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Facebook-Leak zeigt Namen von mutmaßlichen Anonymous.Kollektiv-Hintermännern

Titelbild: Ein Screenshot eines Facebook-Titelbildes von Anonymous.Kollektiv 

Kaum eine Facebook-Seite verkörperte den aktuellen Anstieg neurechter Hetze in Deutschland so deutlich wie Anonymous.Kollektiv. Mit den ursprünglichen Zielen der Netz-Aktivisten von Anonymous hat die Seite nichts zu tun: Flüchtlinge werden hier als „Ficki-Ficki-Fachkraft” beschimpft und fälschlicherweise als Brüssel-Attentäter an den Pranger gestellt, der Terror-Angriff auf Charlie Hebdo in die Nähe des Mossad gerückt, die BRD als rechtsstaatlich „schon seit 1956 erloschen” bezeichnet, Politiker als „Flinten-Uschi” oder „Schlepperkönigin Angela Merkel” und Journalisten als „Schmutzliteraten” diffamiert. Mit einer kruden Mischung aus verschwörungstheoretischen, rassistischen und antisemitischen Posts legte die Page eine erstaunliche Karriere hin: In nur zwei Jahren steigerte die Seite ihre Likes von rund 400.000 auf zwei Millionen. Doch auch nachdem die Seite im Mai aus dem sozialen Netzwerk gelöscht wurde, beschäftigt sie noch immer Ermittler und die Öffentlichkeit. Trotz ihrer Größe ist nämlich bis heute nie offiziell bekannt geworden, wer eigentlich dahinter steckt.

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Motherboard und der Süddeutschen Zeitung liegt ein Screenshot vor, der den internen Administratoren-Bereich von Anonymous.Kollektiv zeigen soll. Bis zu ihrer Abschaltung agierte die mit Abstand like-stärkste deutschsprachige Hetz-Seite unter dem Deckmantel der Anonymous-Bewegung und setzte dabei auch Posts ab, die die Tatbestände der persönlichen Diffamierung und vor allem der Volksverhetzung erfüllen. Gegen den oder die Betreiber wurde mehrfach Anzeige erstattet—doch jedes Mal wurden die Ermittlungen vorläufig eingestellt. Da die Seite keinerlei Angaben darüber machte, wer die Inhalte verantwortet, und da Facebook diese Informationen mit Verweis auf die Privatsphäre der Nutzer nicht herausgibt, konnten deutsche Behörden keinen Betreiber ermitteln.

Wenn es stimmt, was auf dem uns zugespielten Screenshot zu sehen ist, wäre es mit dieser Anonymität vorbei. Drei Facebook-Profile werden dort als Administratoren aufgelistet: ein User mit dem Namen „Mario Roensch”, dessen Profil inzwischen nicht mehr auffindbar ist, ein weniger bekannter Sänger und Manager einer Rechtsrock-Band aus Erfurt und das Profil eines „Kai Homilius”. Der Screenshot selbst zeigt eine Seite, die zumindest genauso aussieht, wie die entsprechenden internen Bereiche in den Facebook-Einstellungen.

Der Name eines gewissen Mario Rönsch taucht im Mai 2016 in einem Focus-Artikel im Zusammenhang mit der Facebook-Seite Anonymous.Kollektiv auf: Unter Berufung auf schriftliche Zeugenaussagen schrieb das Magazin, dass der Erfurter Mario Rönsch, der in der Vergangenheit als Redner auf den neurechten Montagsmahnwachen aufgetreten ist, für die Hetz-Seite verantwortlich sei. Rönsch selbst bestritt in der Vergangenheit, Administrator der Seite zu sein und legte darüber vor Gericht sogar eine eidesstattliche Versicherung ab.

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Motherboard hatte bereits 2014 über Anonymous.Kollektiv berichtet, doch Rönsch ging gegen Motherboard genauso wie gegen den Spiegel, die Jungle World und den MDR rechtlich vor und erwirkte vor Gericht, dass er nicht als Administrator der Facebook-Page bezeichnet werden darf. Auf eine Anfrage per E-Mail und Telefon zu dem aktuellen Screenshot hat Rönsch bis zur Veröffentlichung dieses Textes nicht reagiert.

Die größere Überraschung auf dem Screenshot dürfte der Name Kai Homilius sein: Homilius ist Geschäftsführer der Compact Magazin GmbH, das als eines der wichtigsten publizistischen Sprachrohre von AfD und Pegida gilt. Tatsächlich ähneln sich das monatlich erscheinende Magazin und Anonymous.Kollektiv in zwei Bereichen: Sie verbreiten Islamfeindlichkeit und Verschwörungstheorien. Compact-Artikel wurden mehrfach auch über die Facebook-Page Anonymous.Kollektiv beworben, doch bisher war nicht bekannt, dass die beiden großen neurechten Medien so eng miteinander verzahnt sein könnten.

Hintergrund: Wie Anonymous.Kollektiv neurechte Lügen, Flüchtlingshetze und Verschwörungstheorien verbreitete

Ein weiterer Screenshot, der der SZ und Motherboard vorliegt, zeigt, dass ein gleich aussehender User-Account mit dem Namen „Mario Roensch” auch am Facebook-Auftritt des Compact-Magazins in der Rolle eines sogenannten „Werbetreibenden” beteiligt war (Der User-Account selbst ist inzwischen nicht mehr online auffindbar). Solche Nutzer können Inhalte von Posts nicht bearbeiten, sondern lediglich über ihre Vermarktung mitbestimmen. Auch hier taucht wieder das selbe Profil „Kai Homilius” auf, das zumindest vom Foto her dem Account von jenem Kai Homilius gleicht, der sich auf seinem Profil als Geschäftsführer und Inhaber des offiziellen Facebook-Auftritts des Compact-Magazins bezeichnet. Auf Anfrage wollte sich Homilius weder am Telefon noch schriftlich dazu äußern, ob die Angaben auf dem Screenshot korrekt oder inkorrekt seien.

Der Screenshot wurde der SZ und Motherboard im Sommer von einer Quelle zugespielt. Diese behauptete uns gegenüber, innerhalb von Facebook einen vollständigen Einblick in die internen Angaben zu haben, die zeigen, wer in welcher Rolle eine Facebook-Seite betreibt. Um das zu untermauern, führte die Quelle der SZ und Motherboard Folgendes vor: Sie übersendete für eine Facebook-Seite, bei der uns die dahinter stehenden User-Namen der Admins bekannt sind, innerhalb einer Minute einen Screenshot von jener internen Einstellungsseite, die die sogenannten „Rollen für die Seite” zeigen sollte. Die auf diesem Screenshot gezeigten Facebook-Accounts und ihre Rollen waren tatsächlich in mehreren separaten Fällen korrekt, obwohl die Information, welche Accounts hinter der Seite stecken und welche Rollen diese haben, nicht öffentlich bekannt oder ableitbar waren.

Als Lügenpresse auf der Anklagebank: Meine zwei Jahre mit Mario Rönsch

Unabhängig bestätigen lassen sich die Angaben der Quelle nicht—weshalb zu betonen ist, dass der Screenshot nicht als endgültiger Beweis gelten kann, auch wenn das einige Facebook-Nutzer anders sehen, die einen mit eigenem Copyright-verzierten Upload des Screenshots durch den FDP-Politiker Tobias Huch kommentierten. Eine finale Bestätigung darüber, wer als Betreiber hinter der Seite steckt, können nur polizeiliche Ermittlungen ergeben.

Facebook erklärte auf Anfrage von Motherboard, dass man sich nicht zu einzelnen Seiten oder Administratoren äußere. Außerdem gehört es zur Privatsphären-Politik des Unternehmens grundsätzlich keinerlei Informationen über einzelne Nutzer öffentlich zu machen—herausgegeben würden diese nur bei rechtmäßigen Anfragen von Strafverfolgungsbehörden. Ob die Screenshots echt oder gefälscht sind und wie die Quelle an die Informationen herangekommen sein könnte, lässt sich dementsprechend für uns durch eine Anfrage bei Facebook nicht klären.

Auch im Zusammenhang mit dem Waffenshop „Migrantenschreck” tauchte der Name Mario Rönsch auf

In den vergangenen Wochen häuften sich die Hinweise, dass zwischen Mario Rönsch und dem Compact-Magazin eine bestimmte Form der Zusammenarbeit bestand: In einem Artikel auf seiner Website erklärt Compact, dass man mit Mario Rönsch ab August 2015 einen „Vertrag zur Abowerbung” geschlossen habe, während Rönsch in einem angeblichen Interview auf der Website Anonymousnews.ru verlauten ließ, dass man ihn bereits im Januar 2015 gebeten habe, „das Marketing für Compact zu übernehmen.” Fakt ist: Anfang Februar 2015 tauchten auf der Facebook-Page Anonymous.Kollektiv sogenannte „gesponsorte Posts” auf, die das Compact-Magazin bewarben.

Ein Screenshot zeigt, wie Anonymous.Kollektiv Anfang Februar 2015 Werbung für das Compact-Magazin machte. Screenshot: Motherboard

Bereits seit einigen Wochen liefert sich Compact nun jedoch mit Anonymousnews.ru einen schmutzigen Rosenkrieg. So veröffentlicht der Blog mit russischer Domain ein angebliches Interview mit Rönsch, in dem dieser Compact-Verantwortliche als Denunzianten beschimpft, bereits Monate zuvor rückte man Compact in die Nähe von Geheimdiensten und Verfassungsschutz.

Aussagen von zahlreichen Anons beweisen, dass längst nicht alle Anonymous-Aktivisten die Ideologie von Anonymous.Kollektiv teilen

Wer hinter der Website AnonymousNews.ru steckt, ist nicht bekannt. Die Seite ging nur zwei Tage nach der Abschaltung der Facebook-Page Anonymous.Kollektiv online. Dass es offensichtlich eine Verbindung geben muss, geht aus einem der ersten dort veröffentlichen Texte hervor: So lud Anonymousnews.ru einen Screenshot hoch, der die interne Benachrichtigung der Abschaltung der Facebook-Seite Anonymous.Kollektiv zeigt—eine Ansicht, die nur Administratoren der Facebook-Seite sehen konnten.

Der Website Anonymousnews.ru, die laut des Webanalyse-Dienstes Similar Web immerhin über 600.000 Aufrufe pro Monat verzeichnet, ist in den vergangenen Monaten noch ein kleiner Scoop gelungen: Nachdem deutsche Staatsanwaltschaften bereits kapitulierten, weil der Erfurter Mario Rönsch unbekannten Aufenthalts sei, führte die Seite mit ihm noch ein Interview—das einzige Magazin, dem das auch noch vergönnt war, ist das Compact-Magazin selbst, das vor dem Rosenkrieg im Sommer noch mit ihm sprach. Außerdem taucht im Quellcode der Seite oft das Wort „Maro” auf, was ein Akronym von „Mario Rönsch” sein könnte.

Dass Homilius und Rönsch einmal enger miteinander bekannt waren, bestätigen auch Fotos, die in den vergangenen Wochen auf der Website Anonymousnews.ru veröffentlicht wurden—unter anderem zeigen sie die beiden Seite an Seite mit zwei Abgeordneten der rechtsextremen ungarischen Jobbik-Partei in Budapest. Auf Anonymousnews.ru wurde auch ein Screenshot einer angeblichen E-Mail geleakt, die Homilius nur fünf Tage nach dem Ende von Anonymous.Kollektiv an Rönsch geschrieben haben soll. Darin heißt es: „Die zwischenzeitliche Löschung Deiner Facebook-Seite ist für uns natürlich der Super-Gau, auch im Hinblick auf die ABO-Verkäufe.” Der Betreff der Mail: „Anonymous auf Facebook gelöscht”. (Zur Echtheit der Mail wollte sich Homilius nicht äußern, öffentlich dementiert hat Compact sie aber—entgegen anderer über Anonymousnews.ru verbreiteter Behauptungen—bisher nicht.)

Rönsch und Compact haben in diesem Herbst 2016 ganz unterschiedliche Wege eingeschlagen. Homilius und Compact-Chefredakteur Elsässer laden für das kommende Wochenende zur alljährlichen Compact-Konferenz nach Berlin—wo sich die neurechte Szene ein Stelldichein geben wird. Mario Rönsch unterdessen ist schon lange nicht mehr in Erfurt gesehen worden. Laut des exklusiven Interviews, das er Anonymousnews.ru gab, ist er ausgewandert—ob er wirklich Deutschland verlassen hat, lässt sich—wie so vieles an dieser Geschichte—mal wieder nicht mit Bestimmtheit sagen.

Max und Simon sind auf Twitter. Dort steht auch, wie ihr uns verschlüsselte Informationen schicken könnt.

Redaktionelle Mitarbeit: Silvio Duwe, Siye Habteab