Die gehen wieder weg, dachte ich lange, so wie bei den meisten Teenagern, denen in der Pubertät ein paar Pickel sprießen. Aber sie gingen nicht weg. Nicht bei mir. Stattdessen entzündeten sich meine Pickel, bluteten, eiterten.
Mit 15 sah mein Gesicht meistens aus, als hätte ein Moskitoschwarm es zerbissen. Mein Rücken noch schlimmer. Meine Akne hatte nichts mit den Menschen aus der Werbung zu tun, die sich auf ihrer ebenmäßigen Haut einen unsichtbaren Pickel ausdrücken. Sie war kein Kosmetikproblemchen. Sie war eine Plage.
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In der Werbung und in Magazinen wie der BRAVO wurde Akne damals als etwas dargestellt, das man ganz einfach los wird. Ernährung umstellen, sich öfter mal waschen, man muss nur wollen. Das ist unwissenschaftlicher Quatsch, der bei Betroffenen nur dazu führt, dass sie sich schämen. Ein falsches Bild, das noch immer existiert. Dabei ist Akne eine Krankheit, für die niemand etwas kann. Das schrieb die Moderatorin Visa Vie kürzlich auch unter Fotos von sich auf Instagram, in denen sie zum ersten Mal ihre Akne öffentlich zeigte.
Sie macht mit diesem Post auf eine Krankheit aufmerksam, die noch immer verharmlost wird. Dafür bin ich ihr dankbar – auch wenn ihre Geschichte bei mir verdrängte Gefühle hochgeholt hat. Die Erinnerung an eine Scheißzeit.
Mit 15 habe ich sehr an meinem Aussehen gezweifelt. So wie wahrscheinlich viele in der Pubertät – auch ohne Pickel. Und ausgerechnet da schien es, als hätte mein Körper etwas gegen mich. Ich sollte einfach nicht zu den Jungs gehören, mit denen man rummachen will. Während andere Dates hatten, trieb die Akne schmerzende rote Krater in meine blasse Haut – und in mein Selbstbewusstsein.
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Als Mann konnte – oder sagen wir: wollte – ich die Pickel zwar nicht unter Make-up verstecken. Aber zumindest konnte ich verstecken, wie es in mir aussah. Nach außen gab ich den Clown. Wenn schon nicht hot, dann wenigstens lustig, dachte ich. Immer wieder sagte ich mir, dass es viel schlimmere Krankheiten gibt, dass ich kein Recht hatte, mich zu beschweren. Ich war ja keine Heulsuse – und Pickel nur ein Hautproblem. Trotzdem wurde ich immer deprimierter. Also probierte ich alles aus, was angeblich gegen Akne helfen sollte.
Die verschiedenen Gesichtsreinigungsmittelchen aus der Drogerie wirkten bei mir gar nicht. Sonne und Schwimmen im Meer halfen wenigstens ein bisschen. Blöd nur, dass ich in Bayern lebte. Nach jedem Strandurlaub brach die Akne wieder aus. Es war frustrierend und meine Eltern sahen das. Also entschieden sie, und ich stimmte ihnen zu, dass wir zu einem härteren Mittel greifen mussten. In diesem Fall war das keine Floskel.
Ein Jahr lang Isotretinoin, dann sollte die Akne verschwunden sein
Der Wirkstoff Isotretinoin ist die letzte Option, die man im Kampf gegen Akne hat. Und man sollte sich sehr gut überlegen, ob man sich dafür entscheidet. Die Liste an Nebenwirkungen ist sehr lang. Schwangere dürfen es auf gar keinen Fall nehmen. Sonst besteht ein extrem hohes Risiko für schwere Missbildungen beim Baby. Zum Glück musste ich mir darum keine Gedanken machen. Aber trockene Lippen, rissige Mundwinkel, Nasenbluten und Stimmungsschwankungen waren ab jetzt normal für mich. Regelmäßig checkte ein Arzt, ob meine Leber das alles verkraftet. Auf meine Psyche musste ich selbst aufpassen. In seltenen Fällen kann Isotretinoin zu Depressionen führen, sehr selten soll es schon Suizide ausgelöst haben.
Natürlich wusste ich schon vor der Therapie von den Nebenwirkungen. Und sie waren mir nicht egal. Aber ich nahm sie bewusst in Kauf.
Trotz der harten Zeit bin ich froh, dass ich dieses Zeug damals genommen habe. Es hat mir einen noch längeren Leidensweg erspart, den Visa Vie in ihrem Post beschreibt. Dennoch, und das schreibt sie auch: Dieses Medikament “kommt direkt aus der Hölle”. Nehmt es nur, wenn ihr wirklich alles ausprobiert habt und lasst euch davor ärztlich beraten.
Nach einem Jahr hatte ich das Schlimmste überstanden. Ich war jetzt 16 Jahre alt und ich hatte Glück. Die Akne war weitestgehend zurückgegangen und hatte keine Narben hinterlassen. Mein Selbstbewusstsein kam langsam zurück. Und ich hatte während all dieser Zeit tolle Freunde, die mir zeigten, dass ich wertvoll bin, egal wie ich aussehe. Auch deshalb wollte ich so wie Visa Vie meine Erfahrungen teilen. Damit es normal wird, darüber zu sprechen. Und damit alle, denen es genauso geht, sehen können, dass sie nicht allein sind, sondern wertvoll, und es immer einen Ausweg gibt.
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