"Oh Herr, ich kann es nicht glauben! Mein Gott!"Dann schloss der Pastor, ein großer, breitschultriger Mann, den Sarg und stieg auf die Kanzel. "Ehre sei Gott!", tönte er. "Für all die Dinge, die er bereits getan hat, und alles, was er noch tun wird. Diesen Samstag ist das mein zweiter Gottesdienst für einen jungen Mann. Wir können Gott nichts vorschreiben. Doch ich sage euch heute, dass alles seinen Zweck hat."
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Caswick hörte den Pastor nicht. Er stand rauchend auf dem Parkplatz, ein Bild seines Cousins auf seinem T-Shirt. Er drückte die Zigarette aus und setzte sich zu seinen zwei Freunden ins Auto. "Ich erweise ihm noch die Ehre, aber reingehen kann ich nicht", sagte er leise. Bei geschlossenen Fenstern rauchten sie Gras, Caswick starrte auf das Beerdigungsprogramm, das in seinem Schoß lag. "Meine Leute sollten glücklich sein, aber sie sind da drin und weinen." Er wischte sich die Augen. "Und ich sitze hier draußen, obwohl ich mehr Zeit mit ihm verbracht hab als jeder Einzelne von denen."
Die Folgen negativer Kindheitserfahrungen
Caswick erinnert sich an Filme, die er als Kind gesehen hat. Darin wohnten die "guten" Kids – fast immer Weiße – in schönen Häusern, hatten zwei Eltern und hübsche Freundinnen. In seiner Welt waren die Kids mit hübschen Freundinnen und schicken Autos fast alle Dealer.Caswicks ältester Bruder versuchte, ihn vor der Straße zu warnen, aber stapelweise Dollarscheine fand er überzeugender. Mit elf war Caswick bereits im Geschäft. "Ich fing mit Gras an, dann kamen Pillen. Mein großer Homie gab mir dann Kokain und sagte, damit könne ich mehr verdienen. Man kriegt das Zeug in die Poren – so kam ich auf den Geschmack und nahm es dann auch.” Schließlich kamen noch Heroin und Crystal Meth hinzu."Unsere Gesellschaft ist an dem besorgniserregenden Punkt, dass wir Einzelne zurücklassen, weil man nicht glaubt oder versteht, wie ernst ihre Krankheiten sind", sagt Paul Gionfriddo, CEO und Präsident von Mental Health America.
Caswick wird zu "Cash", dem Dealer
Der Hurrikan Katrina war ein kollektives Trauma für New Orleans
Es gibt nicht genug Angebote für psychisch Kranke
Caswick kommt wieder zu sich
Hilfe und Selbsthilfe für bessere Gewaltprävention
Im Herbst 2013, kurz vor seinem Schulabschluss, hatte Caswick schon mehr Freunde und Verwandte an die Waffengewalt verloren, als er aufzählen konnte. Die Narbe an seinem Bein erinnerte ihn täglich daran, wie knapp er selbst diesem Schicksal entkommen war. Er hatte einen Job in einem Supermarkt gefunden und wohnte mit Rose und den Kindern in East Bank, einer Wohngegend mit Einfamilienhäusern."Die Probleme, mit denen sie kämpfen – das ist überwältigend", sagt Onassis Jones, Pastor und Psychologe in new Orleans. "Wie bei Caswick. Zum Alltagsstress kommen Trauer, Depressionen und Morde. Die Menschen reden einfach nicht darüber, es wird zur Lebensweise."
Ein Helfer gibt alles für Caswick
"Hier laufen lauter Katrina-Babys rum"
Der nächste Grund zu trauern ist nie weit
Kampf um Caswicks Zukunft
Am Morgen von Caswicks Verhandlung war der Gerichtssaal voll, es gab nur noch Stehplätze. Außer den gut gekleideten Anwälten, den uniformierten Justizvollzugsbeamten und den Polizisten in den ersten Reihen waren fast nur schwarze oder hispanische Angeklagte anwesend.Caswick traf 35 Minuten zu spät ein, in Tarnhose und schwarzem Hoodie. Roam war frustriert, er hatte lange vor dem Gerichtsgebäude gewartet. Doch nur 20 Minuten später hatte Roam bereits eine Übereinkunft mit dem Gericht: Caswick musste in die Drogentherapie, bekam fünf Jahre Bewährung und keine Haftstrafe. Man würde seine Vorstrafe tilgen, wenn er die Drogentherapie erfolgreich abschließen und während seiner Bewährung nicht festgenommen würde."Ich habe doch gesagt: 'Erzähl mir alles und ich regle das'", sagte Roam, als er mit Caswick die vielen Anwälte und Angehörigen im Korridor passierte. "Caswick, du weißt gar nicht, wie positiv das gerade für dich lief.""Es ist verrückt, aber ich habe mir nie vorgestellt, alt zu werden", sagt Caswick. "In New Orleans bist du skeptisch, ob du lange leben wirst. Wenn du in den Straßen von N'awlins 25 wirst, giltst du als OG." Original Gangsta – ein Status, der Respekt und ein wenig Schutz vor den alltäglichen Gefahren der Straße bringt. "In anderen Hoods sind die OGs 35, 45. Aber hier sind sie 25."