplant. Tierliebhaber wollen auf die Straße gehen, weil Berichten zufolge auch Haustiere dem Tränengas der Polizei ausgesetzt waren. Mit einer #metoo-Demo soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Polizeibeamte eine Frau während und nach der Festnahme sexuell genötigt haben sollen. Und am fünfjährigen Jahrestag der Verweigerung des freien Wahlrechts für die Einwohner Hongkongs ist ein weiterer Friedensmarsch angemeldet.

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Ein Großteil der Hongkonger Bevölkerung unterstützt die Bewegung zwar (das zeigen die geschätzten 1,7 Millionen Teilnehmer an einem friedlichen Protestmarsch Mitte August), will mit den teilweise auch gewalttätigen Ausschreitungen aber nichts zu tun haben. Durch die neuen Entwicklungen sind viele von ihnen jedoch bereit, zu drastischeren Mitteln zu greifen, weil ihre Forderungen in Regierungskreisen auf taube Ohren stoßen.

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24.8.2019: Die Polizei feuert Tränengas auf Demonstrierende, nachdem die bei einem Protestmarsch Straßen blockiert und sich mit den Beamten angelegt haben

"Viele Demonstrierende haben inzwischen verstanden, dass friedliche Proteste bei der Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam nichts bringen", sagt Michael Leung, ein 26 Jahre alter Ingenieur.

"Wenn die Regierung in Peking das Militär nach Hongkong schickt, um gegen die Demonstrierenden vorzugehen, dann sind wir dazu bereit, unsere Interessen, unsere Zukunft und sogar unser Leben zu opfern", sagt er weiter. "Viele von uns würden für Hongkong sterben. Wir dürfen diesen Krieg nicht verlieren, sonst werden unsere Freiheit und unser Wohlergehen von der Kommunistischen Partei Chinas nur noch weiter eingeschränkt."

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