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Female-led relationships: Wenn in der Beziehung allein die Frau das Sagen hat

„Ich bin erfüllt von dem Wunsch, meine Frau glücklich zu sehen. Wenn ich etwas dazu beigetragen habe, bin ich jedes Mal außer mir vor Freude. Sie ist der Mittelpunkt meines Universums und mein Interesse an anderen Frauen ist gleich Null, selbst wenn mir meine Angebetete über längere Zeit ihren Körper vorenthält. Ich bin unendlich dankbar für die dominante Fürsorge meiner Ehefrau und würde nur sehr ungern wieder zu einer gleichberechtigten Beziehung zurückkehren. Ich halte mich nicht für ein Weichei, sondern bin sehr stolz, ein Leben aufgestellt zu haben, in dem ich meine wahre Neigung nicht verstecken muss.”

Was hier in einem Erotik-Forum von einem männlichen User beschrieben wird, ist weitaus mehr als die schriftgewordene Fantasie eines Rollenspiels, bei dem der hörige Mann sich zwecks Lustgewinn von einer in Lack und Leder gezwängten Peitschenschwingerin züchtigen und quälen lässt. Vielmehr beschreibt der User eine FLR, eine female-led relationship. Gemeint ist damit eine Beziehung, die sich als lebenseinnehmendes und das Patriarchat umkehrendes Konzept versteht, bei dem sich der devote Mann auf lange Sicht der dominanten Frau unterwirft—vom Saubermachen bis zum Sex.

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Klickt man sich durch einschlägige Foren, in denen Menschen von der Community eine Meinung zum Beziehungskonzept FLR einholen möchten, stößt man auf zweierlei Reaktionen. Einerseits ist da absolutes Unverständnis darüber, dass Männer sich „freiwillig unter den Pantoffel begeben” und Frauen Gefallen an hörigen, „verweichlichten” Männern finden. Andererseits berichten Frauen, Männer und Paare aber auch davon, dass sie noch nie so glücklich und erfüllt wie in einer FLR gelebt haben.

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Mit Männern über dieses Thema zu sprechen, gestaltete sich von vornherein schwierig. Interviewanfragen wurden entweder gar nicht beantwortet oder abgelehnt. Wer aber über das Thema sprechen möchte, ist Elisabeth Steinhaus. 1979 in Westfalen geboren, lebt sie seit 2005 zwischen Hamburg und London. Mit dem Thema FLR kommt sie vor einigen Jahren nach dem Ende einer Beziehung in Kontakt, findet aber fast ausschließlich englischsprachige Webseiten und Foreneinträge.

Angezogen von der Kombination aus dem Gestaltungswillen der Frau und der Hingabe des Mannes in einer FLR beschließt Elisabeth, die seit 2013 in einer—wie sie im Gespräch mit Broadly selbst sagt—„moderaten weiblich geführten Beziehung” lebt, alle Informationen zu sammeln und zu sortieren. Das Ergebnis: ein Blog und mittlerweile zwei E-Book-Ratgeber zum Thema FLR.

Elisabeths Definition von einer weiblich geführten Beziehung? „Eine Form des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau, in der die Frau die Gestaltungshoheit über zentrale Punkte der Partnerschaft an sich und das Ausleben der gemeinsamen Sexualität hat.” Die Frau bestimmt in einer FLR maßgeblich über die Regeln, die in der Beziehung gelten und übernimmt die Führungsrolle bei allen wichtigen Entscheidungen. Eigentlich war es das auch schon. Denn alles, was über diese doch recht klare Definition hinausgeht, entspricht schon den individuellen Gestaltungsmöglichkeiten einer female-led relationship, die mindestens so vielfältig sind wie in jeder anderen Beziehung.

Aber wie sieht eigentlich der Alltag in einer FLR aus? „Offen gestanden glaube ich, dass sich der Alltag kaum von dem Alltag in anderen Beziehungen unterscheidet”, findet Steinhaus. „Der wichtigste Unterschied ist aus meiner Sicht, dass der Mann überdurchschnittlich achtsam gegenüber seiner Partnerin ist und seine Erfüllung vor allem dadurch findet, dass er ihr Freude bereitet.” In einer weiblich geführten Beziehung könne es also durchaus öfter vorkommen, dass der Mann zum Beispiel von sich aus den Haushalt oder andere lästige Aufgaben übernimmt, um seiner Partnerin eine Freude zu machen.

Ich persönlich lege Wert auf Höflichkeit, Gepflegtheit und einen gesunden Lebenswandel. Entsprechend gibt es zum Beispiel die Regel, dass Alkoholgenuss in Maßen stattzufinden hat.

Klare Regeln würden zumeist zu Beginn einer Beziehung gelten, erklärt Elisabeth. Sie würden vor allem dazu dienen, den Mann in seiner Mission zu unterstützen, der Frau gegenüber aufmerksam und hingebungsvoll zu sein. Natürlich können einige dieser Regeln auch für die Ewigkeit Bestand haben. Auch ist möglich, dass sie in Vertragsform festgehalten werden. „Ich persönlich lege Wert auf Höflichkeit, Gepflegtheit und einen gesunden Lebenswandel. Entsprechend gibt es zum Beispiel die Regel, dass Alkoholgenuss in Maßen stattzufinden hat—was genau ,in Maßen’ heißt, ist jedoch nicht festgeschrieben”, erklärt Elisabeth.

„Mein Mann und ich stehen auch jeden Morgen zusammen auf—egal, ob wir beide früh aus dem Haus müssen. Er steht dabei stets eine Viertelstunde vor mir auf und bringt mir einen Kaffee oder Tee. Dann geht er ins Bad und macht sich fertig, sodass ich dann in ein bereits warmes Badezimmer gehen kann.”

Pflichten können aber gerne auch mal über das Dasein als Bediensteter und Badaufwärmer hinausgehen, wie Maria von Dux weiß. Maria stößt vor einigen Jahren in Erotikforen auf das Thema FLR. „Ich war als Kind schon sehr willensstark und dominant”, erinnert sie sich. „Meine ersten Freunde habe ich dann immer etwas untergebuttert. Später, zur Zeit des Studiums, habe ich dann BDSM für mich entdeckt und im Rahmen von BDSM auch erste Beziehungen mit Machtgefällen geführt.” Ob sie eher zu einer FLR oder nur zum Sadismus neigt, darüber ist sich Maria noch nicht ganz im Klaren.

Derzeit lebt sie ihre dominante Seite jedenfalls mit unterschiedlichen Partnern und nicht in einer festen Beziehung aus. Davor hat sie auch in female-led relationships gelebt. Weil es so gut wie gar keine brauchbaren Informationen über das Thema gibt, die in deutscher Sprache verfügbar sind, schreibt Maria auf ihrem eigenen Blog über Erfahrungen und Ansichten zu den Themen FLR und Femdom.

„Ich mag durchtrainierte, junge Männer”, erzählt Maria. „Meine letzte FLR war mit einem deutlich jüngeren Mann, der noch studiert hat. Er war leider manchmal etwas träge, aber alles in allem sehr liebenswert. Ich habe ihn dann ein wenig durchs Studium geprügelt—mehr oder weniger wortwörtlich—und auch sonst gut auf Trab gehalten. Abends haben wir zusammen Sport an der Alster getrieben, wenn er dann die Ziele bei Leistungskontrollen verpasst hat, musste er extra Einheiten ablegen oder durfte zur Motivation in der Badewanne schlafen—natürlich ohne Wasser und mit einer Wolldecke.”

Eine Frau führt einen Mann an der Hand, symbolisch für eineFemale-led relationship, abgekürzt FLR
Foto: Yuri Catalano | Pexels | CC0

Die Liste von möglichen Sanktionen bei Nichteinhalten der Regeln und Pflichten ist lang. Es kann das Verrichten von besonders unangenehmen Strafarbeiten oder das Anfertigen eines Aufsatzes über das eigene Fehlverhalten sein. Auch ist denkbar, dass dem Mann Aufmerksamkeit oder bestimmte Privilegien wie etwa der Internetzugang oder das Fernsehen entzogen werden. Bestraft werden kann aber auch im sexuellen Bereich, dessen Praktiken deshalb mitunter Nähe zu sich ohnehin durch Dominanzgefälle auszeichnende BDSM- und Femdom-Praktiken aufweisen können.

Bei Nichteinhalten der vereinbarten Regeln und Pflichten ist zum Beispiel körperliche Züchtigung wie etwa Spanking, aber auch Keuschhaltung, Orgasmuskontrolle, Tease-and-Denial-Spiele oder die Verweigerung von Geschlechtsverkehr bei gleichzeitiger Einforderung sexueller Dienstleistungen seitens der Frau denkbar. Die Sanktionen lassen sich um beliebig viele weitere BDSM-Spielarten wie etwa finanzielle Dominanz—der Mann übergibt sämtliche Finanzhoheit an die Frau—erweitern.

Auch ist sogenanntes Cuckolding denkbar. Dabei nimmt die Frau zwecks Demütigung vor den Augen ihres Mannes sexuelle Handlungen mit einem Dritten vor. Mitunter geht das soweit, dass die Frau und der Mann gar nicht mehr miteinander schlafen und die Frau sich nur noch durch Sex mit anderen Partnern befriedigt—eine sogenannte never-inside-Beziehung.

Wenn eine Frau mit Führungswillen und Anspruch auf einen Mann trifft, der Freude daran hat, sich in den Dienst dieser Frau zu stellen, dann ist das für beide die beste Form der Beziehung

Die Idee hinter Strafen wie der Keuschhaltung eines Mannes durch das Verschließen seines Geschlechtsteils ist „die Überzeugung, dass die ultimative Triebfeder allen männlichen Tuns seine Sexualität ist. Umgangssprachlich spricht man oft von ,schwanzgesteuerten Männern’. Wenn wir diesen Gedanken weiter denken, bedeutet das für eine weiblich geführte Beziehung, dass der Wille der Frau und der Sexualtrieb des Mannes in Konkurrenz zueinander stehen, wenn es darum geht, den Mann zu führen”, schreibt Elisabeth Steinhaus auf ihrer Homepage.

Aber: „Der Unterschied zwischen BDSM und einer weiblich geführten Beziehung ist, dass beim BDSM sexuelle Aspekte oft im Vordergrund stehen”, erklärt sie weiter. „Bei einer weiblich geführten Beziehung wird hingegen dem partnerschaftlichen Zusammenleben oft mehr Raum gegeben.” Die Wichtigkeit des Sex hänge nicht von der Beziehungsform, sondern vom Trieb des Paares ab. „Wenn eine Frau viel Sex möchte, dann wird das einen entsprechenden Raum einnehmen. Bei zwei asexuellen Wesen spielt es keine Rolle.”

Im Gespräch mit beiden Frauen wird klar: Die Differenzierung zwischen BDSM und FLR ist wichtig. Denn letzten Endes ist eine female-led relationship kein von kinky Klischees nur so strotzendes Rollenspiel oder weibliche Allmachtsfantasie, sondern vielmehr ein ernsthaftes Beziehungsmodell, das—genau wie alle anderen Konzepte—nicht für jeden vorgesehen ist, aber durchaus auf Langfristigkeit ausgelegt ist.

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„Ich glaube schon, dass diese Beziehungen länger halten als andere”, findet Maria. „Das liegt daran, dass sich beide Partner bewusst für ein besonderes Modell entscheiden und sich damit mehr Gedanken gemacht haben, als andere, die vielleicht in anderen Beziehungen feststecken. Wenn eine Frau mit Führungswillen und Anspruch auf einen Mann trifft, der Freude daran hat, sich in den Dienst dieser Frau zu stellen, dann ist das für beide die beste Form der Beziehung.”

Elisabeth Steinhaus sieht es ganz ähnlich. Eine FLR stehe, wenn es um die Wertigkeit geht, aus ihrer Sicht auf einer Stufe mit anderen Beziehungsformen. Die Frage sei nicht, was spannender oder besser, sondern für einen selbst richtig ist. „Ein extremes Beispiel: Die Katholische Kirche sagt, dass die Ehe zwischen Mann und Frau die beste Form der Beziehung ist. Das mag stimmen. Aber stimmt es auch für den homosexuellen Mann?”

Nur weil die Gesellschaft oder eine Institution heteronormative und scheinbar „klassische” Rollenverteilung vorschreibt, heißt das noch lange nicht, dass Menschen auch nach diesen Konzepten leben müssen. „Genau so muss man sich auch der Frage nach der FLR nähern”, findet Elisabeth Steinhaus. „Es kommt darauf an, wer eine FLR eingeht. Treffen ein Mann mit der richtigen Motivation und eine Frau mit Gestaltungswillen aufeinander, dann ist es sicherlich eine gute Idee, die FLR zu versuchen.”