Zwischen Hippies und Gras – Meine Festival-Kindheit in Wiesen

In der Volkschule, jedes Jahr zu Schulbeginn, wurden wir immer nach unseren Ferien befragt. Die einen erzählten, dass sie in einen Reisebus mit gefühlt hundert anderen Kindern gestopft worden sind, weil ihre Eltern sie zum Kinderurlaub abgeschoben haben. Die anderen, dass sie zum ersten Mal mit einem Flugzeug geflogen sind, oder gar in Disneyland Paris waren. Da wurde mir schon damals schnell klar: Das ist halt das Leben der “normalen” Familien.

Denn bei uns hat “Urlaub” immer ein bisschen anders ausgesehen. Meine Mama war eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Von meinen zwei älteren Brüdern und mir eben. Seit ich denken kann, war sie stets arbeiten. Oft musste daher mein Bruder beim Laternenfest der Schule einspringen, oder mich Jahre davor vom Kindergarten abholen. Ja, ich war dieses eine Kind, das als letztes abgeholt wurde.

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Bei uns zu Hause war es dementsprechend auch immer – na ja – chaotisch. Es waren auch öfters Freunde meiner Mutter bei uns. Teils, weil sie auf uns aufgepasst haben. Teils, um mit meiner Mutter abzuhängen. Bis zur späteren Stunde konnte ich deswegen immer gute Stimmung und gute Musik vernehmen. Pink Floyd (deren Pulse Livealbum eine lange Zeit auf und ab gespielt wurde, als wäre es eine Religion), Mothers Finest, Patti Smith, Genesis, Mike Oldfield, Eric Clapton, Peter Tosh, Alpha Blondy und natürlich Bob Marley – das war die Musik, zu der ich immer einschlafen durfte. Und so gelang es mir auch eigentlich immer am besten.

Musik war also immer allgegenwärtig und meiner Mutter sehr wichtig. So kam es, dass sie uns damals immer nach Wiesen mitgenommen hat. Zu den Festivals. Während also andere Kids ihre ersten Berührungen mit dem Meerwasser hatten, wurde ich in Berührung mit Live-Musik und dem Festivalleben gebracht. Für mich war das immer komplett aufregend. In einem Zelt schlafen, auf dem Campingplatz herumtollen, bei den Verkaufsständen Sachen runterhandeln und die world-famous Dukaten-Chips essen – gibt es die eigentlich noch immer dort?

Good Times! Fotomanipulation von der Autorin, Original-Foto via Flickr | Tom Lawrence | CC BY-NC-SA 2.0

Das war für mich Urlaub. Wir fuhren hauptsächlich immer auf die Reggae-Festivals, wie Reggae Sunsplash oder das Spring Vibrations. Als kleines Mädchen hatte ich dort viele Freiheiten, konnte auch immer etwas im Backstage rumkriechen und wenn man mich dabei erwischt hat, waren sie meistens eher entzückt, als genervt.

Meine Brüder haben es jedes Mal mit der selben Geschäftsidee probiert, selbstgeknüpfte und eigentlich äußerst hässliche Armbändchen an den Mann oder die Frau zu bringen. Am Ende Tages kamen sie mit mehr Geld zum Zeltplatz zurück, als meine Mutter noch mit hatte. Dieses Geld wurde dann auch immer gewissenhaft in Merchandise investiert.

Ich glaube, meine Brüder waren so ziemlich die ersten Kids mit Konzert-Shirts in unserer Gegend. Mein großer Bruder erinnert sich auch daran, stets voller Grasflecken und Gatsch gewesen zu sein. Damals gab es auf dem Zeltplatz nur kalte Duschen und zwei WCs. Anstellen? Als Kind hatte man dort eigentlich VIP-Status. Mein großer Bruder, der fünf Jahre älter ist, ist dort immer bei den Leuten geblieben, die sich eine Jam-Session gegeben haben auf den Zeltplätzen. Wie ein kleiner Hippie, der nur in Shorts und barfuß war, hat er ihnen stundenlang zugehört.

Das Thema Vorschriften war vor 25 Jahren einfach noch ein anderes. Hunde durften frei herumlaufen und so durften es auch wir Kiddies. Ich hatte Glück und konnte noch den echten und originalen Spirit eines Festivals kennenlernen. Für meine Mutter waren sie immer eine gelungene Auszeit. Um kurz mal auszusteigen. Danach ging es manchmal weiter nach Ungarn – ebenso campen. Uns Kids war das Reiseziel oder die Unterkunft nie so wichtig.

Uns war wichtig, zusammen zu sein, denn da war uns immer klar, dass es uns an nichts fehlen kann. Musik- und Familiensinn wurden uns ganz hart vorgelebt, daher war es einfach, es sich anzueignen. Vielleicht war meine Mutter oft nicht streng genug oder auf jeder Schulaufführung. Dafür hat sie es aber geschafft, uns die wichtigsten Werte zu vermitteln. Dessen Ausmaß ich mir auch immer nach und nach bewusst werde. Ach, das Life und sein Älter und Weiser werden halt.

Als ich dann alt genug war, um alleine auf Festivals zu fahren, wurde das natürlich von meiner Mutter kräftig unterstützt. Ich wurde gebracht, abgeholt und oft dazu ermutigt. Wenn mir und meinen Freunden das Essen dazwischen ausgegangen ist, hat sie es organisiert, zu uns rauszufahren und uns Zeug wie Einweg-Griller und Verbratbares zu bringen. Auf Festivals zu fahren, ist für mich deswegen immer etwas ganz Besonderes und es enttäuscht mich mittlerweile leider auch nach und nach.

Der Spirit ist ein ganz anderer geworden. Früher waren die Leute mehr auf Togetherness und haben vielleicht hie und da einen Joint geraucht. Heute sind sie eher wegen etwaigen Substanzen mit sich alleine und in einem anderen Universum. Da passen keine Kinder mehr dazu. Aber eines ist mir zumindest geblieben: Im Bann der Live-Musik sofort gefangen zu sein. Das Sound-Erlebnis von Musik, die gerade in Echtzeit passiert, und das laut. All diese Dinge verbinden sich dabei in meinem Unterbewusstsein mit all den schönen Erinnerungen aus meiner Kindheit. Die Beziehung zur Live-Musik und mir, wird immer eine schöne sein. Es wird für immer eine Liebe bleiben. Für immer Gänsehaut.

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