Dorothee Bär hat keine 24 Stunden gebraucht, um einen Shitstorm auszulösen: Am Montagmorgen wurde sie als zukünftige Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt vorgestellt, am Abend erzählte sie im ZDF, dass ihr “Flugtaxis” wichtiger seien als der Breitbandausbau. Und seitdem rast das #Flugtaxi mit Vollgas durch die deutschen Twitter-Biotope.
Für die Digital Natives ist klar: Schon wieder soll irgendeine Hinterwäldlerin, die ein iPad nicht von einem Kindle unterscheiden kann, die Digitalisierung in Deutschland betreuen. Dabei ist das völliger Unsinn. Dorothee Bär kennt sich in der digitalen Welt ziemlich gut aus.
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Erstens hat sie die letzten vier Jahre als Parlamentarische Staatssekretärin für Alexander Dobrindt am Thema Digitalisierung gearbeitet. Und zweitens: Bär ist nicht nur Computerspiele-Fan, sondern in den sozialen Medien extrem aktiv. Sie hat fast 70.000 Follower auf Twitter und in acht Jahren über 25.000 Tweets abgesetzt (über acht pro Tag). Wofür sie aber wirklich brennt, ist Instagram. Zwar hat sie hier weniger Follower (knapp 9.500), aber man merkt, dass ihr das Medium mehr liegt – vielleicht, weil sie hier Fotos von sich selbst posten kann. Denn @dorobaer liebt es, das Instagame mitzuspielen, inklusive Selfies, Food Porn, Emojis, Duck Face und Shoutouts. Wir haben uns durch diesen bunten, pulsierenden Account gewühlt:
Doro ist ein “Instalover”
So nennt sie sich in ihrer Bio selbst, und das ist nicht gelogen: Doro Bär kann besser Instagram als 99 Prozent deiner Freundinnen. Klar, sie benutzt oft ein paar Hashtags zu viel, aber sie ist offen, sie ist zugänglich, und sie hat offensichtlich richtig Spaß daran. Ihr Lieblingsmotiv, ohne das fast kein Post auskommt: sie selbst. Stimmungsvolle Landschaftsbilder oder interessante Architektur-Fotografie sucht man hier vergebens, dafür gibt es unzählige Variationen von Doro: mal von anderen fotografiert, mal als spontanes (aber trotzdem sorgfältig belichtetes) Selfie.
Das Ergebnis ist eine beeindruckend gut zusammengerührte Mischung aus knuffig-verspielter Girlie-Optik und fleißiger Powerpolitikerin. Aber gerade weil es so modern ist, ist das Profil für deutsche Politiker ziemlich ungewöhnlich. Bär inszeniert sich ein bisschen wie eine beliebige Möchtegern-Influencerin, also sehr direkt und persönlich – nur nicht unbedingt inhaltlich. Natürlich taucht Politik dauernd auf, meistens in Form von Terminen, bei denen sie es nie versäumt, ein Selfie mit dem jeweiligen Gesprächspartner zu machen. Das erinnert an Modeblogger, die zwischen zwei OOTD-Posts auch mal ein Foto von dem Meeting posten, bei dem sie gerade die Kooperation mit einer Kosmetik-Firma besprechen. Ist am Ende wichtig für den Kontostand, aber noch wichtiger ist immer die Marke (das eigene Gesicht).
Aber hey: Dass Dorothee Bär sich selbst ziemlich heiß findet, daran ist erstmal gar nichts auszusetzen. Und bei den Fans kommt die Politikerin damit sehr gut an. “Sympathisch, wunderschön, Bayern-Fan”, kommentiert jemand ihr Selfie neben einem Bundesadler. “Mehr Politiker/innen von Deinem Kaliber, und die Politikverdrossenheit wäre passé!”
“Einfach Heimatliebe pur” – Franken ist ihr sehr, sehr wichtig
Dass CSU-Politiker einen bei jeder Gelegenheit mit ihrer tiefen Liebe zur Heimat bombardieren, ist ja an sich nichts Neues. Bär ist aber in gleich zwei Punkten besser als der Durchschnitt. Erstens: Sie schafft es wirklich ganz gut, ihren Lokalpatriotismus mit ein paar englischen Wortspritzern entspannt und irgendwie mondän wirken zu lassen.
Und zweitens: Sie verkörpert das Ideal der CSU-Politikerin wirklich, mit jeder gottverdammten Faser ihres Privatlebens. Wenn sie nicht gerade in Berlin klotzt, lebt sie im unterfränkischen Ebelsbach mit vier Generationen Familie in einem großen Haus. “Kinder, Eltern, Oma, Opa, Uroma”, wie sie der Welt am Sonntag mal aufgezählt hat. Sie ist selbstbewusst, natürlich und – bayerisch gesagt – fesch. Auch skeptisch gegenüber zu viel Feminismus-Quatsch, denn echte Frauen lieben Komplimente und wissen sich ansonsten schon zu wehren. Sie macht Sport und achtet auf sich, aber bei einer guten Sachertorte von Tante Anni wird sie dann doch schwach. Ach ja, mit Fußball kennt sie sich auch noch aus, und natürlich ist sie Bayern-Fan. Fazit: Wir können mit hoher Sicherheit davon ausgehen, dass 85 Prozent der männlichen Unterfranken unsterblich in “die Doro” verknallt sind.
Doro ist ihrer Zeit sehr weit voraus – zu weit
Der #Flugtaxi-Wirbelsturm, den Bär auf Twitter ausgelöst hat, ist mittlerweile schon in der zweiten Phase angekommen: Auf einmal tauchen von überall Leute auf, die Bär für die Äußerung in Schutz nehmen. Flugtaxis gebe es ja wirklich, und Digitalisierung sei nunmal mehr als Breitbandausbau, für den Bär jetzt auch gar nicht mehr verantwortlich sei.
Nur damit machen sie es ihr zu einfach. Denn Bär gilt zwar wirklich als kompetent, was Digitalisierung angeht – das macht es aber nur umso schlimmer, wie wenig sie auf dem Gebiet erreicht hat. Während ihrer Tätigkeit für den Wohl Schlechtesten Verkehrsminister Aller Zeiten™ , Alexander Dobrindt, war sie nämlich genau für diesen Breitbandausbau zuständig. Vor Kurzem hat sie dazu gesagt, das eigentliche Problem sei, “dass die Telekommunikationsunternehmen auch ihre 100 oder 200 Mbit/s-Anschlüsse nicht loswerden”, was bei Sascha Lobo einen Tausend Worte langen Wutanfall ausgelöst hat. Der Kolumnist warf ihr und der Union allgemein vor, sich beim Breitbandausbau immer auf die Seite der Konzerne, nie auf Seite der Bürger zu stellen.
Bär muss sich jetzt nicht mehr darum kümmern, stattdessen sagt sie lieber Sachen wie: “Ich möchte, dass wir eher planen, mal wieder zum Mond zu fliegen oder zum Mars oder zur Venus, und nicht uns im Klein-Klein der Zuständigkeiten der Bundesländer verlieren.”
Interessante Fußnote zum Thema Flugtaxis: Auch diese Vision kommt vielleicht direkt aus der Industrie. Erst im Januar war nämlich der Unternehmer Frank Thelen zu Besuch bei der CSU in Seeon. Dort sprach er auch über sein neues Investment, die Firma Lilium Aviation aus Bayern. Was die baut: Flugtaxis.
Doro weiß immer genau, woher der Wind weht
Man nimmt Bär gerne ab, dass sie wirklich so fröhlich und optimistisch ist, wie sie sich auf Instagram zeigt. Warum auch nicht? Sie ist #hot, sie ist #momofthree, und ihre Karriere ist offensichtlich #onfire. Was auch daran liegen könnte, dass Bär nicht zu der Sorte Politiker gehört, die sich an sperrigen Sachfragen die Köpfe einrennen. Stattdessen ist sie durchaus mal zu einem Schwenk bereit, wenn es die Sache einfacher für alle Beteiligten macht.
Berühmtestes Beispiel: Wie die meisten arbeitenden Mütter war Bär ursprünglich strikt gegen die Seehofer-Kopfgeburt Betreuungsgeld (die berüchtigte “Herdprämie”). Aber als sie 2009 stellvertretende CSU-Generalsekretärin wurde, war sie plötzlich eine glühende Verfechterin der Idee – den Widerstand der Koalitionskolleginnen nannte sie “sinnloses Aufbäumen”. Später setzte sie sich für eine Frauenquote in der CSU ein. Aber als ihr eigener Minister 2014 gegen die Frauenquote in der Wirtschaft Sturm lief, war von Bär zu dem Thema kein Kommentar mehr zu bekommen.
Auch bei anderen Themen, sei es die Homo-Ehe (dagegen, weil “manchmal habe ich das Gefühl, in Deutschland findet man immer irgendetwas ungerecht”) oder das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (erst keine Position, dann mitten in den GroKo-Verhandlungen, als es sich als sehr unbeliebt herausstellte, plötzlich voll dagegen) wirkt Bär wie eine Politikerin, die sich mehr für ihr eigenes Fortkommen interessiert als für irgendwelche Haltungen. Außer vielleicht, dass sie nicht will, dass der Papst in Sex-Orgien mit Jan Böhmermann hineingezogen wird:
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